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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der IviesciiMin

Im selben Augenblick erkannte Meister Dürer mit wohlgeübten staunenden
Blicken, wie schön dieses große und doch keineswegs ungefüge Mädchen war.
Auf einem köstlich ausgereiften Nacken saß ein rundlich vollbackiges Kindergesicht,
von üppig blonden Locken umwallt, in dem die großen tiefblauen Augen,
der knospend geschürzte Mund und das schalkhaft vorgerundete Kinn in
lieblichster Weise zwischen fraulichem Wissen und kindlicher Unerfahrenheit stritten.
Noch niemals hatte der Meister ein Antlitz gesehen, in welchem das reifende
Weib so sehr noch dein Kinde, das zagende Kind so ganz schon dem werdenden
Weibe angehörte.

Die Jungfrau mochte den forschenden Blick des schönen vornehmen Mannes
wohl bemerkt haben, denn sie wandte sich mit verlegenem Mißmut ab, wobei
dem Meister, den: das keineswegs mißfiel, ein stilles Lächeln entglitt'.

Indessen war Herr Pirkheimer an den Blinden herangetreten, der sich von
der Ofenbank erhoben hatte. Er war von hünenhafter Gestalt und sah rin
seinem dichtgekräuselten, zur Seite geteilten Landsknechtsbart dem berühmten
Frundsberger nicht unähnlich. Auch trug er noch immer die kriegerisch wilde
Tracht seines früheren Amtes: am grellen Wams zerschlitzte Ärmel von un¬
geheurer Weite, an den Hosen den einen Flügel so dürftig, daß das nackte Bein
hervorstarrte, den anderen aber aufs abenteuerlichste mit wulstigen Puffen und
farbigen Lappen verziert.

Er hielt die erloschenen Augen starr den Besuchern entgegen, und jählings
überzuckte sein Antlitz wilde Freude, als er Herrn Pirkheimers Stimme vernahm:
"Ich bin's, Jörg Graff, der einst Euer Feldherr war in: Schweizerkrieg, Wibold
Pirkheimer, den Ihr wohl noch kennt!"

"Wie freut's mich, Euch zu sehen, vieledler Herr!" fuhr der Blinde heraus
und schien den trostlosen Widerspruch in seiner Rede gar nicht zu empfinden.

Er griff nach der Hand des Ratsherrn und drückte sie freudig.

"Ihr schenkt dem fahrenden Sänger große Ehr'! Nun kann ich Euch auch
danken, daß Ihr mir Kenn hohen Rat den silbernen Schild erwirkt habt und
des neuen Brots Berechtigung!"

Es war nun ein ebenso lieblicher als ergreifender Anblick, als die schöne
Felicitas, die bei den Worten des Vaters hoch aufgehorcht hatte, ohne Zögern
und Gezier auf Herrn Pirkheimer zuschritt, seine Hand ergriff und sie küßte,
noch ehe er es hindern konnte.

"Ich dank' Euch, Herr!" sagte sie schlicht gelassen.

Herr Pirkheimer wandte sich ab, um sein Erröten zu verbergen. Aber
Dürer hatte es wohl bemerkt und warf dem Freund einen launig fragenden
Blick zu. Da errötete Herr Pirkheimer noch stärker.

"Gedenkt Ihr noch, Jörg Graff," begann er abzulenken, "unseres Zuges
über das Stilfser Joch? Als wir an: Abend vor dem ausgebrannten Dorfe
lagerten, da tratet Ihr hervor und fanget ein wildes Lied von des Krieges
hallenden Freuden trotz aller Not. Und indessen Ihr säuget, da kam es kläglich


Der IviesciiMin

Im selben Augenblick erkannte Meister Dürer mit wohlgeübten staunenden
Blicken, wie schön dieses große und doch keineswegs ungefüge Mädchen war.
Auf einem köstlich ausgereiften Nacken saß ein rundlich vollbackiges Kindergesicht,
von üppig blonden Locken umwallt, in dem die großen tiefblauen Augen,
der knospend geschürzte Mund und das schalkhaft vorgerundete Kinn in
lieblichster Weise zwischen fraulichem Wissen und kindlicher Unerfahrenheit stritten.
Noch niemals hatte der Meister ein Antlitz gesehen, in welchem das reifende
Weib so sehr noch dein Kinde, das zagende Kind so ganz schon dem werdenden
Weibe angehörte.

Die Jungfrau mochte den forschenden Blick des schönen vornehmen Mannes
wohl bemerkt haben, denn sie wandte sich mit verlegenem Mißmut ab, wobei
dem Meister, den: das keineswegs mißfiel, ein stilles Lächeln entglitt'.

Indessen war Herr Pirkheimer an den Blinden herangetreten, der sich von
der Ofenbank erhoben hatte. Er war von hünenhafter Gestalt und sah rin
seinem dichtgekräuselten, zur Seite geteilten Landsknechtsbart dem berühmten
Frundsberger nicht unähnlich. Auch trug er noch immer die kriegerisch wilde
Tracht seines früheren Amtes: am grellen Wams zerschlitzte Ärmel von un¬
geheurer Weite, an den Hosen den einen Flügel so dürftig, daß das nackte Bein
hervorstarrte, den anderen aber aufs abenteuerlichste mit wulstigen Puffen und
farbigen Lappen verziert.

Er hielt die erloschenen Augen starr den Besuchern entgegen, und jählings
überzuckte sein Antlitz wilde Freude, als er Herrn Pirkheimers Stimme vernahm:
„Ich bin's, Jörg Graff, der einst Euer Feldherr war in: Schweizerkrieg, Wibold
Pirkheimer, den Ihr wohl noch kennt!"

„Wie freut's mich, Euch zu sehen, vieledler Herr!" fuhr der Blinde heraus
und schien den trostlosen Widerspruch in seiner Rede gar nicht zu empfinden.

Er griff nach der Hand des Ratsherrn und drückte sie freudig.

„Ihr schenkt dem fahrenden Sänger große Ehr'! Nun kann ich Euch auch
danken, daß Ihr mir Kenn hohen Rat den silbernen Schild erwirkt habt und
des neuen Brots Berechtigung!"

Es war nun ein ebenso lieblicher als ergreifender Anblick, als die schöne
Felicitas, die bei den Worten des Vaters hoch aufgehorcht hatte, ohne Zögern
und Gezier auf Herrn Pirkheimer zuschritt, seine Hand ergriff und sie küßte,
noch ehe er es hindern konnte.

„Ich dank' Euch, Herr!" sagte sie schlicht gelassen.

Herr Pirkheimer wandte sich ab, um sein Erröten zu verbergen. Aber
Dürer hatte es wohl bemerkt und warf dem Freund einen launig fragenden
Blick zu. Da errötete Herr Pirkheimer noch stärker.

„Gedenkt Ihr noch, Jörg Graff," begann er abzulenken, „unseres Zuges
über das Stilfser Joch? Als wir an: Abend vor dem ausgebrannten Dorfe
lagerten, da tratet Ihr hervor und fanget ein wildes Lied von des Krieges
hallenden Freuden trotz aller Not. Und indessen Ihr säuget, da kam es kläglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/192>, abgerufen am 01.07.2024.