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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Föderalistische und unitarische jparioiex

Vertretung nach außen, ein Heerwesen, eine Kriegsflotte, ein Recht, ein Verkehrs¬
gebiet -- die Pflege der errungenen Einheitsgüter der Nation angelegen sein
lassen. Es sei in dieser Beziehung nur hingewiesen auf ihre Stellung zu den
Heeres-, Flotten- und Kolonialvorlagen, der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers,
ihre Tätigkeit auf dem Gebiete einer reichsgesetzlichen Regelung des Wohnungs¬
wesens, einer reichsgesetzlichen Regelung des Submissionswesens, ihre Stellung
in der Frage der Vereinheitlichung der Eisenbahnen, des Reichspetroleum¬
monopols usw. -- Angelegenheiten, denen zum Teil andere Parteien aus föde¬
rativem Rücksichten mehr oder weniger ablehnend gegenüberstanden und gegenüber¬
stehen. Man mag welche Einwendungen immer gegen die Nationalliberale Partei
erheben -- daß sie von ihrer Reichsfreudigkeit, ihrer Bereitwilligkeit, den Neichs-
gedanken zu fördern und zu stärken, nichts eingebüßt hat, wird man schlechthin
anerkennen müssen.

Unzweifelhaft ist auch der Linksliberalismus, das heißt die Gruppe von
Parteien, die sich im Jahre 1910 zu der Fortschrittlichen Volkspartei vereinigte,
als unitarisch anzusprechen Während es jedoch zu weit geht, von dem rechten
Flügel der Liberalen zu sagen, er sei mehr national als liberal, geht es
nicht zu weit, wenn man von seinem linken Flügel sagt, ihm liege mehr an
liberalen als an unitarischen Tendenzen. Wo unitarische Bestrebungen sich mit
seinen fortschrittlichen Forderungen vereinigen lassen, tritt er rückhaltlos für jene
ein; wo das dagegen nicht der Fall ist, ist er geneigt, diese seine Haltung
bestimmen zu lassen. Aber föderalistisch ist der Linksliberalismus uicht und auch
wohl, trotzdem es zuzeiten so aussehen mochte, nie gewesen. Die Deutsche
Fortschrittspartei z. B. war eine der ersten Parteien Deutschlands, die sich als
"deutsche" Partei bezeichnete, und schon in ihrem Gründungsprogramm vom
6. Juni 1861 ist sie für eine feste Einigung Deutschlands eingetreten. Auch
die heutige Fortschrittliche Volkspartei tritt grundsätzlich für eine Stärkung des
Reiches bei Aufrechterhaltung seiner bundesstaatlichen Grundlagen ein und hat
in ihrem Programm eine Reihe von Forderungen aufgestellt, deren unitarische
Richtung unverkennbar ist: verantwortliches kollegiales Reichs Ministerium; reichs¬
gesetzliche Reform des Fremden- und Auslieferungsrechtes; reichsgesetzliche
Regelung der Rechtsverhältnisse der in der Haus- und Landwirtschaft beschäftigten
Personen u. a. in. Eine stark unitarische Forderung liegt auch in dem Antrag
der Fortschrittlichen Volkspartei, einen Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich
zu schaffen, ein Vorschlag, von dem der Königsberger Staatsrechtslehrer Arndt
vor kurzem sagte, "er könnte und müßte am letzten Ende die Folge haben,
daß der Föderalismus und die Macht des Kaisers wie der verbündeten
Regierungen ausgeschaltet wird". Daß die Partei aber auch in weniger
wichtigen Fragen geneigt ist, unitarische Bestrebungen zu fördern, beweist
eine Äußerung des fortschrittlichen Abgeordneten I)r. Flesch gelegentlich
der ersten Beratung des Wassergesetzentwurfes im preußischen Abgeordneten¬
haus (20. Februar 1912), woselbst er grundsätzlich für die reichsgesetzliche


Föderalistische und unitarische jparioiex

Vertretung nach außen, ein Heerwesen, eine Kriegsflotte, ein Recht, ein Verkehrs¬
gebiet — die Pflege der errungenen Einheitsgüter der Nation angelegen sein
lassen. Es sei in dieser Beziehung nur hingewiesen auf ihre Stellung zu den
Heeres-, Flotten- und Kolonialvorlagen, der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers,
ihre Tätigkeit auf dem Gebiete einer reichsgesetzlichen Regelung des Wohnungs¬
wesens, einer reichsgesetzlichen Regelung des Submissionswesens, ihre Stellung
in der Frage der Vereinheitlichung der Eisenbahnen, des Reichspetroleum¬
monopols usw. — Angelegenheiten, denen zum Teil andere Parteien aus föde¬
rativem Rücksichten mehr oder weniger ablehnend gegenüberstanden und gegenüber¬
stehen. Man mag welche Einwendungen immer gegen die Nationalliberale Partei
erheben — daß sie von ihrer Reichsfreudigkeit, ihrer Bereitwilligkeit, den Neichs-
gedanken zu fördern und zu stärken, nichts eingebüßt hat, wird man schlechthin
anerkennen müssen.

Unzweifelhaft ist auch der Linksliberalismus, das heißt die Gruppe von
Parteien, die sich im Jahre 1910 zu der Fortschrittlichen Volkspartei vereinigte,
als unitarisch anzusprechen Während es jedoch zu weit geht, von dem rechten
Flügel der Liberalen zu sagen, er sei mehr national als liberal, geht es
nicht zu weit, wenn man von seinem linken Flügel sagt, ihm liege mehr an
liberalen als an unitarischen Tendenzen. Wo unitarische Bestrebungen sich mit
seinen fortschrittlichen Forderungen vereinigen lassen, tritt er rückhaltlos für jene
ein; wo das dagegen nicht der Fall ist, ist er geneigt, diese seine Haltung
bestimmen zu lassen. Aber föderalistisch ist der Linksliberalismus uicht und auch
wohl, trotzdem es zuzeiten so aussehen mochte, nie gewesen. Die Deutsche
Fortschrittspartei z. B. war eine der ersten Parteien Deutschlands, die sich als
„deutsche" Partei bezeichnete, und schon in ihrem Gründungsprogramm vom
6. Juni 1861 ist sie für eine feste Einigung Deutschlands eingetreten. Auch
die heutige Fortschrittliche Volkspartei tritt grundsätzlich für eine Stärkung des
Reiches bei Aufrechterhaltung seiner bundesstaatlichen Grundlagen ein und hat
in ihrem Programm eine Reihe von Forderungen aufgestellt, deren unitarische
Richtung unverkennbar ist: verantwortliches kollegiales Reichs Ministerium; reichs¬
gesetzliche Reform des Fremden- und Auslieferungsrechtes; reichsgesetzliche
Regelung der Rechtsverhältnisse der in der Haus- und Landwirtschaft beschäftigten
Personen u. a. in. Eine stark unitarische Forderung liegt auch in dem Antrag
der Fortschrittlichen Volkspartei, einen Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich
zu schaffen, ein Vorschlag, von dem der Königsberger Staatsrechtslehrer Arndt
vor kurzem sagte, „er könnte und müßte am letzten Ende die Folge haben,
daß der Föderalismus und die Macht des Kaisers wie der verbündeten
Regierungen ausgeschaltet wird". Daß die Partei aber auch in weniger
wichtigen Fragen geneigt ist, unitarische Bestrebungen zu fördern, beweist
eine Äußerung des fortschrittlichen Abgeordneten I)r. Flesch gelegentlich
der ersten Beratung des Wassergesetzentwurfes im preußischen Abgeordneten¬
haus (20. Februar 1912), woselbst er grundsätzlich für die reichsgesetzliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/20>, abgerufen am 29.06.2024.