Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Miesenzaiui

Die sanfte, geruhige Einfalt, mit der das Mädchen diese Worte sprach,
stand in wunderlich wohltuendem Einklang mit ihrer ganzen schöngestalteten,
trotz ihrer ärmlichen Gewandung vornehm zu nennenden Erscheinung.

Dies hatte der Meister eben bedacht, als ein Blick auf Frau Agnes ihm
bedeutete, daß es wohl an der Zeit sei, die Jungfrau nach ihrem Begehr zu fragen.

"Ich wollt Euch um Eure Fürsprach bitten, lieber Herr, beim hohen Rat,
auf daß er ein Verbot erlaß, daß meines blinden Vaters Lieder kein Buchdrucker
nachdrucken und verhandeln dürf zu Nürnberg in einem Vierteljahr!"

"Das ist kein ungerecht Begehren," erwiderte Dürer lächelnd, "doch habt
Ihr Euch nit an den richtigen Mann gewandt. Mein Wort vermag nit viel
beim hohen Rat. Herr Pirkheimer könnt' in dieser Sach' Euch mehr von
nutzen sein!"

Die Magd aber schüttelte unwillig den Kopf. "Ich mag Herrn Pirk¬
heimer darum nit bitten!"

"Was habt Ihr da für Ursach'?" mengte sich die Dürerin ein. die bis
nun geschwiegen hatte.

Die Jungfrau schien sich eine Weile zu besinnen. Indessen lagen die
dunkeln, gestrengen Augen der Dürerin scharf in den ihren.

"Mir bangt vor ihm," gestand sie endlich leise.

"Da seid Ihr nit die Erste und werdet nit die Letzte sein," fuhr die
Dürerin heftig heraus. Sie war erregt vom Faltestuhl, in dem sie gesessen,
aufgesprungen und ging mit schweren Schritten auf und nieder.

Dürer aber trommelte mit den wunderbar schlanken Fingern ein Weilchen
nachdenklich vor sich auf den Tisch.

"Wollt Ihr Euch nit setzen, Felicitas," sagte er dann mit seiner laden
Stimme und wies auf einen Schemel an der Wand.

Das Mädchen aber spähte nach der Hausfrau hin, die, noch immer in ihre
erregten Gedanken versunken, die Stube hin und wieder durchmaß. Und erst
als Dürer sie nochmals mit freundlicher Geberde nach dem Schemel wies, wagte
sie sich zu setzen.

"Erzählt mir vom Bater, und wie das Unglück mit dem Brand sich
zugetragen," ermunterte sie der Meister.

Da begann Felicitas, ohne zu zögern, von der Unglücksnacht zu berichten,
die den Vater ums Augenlicht gebracht. Sie erzählte in ihrer stillen, wie von
einer großen inneren Milde getragenen Art, wie gellende Schreie sie in tiefer
Nacht aus dem Schlaf geweckt, und wie sie plötzlich ihre Giebelkammer. die
höchste im Hause, von schrecklicher Röte erfüllt gesehen, und wie mit einemmal,
noch ehe sie sich recht zu besinnen vermochte, die Tür von gierig zischelnden
Flammen umzingelt war. Da sei sie, an jeglicher Rettung verzweifelnd, inmitten
ihrer Kammer niedergekniet und habe zur heiligen Jungfrau um einen leichten
erlösenden Tod gefleht. Und inmitten ihres Gebetes habe sie plötzlich nichts
mehr von sich gewußt. Erst später sei ihr berichtet worden, der Vater habe,


Grenzboten II ISIS 29
Der Miesenzaiui

Die sanfte, geruhige Einfalt, mit der das Mädchen diese Worte sprach,
stand in wunderlich wohltuendem Einklang mit ihrer ganzen schöngestalteten,
trotz ihrer ärmlichen Gewandung vornehm zu nennenden Erscheinung.

Dies hatte der Meister eben bedacht, als ein Blick auf Frau Agnes ihm
bedeutete, daß es wohl an der Zeit sei, die Jungfrau nach ihrem Begehr zu fragen.

„Ich wollt Euch um Eure Fürsprach bitten, lieber Herr, beim hohen Rat,
auf daß er ein Verbot erlaß, daß meines blinden Vaters Lieder kein Buchdrucker
nachdrucken und verhandeln dürf zu Nürnberg in einem Vierteljahr!"

„Das ist kein ungerecht Begehren," erwiderte Dürer lächelnd, „doch habt
Ihr Euch nit an den richtigen Mann gewandt. Mein Wort vermag nit viel
beim hohen Rat. Herr Pirkheimer könnt' in dieser Sach' Euch mehr von
nutzen sein!"

Die Magd aber schüttelte unwillig den Kopf. „Ich mag Herrn Pirk¬
heimer darum nit bitten!"

„Was habt Ihr da für Ursach'?" mengte sich die Dürerin ein. die bis
nun geschwiegen hatte.

Die Jungfrau schien sich eine Weile zu besinnen. Indessen lagen die
dunkeln, gestrengen Augen der Dürerin scharf in den ihren.

„Mir bangt vor ihm," gestand sie endlich leise.

„Da seid Ihr nit die Erste und werdet nit die Letzte sein," fuhr die
Dürerin heftig heraus. Sie war erregt vom Faltestuhl, in dem sie gesessen,
aufgesprungen und ging mit schweren Schritten auf und nieder.

Dürer aber trommelte mit den wunderbar schlanken Fingern ein Weilchen
nachdenklich vor sich auf den Tisch.

„Wollt Ihr Euch nit setzen, Felicitas," sagte er dann mit seiner laden
Stimme und wies auf einen Schemel an der Wand.

Das Mädchen aber spähte nach der Hausfrau hin, die, noch immer in ihre
erregten Gedanken versunken, die Stube hin und wieder durchmaß. Und erst
als Dürer sie nochmals mit freundlicher Geberde nach dem Schemel wies, wagte
sie sich zu setzen.

„Erzählt mir vom Bater, und wie das Unglück mit dem Brand sich
zugetragen," ermunterte sie der Meister.

Da begann Felicitas, ohne zu zögern, von der Unglücksnacht zu berichten,
die den Vater ums Augenlicht gebracht. Sie erzählte in ihrer stillen, wie von
einer großen inneren Milde getragenen Art, wie gellende Schreie sie in tiefer
Nacht aus dem Schlaf geweckt, und wie sie plötzlich ihre Giebelkammer. die
höchste im Hause, von schrecklicher Röte erfüllt gesehen, und wie mit einemmal,
noch ehe sie sich recht zu besinnen vermochte, die Tür von gierig zischelnden
Flammen umzingelt war. Da sei sie, an jeglicher Rettung verzweifelnd, inmitten
ihrer Kammer niedergekniet und habe zur heiligen Jungfrau um einen leichten
erlösenden Tod gefleht. Und inmitten ihres Gebetes habe sie plötzlich nichts
mehr von sich gewußt. Erst später sei ihr berichtet worden, der Vater habe,


Grenzboten II ISIS 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321320"/>
            <fw type="header" place="top"> Der Miesenzaiui</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_939"> Die sanfte, geruhige Einfalt, mit der das Mädchen diese Worte sprach,<lb/>
stand in wunderlich wohltuendem Einklang mit ihrer ganzen schöngestalteten,<lb/>
trotz ihrer ärmlichen Gewandung vornehm zu nennenden Erscheinung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_940"> Dies hatte der Meister eben bedacht, als ein Blick auf Frau Agnes ihm<lb/>
bedeutete, daß es wohl an der Zeit sei, die Jungfrau nach ihrem Begehr zu fragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_941"> &#x201E;Ich wollt Euch um Eure Fürsprach bitten, lieber Herr, beim hohen Rat,<lb/>
auf daß er ein Verbot erlaß, daß meines blinden Vaters Lieder kein Buchdrucker<lb/>
nachdrucken und verhandeln dürf zu Nürnberg in einem Vierteljahr!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_942"> &#x201E;Das ist kein ungerecht Begehren," erwiderte Dürer lächelnd, &#x201E;doch habt<lb/>
Ihr Euch nit an den richtigen Mann gewandt. Mein Wort vermag nit viel<lb/>
beim hohen Rat. Herr Pirkheimer könnt' in dieser Sach' Euch mehr von<lb/>
nutzen sein!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_943"> Die Magd aber schüttelte unwillig den Kopf. &#x201E;Ich mag Herrn Pirk¬<lb/>
heimer darum nit bitten!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_944"> &#x201E;Was habt Ihr da für Ursach'?" mengte sich die Dürerin ein. die bis<lb/>
nun geschwiegen hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_945"> Die Jungfrau schien sich eine Weile zu besinnen. Indessen lagen die<lb/>
dunkeln, gestrengen Augen der Dürerin scharf in den ihren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_946"> &#x201E;Mir bangt vor ihm," gestand sie endlich leise.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_947"> &#x201E;Da seid Ihr nit die Erste und werdet nit die Letzte sein," fuhr die<lb/>
Dürerin heftig heraus. Sie war erregt vom Faltestuhl, in dem sie gesessen,<lb/>
aufgesprungen und ging mit schweren Schritten auf und nieder.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_948"> Dürer aber trommelte mit den wunderbar schlanken Fingern ein Weilchen<lb/>
nachdenklich vor sich auf den Tisch.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_949"> &#x201E;Wollt Ihr Euch nit setzen, Felicitas," sagte er dann mit seiner laden<lb/>
Stimme und wies auf einen Schemel an der Wand.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_950"> Das Mädchen aber spähte nach der Hausfrau hin, die, noch immer in ihre<lb/>
erregten Gedanken versunken, die Stube hin und wieder durchmaß. Und erst<lb/>
als Dürer sie nochmals mit freundlicher Geberde nach dem Schemel wies, wagte<lb/>
sie sich zu setzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_951"> &#x201E;Erzählt mir vom Bater, und wie das Unglück mit dem Brand sich<lb/>
zugetragen," ermunterte sie der Meister.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_952" next="#ID_953"> Da begann Felicitas, ohne zu zögern, von der Unglücksnacht zu berichten,<lb/>
die den Vater ums Augenlicht gebracht. Sie erzählte in ihrer stillen, wie von<lb/>
einer großen inneren Milde getragenen Art, wie gellende Schreie sie in tiefer<lb/>
Nacht aus dem Schlaf geweckt, und wie sie plötzlich ihre Giebelkammer. die<lb/>
höchste im Hause, von schrecklicher Röte erfüllt gesehen, und wie mit einemmal,<lb/>
noch ehe sie sich recht zu besinnen vermochte, die Tür von gierig zischelnden<lb/>
Flammen umzingelt war. Da sei sie, an jeglicher Rettung verzweifelnd, inmitten<lb/>
ihrer Kammer niedergekniet und habe zur heiligen Jungfrau um einen leichten<lb/>
erlösenden Tod gefleht. Und inmitten ihres Gebetes habe sie plötzlich nichts<lb/>
mehr von sich gewußt. Erst später sei ihr berichtet worden, der Vater habe,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II ISIS 29</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] Der Miesenzaiui Die sanfte, geruhige Einfalt, mit der das Mädchen diese Worte sprach, stand in wunderlich wohltuendem Einklang mit ihrer ganzen schöngestalteten, trotz ihrer ärmlichen Gewandung vornehm zu nennenden Erscheinung. Dies hatte der Meister eben bedacht, als ein Blick auf Frau Agnes ihm bedeutete, daß es wohl an der Zeit sei, die Jungfrau nach ihrem Begehr zu fragen. „Ich wollt Euch um Eure Fürsprach bitten, lieber Herr, beim hohen Rat, auf daß er ein Verbot erlaß, daß meines blinden Vaters Lieder kein Buchdrucker nachdrucken und verhandeln dürf zu Nürnberg in einem Vierteljahr!" „Das ist kein ungerecht Begehren," erwiderte Dürer lächelnd, „doch habt Ihr Euch nit an den richtigen Mann gewandt. Mein Wort vermag nit viel beim hohen Rat. Herr Pirkheimer könnt' in dieser Sach' Euch mehr von nutzen sein!" Die Magd aber schüttelte unwillig den Kopf. „Ich mag Herrn Pirk¬ heimer darum nit bitten!" „Was habt Ihr da für Ursach'?" mengte sich die Dürerin ein. die bis nun geschwiegen hatte. Die Jungfrau schien sich eine Weile zu besinnen. Indessen lagen die dunkeln, gestrengen Augen der Dürerin scharf in den ihren. „Mir bangt vor ihm," gestand sie endlich leise. „Da seid Ihr nit die Erste und werdet nit die Letzte sein," fuhr die Dürerin heftig heraus. Sie war erregt vom Faltestuhl, in dem sie gesessen, aufgesprungen und ging mit schweren Schritten auf und nieder. Dürer aber trommelte mit den wunderbar schlanken Fingern ein Weilchen nachdenklich vor sich auf den Tisch. „Wollt Ihr Euch nit setzen, Felicitas," sagte er dann mit seiner laden Stimme und wies auf einen Schemel an der Wand. Das Mädchen aber spähte nach der Hausfrau hin, die, noch immer in ihre erregten Gedanken versunken, die Stube hin und wieder durchmaß. Und erst als Dürer sie nochmals mit freundlicher Geberde nach dem Schemel wies, wagte sie sich zu setzen. „Erzählt mir vom Bater, und wie das Unglück mit dem Brand sich zugetragen," ermunterte sie der Meister. Da begann Felicitas, ohne zu zögern, von der Unglücksnacht zu berichten, die den Vater ums Augenlicht gebracht. Sie erzählte in ihrer stillen, wie von einer großen inneren Milde getragenen Art, wie gellende Schreie sie in tiefer Nacht aus dem Schlaf geweckt, und wie sie plötzlich ihre Giebelkammer. die höchste im Hause, von schrecklicher Röte erfüllt gesehen, und wie mit einemmal, noch ehe sie sich recht zu besinnen vermochte, die Tür von gierig zischelnden Flammen umzingelt war. Da sei sie, an jeglicher Rettung verzweifelnd, inmitten ihrer Kammer niedergekniet und habe zur heiligen Jungfrau um einen leichten erlösenden Tod gefleht. Und inmitten ihres Gebetes habe sie plötzlich nichts mehr von sich gewußt. Erst später sei ihr berichtet worden, der Vater habe, Grenzboten II ISIS 29

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/237>, abgerufen am 26.06.2024.