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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung dos Handwerks aus Aosten der Industrie!'

die Heranbildung der jugendlichen Arbeiter zu gelernten Arbeitern zu ver¬
hindern.

Auch der Hinweis des Handwerks, daß ihm die Industrie die besten Kräfte
nach vollendeter Ausbildung entziehe, ist unzutreffend. Nicht der von den
Fabriken gezahlte höhere Lohn ist, wie vielfach angenommen wird, der haupt¬
sächlichste Grund der Abwanderung von Lehrlingen und Gesellen aus dem Hand¬
werkerstande zur Industrie, sondern die verschiedensten Ursachen wirken nach
dieser Richtung hin zusammen. Hierher gehört u. a. die Festlegung der Arbeits¬
zeiten in den Fabriken und die Möglichkeit schnelleren Fortkommens, die
Beschränkung der Lehrlingszahl sowie der Mangel der Beschäftigungsgelegenheiten
für Gesellen im Handwerk und das vielfache Heranziehen zu hauswirtschaftlichen
Arbeiten, ferner die nicht genügende Ausbildung durch die Handwerksmeister,
die oft als mangelhaft empfundene Verpflegung und Unterkunft und das Fehlen
von Fachschulen, Mißstände, die besonders auf dem Lande beklagt werden und
aus denen sich ergibt, daß, falls tatsächlich Lehrlingsmangel beim Handwerk
herrscht, keineswegs die Industrie hierfür allein verantwortlich zu machen ist.
Es mag in dieser Beziehung auch noch auf das Urteil einer gewiß kompetenten
Stelle, nämlich des Ausschusses des Handwerks- und Gewerbekammertages,
hingewiesen werden, der den Lehrlingsmangel in tieferliegenden Ursachen sucht.
Es heißt in dem Bericht dieses Ausschusses vom Is. Dezember 1909 wie folgt:
"Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Handwerker an der Entstehung der
falschen Vorstellungen über die Lage des Handwerkes zu einem großen Teil
selber Schuld tragen. Statt in zuversichtlicher Weise die Entwicklungsmöglichkeit
des Handwerks nach den bisherigen Erfahrungen moderner Gewerbeförderung
anzuerkennen, wird leider immer und immer wieder auf Handwerkerversamm¬
lungen über die trostlose Lage und die Aussichtslosigkeit des Handwerks gejammert
und nach Staatshilfe gerufen. Es ist kein Wunder, wenn bei derartigen ans
den Kreisen des Handwerks selbst kommenden Klagen die Eltern sich hüten, ihre
Kinder ein Handwerk erlernen zu lassen, und daß man glaubt, zum Lernen des
Handwerks sei gerade der gut genug, der zu nichts anderem zu gebrauchen ist.
So ist das Handwerk zum Teil selbst schuld, daß tüchtige Kräfte, namentlich
aus den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten unseres Volkes, dem Hand¬
werk sehr zu seinem Schaden ferngehalten werden*)."

Wenn des weiteren von Gegnern der Industrie die Behauptung aufgestellt
wird, daß die Ausbildung -der Lehrlinge in der Industrie schlechter sei als im
Handwerk, so muß diese Behauptung als durchaus irrig bezeichnet werden. Daß
dem nicht so ist, beweisen die Berichte der deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten
zur Genüge. Diese beschäftigen sich seit dem Jahre 1887 eingehender mit der
Lehrlingsausbildung in den Fabriken und enthalten für Preußen, so besonders
der Bericht für 1906, eine Fülle interessanten Materials. Aus diesem ergibt



") Das Deutsche Handwerksblatt, IV, 2,
Förderung dos Handwerks aus Aosten der Industrie!'

die Heranbildung der jugendlichen Arbeiter zu gelernten Arbeitern zu ver¬
hindern.

Auch der Hinweis des Handwerks, daß ihm die Industrie die besten Kräfte
nach vollendeter Ausbildung entziehe, ist unzutreffend. Nicht der von den
Fabriken gezahlte höhere Lohn ist, wie vielfach angenommen wird, der haupt¬
sächlichste Grund der Abwanderung von Lehrlingen und Gesellen aus dem Hand¬
werkerstande zur Industrie, sondern die verschiedensten Ursachen wirken nach
dieser Richtung hin zusammen. Hierher gehört u. a. die Festlegung der Arbeits¬
zeiten in den Fabriken und die Möglichkeit schnelleren Fortkommens, die
Beschränkung der Lehrlingszahl sowie der Mangel der Beschäftigungsgelegenheiten
für Gesellen im Handwerk und das vielfache Heranziehen zu hauswirtschaftlichen
Arbeiten, ferner die nicht genügende Ausbildung durch die Handwerksmeister,
die oft als mangelhaft empfundene Verpflegung und Unterkunft und das Fehlen
von Fachschulen, Mißstände, die besonders auf dem Lande beklagt werden und
aus denen sich ergibt, daß, falls tatsächlich Lehrlingsmangel beim Handwerk
herrscht, keineswegs die Industrie hierfür allein verantwortlich zu machen ist.
Es mag in dieser Beziehung auch noch auf das Urteil einer gewiß kompetenten
Stelle, nämlich des Ausschusses des Handwerks- und Gewerbekammertages,
hingewiesen werden, der den Lehrlingsmangel in tieferliegenden Ursachen sucht.
Es heißt in dem Bericht dieses Ausschusses vom Is. Dezember 1909 wie folgt:
„Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Handwerker an der Entstehung der
falschen Vorstellungen über die Lage des Handwerkes zu einem großen Teil
selber Schuld tragen. Statt in zuversichtlicher Weise die Entwicklungsmöglichkeit
des Handwerks nach den bisherigen Erfahrungen moderner Gewerbeförderung
anzuerkennen, wird leider immer und immer wieder auf Handwerkerversamm¬
lungen über die trostlose Lage und die Aussichtslosigkeit des Handwerks gejammert
und nach Staatshilfe gerufen. Es ist kein Wunder, wenn bei derartigen ans
den Kreisen des Handwerks selbst kommenden Klagen die Eltern sich hüten, ihre
Kinder ein Handwerk erlernen zu lassen, und daß man glaubt, zum Lernen des
Handwerks sei gerade der gut genug, der zu nichts anderem zu gebrauchen ist.
So ist das Handwerk zum Teil selbst schuld, daß tüchtige Kräfte, namentlich
aus den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten unseres Volkes, dem Hand¬
werk sehr zu seinem Schaden ferngehalten werden*)."

Wenn des weiteren von Gegnern der Industrie die Behauptung aufgestellt
wird, daß die Ausbildung -der Lehrlinge in der Industrie schlechter sei als im
Handwerk, so muß diese Behauptung als durchaus irrig bezeichnet werden. Daß
dem nicht so ist, beweisen die Berichte der deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten
zur Genüge. Diese beschäftigen sich seit dem Jahre 1887 eingehender mit der
Lehrlingsausbildung in den Fabriken und enthalten für Preußen, so besonders
der Bericht für 1906, eine Fülle interessanten Materials. Aus diesem ergibt



") Das Deutsche Handwerksblatt, IV, 2,
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[0228] Förderung dos Handwerks aus Aosten der Industrie!' die Heranbildung der jugendlichen Arbeiter zu gelernten Arbeitern zu ver¬ hindern. Auch der Hinweis des Handwerks, daß ihm die Industrie die besten Kräfte nach vollendeter Ausbildung entziehe, ist unzutreffend. Nicht der von den Fabriken gezahlte höhere Lohn ist, wie vielfach angenommen wird, der haupt¬ sächlichste Grund der Abwanderung von Lehrlingen und Gesellen aus dem Hand¬ werkerstande zur Industrie, sondern die verschiedensten Ursachen wirken nach dieser Richtung hin zusammen. Hierher gehört u. a. die Festlegung der Arbeits¬ zeiten in den Fabriken und die Möglichkeit schnelleren Fortkommens, die Beschränkung der Lehrlingszahl sowie der Mangel der Beschäftigungsgelegenheiten für Gesellen im Handwerk und das vielfache Heranziehen zu hauswirtschaftlichen Arbeiten, ferner die nicht genügende Ausbildung durch die Handwerksmeister, die oft als mangelhaft empfundene Verpflegung und Unterkunft und das Fehlen von Fachschulen, Mißstände, die besonders auf dem Lande beklagt werden und aus denen sich ergibt, daß, falls tatsächlich Lehrlingsmangel beim Handwerk herrscht, keineswegs die Industrie hierfür allein verantwortlich zu machen ist. Es mag in dieser Beziehung auch noch auf das Urteil einer gewiß kompetenten Stelle, nämlich des Ausschusses des Handwerks- und Gewerbekammertages, hingewiesen werden, der den Lehrlingsmangel in tieferliegenden Ursachen sucht. Es heißt in dem Bericht dieses Ausschusses vom Is. Dezember 1909 wie folgt: „Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Handwerker an der Entstehung der falschen Vorstellungen über die Lage des Handwerkes zu einem großen Teil selber Schuld tragen. Statt in zuversichtlicher Weise die Entwicklungsmöglichkeit des Handwerks nach den bisherigen Erfahrungen moderner Gewerbeförderung anzuerkennen, wird leider immer und immer wieder auf Handwerkerversamm¬ lungen über die trostlose Lage und die Aussichtslosigkeit des Handwerks gejammert und nach Staatshilfe gerufen. Es ist kein Wunder, wenn bei derartigen ans den Kreisen des Handwerks selbst kommenden Klagen die Eltern sich hüten, ihre Kinder ein Handwerk erlernen zu lassen, und daß man glaubt, zum Lernen des Handwerks sei gerade der gut genug, der zu nichts anderem zu gebrauchen ist. So ist das Handwerk zum Teil selbst schuld, daß tüchtige Kräfte, namentlich aus den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten unseres Volkes, dem Hand¬ werk sehr zu seinem Schaden ferngehalten werden*)." Wenn des weiteren von Gegnern der Industrie die Behauptung aufgestellt wird, daß die Ausbildung -der Lehrlinge in der Industrie schlechter sei als im Handwerk, so muß diese Behauptung als durchaus irrig bezeichnet werden. Daß dem nicht so ist, beweisen die Berichte der deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten zur Genüge. Diese beschäftigen sich seit dem Jahre 1887 eingehender mit der Lehrlingsausbildung in den Fabriken und enthalten für Preußen, so besonders der Bericht für 1906, eine Fülle interessanten Materials. Aus diesem ergibt ") Das Deutsche Handwerksblatt, IV, 2,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/228>, abgerufen am 03.07.2024.