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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Iviesenzann

Euch bald versprechen, das Dichten bleiben zu lassen. Dann wär' uns beiden
geholfen!"

"Noch bin ich nit zu End'!" versetzte Pirkheimer, "doch seht Ihr drüben
am Wasserkuren des Steinmetzen Hermann Unfugs Haus. Dort lebt der Jörg
mit seinem Kind!"

"Mit seinem Kind?" wiederholte Dürer erstaunt.

"Das sollt Euch nit wundern," meinte der andere. "Er hatte ein Weib
aus den Zeiten, da er noch zu Augsburg ehrsamer Gürtler war. Sie war in
den langen Kriegslager, da er sie allein gelassen, ein recht verwildert Weibsbild
geworden und ist ihm schließlich entlaufen. Aber das Kind, das lebt mit ihm
und wird Euch wohl gefallen!"

Die beiden waren nunmehr vor ein kleines einstöckiges Haus gelangt, das
so ärmlich und ungepflegt war mie all seine Nachbarn in dieser winkeligen
Gegend. Durch den dunklen Flur erblickte man einen Teil des Hofes, aus
dem sich klingendes Hämmern und Feilen vernehmen ließ. Dort war wohl
der Steinmetz mit seinen Gesellen an der Arbeit.

Herr Pirkheimer zog den Freund eine finstere Treppe hinauf und tat so
heimlich, als ob es um ein Abenteuer ginge. Aber die Stufen knarrten so
laut, daß sich die beiden bald verraten sahen, denn plötzlich erschien auf der
Schwelle oben im Rahmen der dämmrig erhellten Tür eine jugendlich hohe
Frauengestalt, die sich spähend die Treppe herunterueigte. Zugleich aber lies;
sich eine kräftig tiefe Männerstimme vernehmen, die ein kriegerisches Lied voll
wilder Inbrunst sang, wobei das ganze Stiegenhaus erdröhnte:

"Aha, er hat uns schon gehört," lachte Herr Pirkheimer. "Sobald er
Fremde in der Nähe spürt, wird er kriegerisch. Macht Euch darauf gefaßt,"
fügte er leise hinzu, "daß er wenig davon wissen will, daß er das Augenlicht
verlor. Er tut, als wär' er noch der Alte von einst. Und ist doch so kläglich
schlimm daran! Gott grüß Euch, Jungfer Felicitas! Wollt Eurem Vater sagen,
daß er guten Besuch zu empfangen hat!"

Aber das hohe stattliche Frauenzimmer dort oben rührte sich nicht. Es
sah halb grollend, halb verlegen den ungebetenen Gästen entgegen und erwiderte
nichts. Herr Pirkheimer aber, der dem fraulich Schönen in jeglicher Lage
gewachsen war, zog unbeirrt das Pelzbarett vom Mähnenhaupt und verneigte
sich vor der Jungfrau in schalkhafter Art und doch rin solch vollendet patri-
zischer Höflichkeit, daß dem guten Kinde in jäher Verlegenheit das Blut ins
Antlitz schoß.


Der Iviesenzann

Euch bald versprechen, das Dichten bleiben zu lassen. Dann wär' uns beiden
geholfen!"

„Noch bin ich nit zu End'!" versetzte Pirkheimer, „doch seht Ihr drüben
am Wasserkuren des Steinmetzen Hermann Unfugs Haus. Dort lebt der Jörg
mit seinem Kind!"

„Mit seinem Kind?" wiederholte Dürer erstaunt.

„Das sollt Euch nit wundern," meinte der andere. „Er hatte ein Weib
aus den Zeiten, da er noch zu Augsburg ehrsamer Gürtler war. Sie war in
den langen Kriegslager, da er sie allein gelassen, ein recht verwildert Weibsbild
geworden und ist ihm schließlich entlaufen. Aber das Kind, das lebt mit ihm
und wird Euch wohl gefallen!"

Die beiden waren nunmehr vor ein kleines einstöckiges Haus gelangt, das
so ärmlich und ungepflegt war mie all seine Nachbarn in dieser winkeligen
Gegend. Durch den dunklen Flur erblickte man einen Teil des Hofes, aus
dem sich klingendes Hämmern und Feilen vernehmen ließ. Dort war wohl
der Steinmetz mit seinen Gesellen an der Arbeit.

Herr Pirkheimer zog den Freund eine finstere Treppe hinauf und tat so
heimlich, als ob es um ein Abenteuer ginge. Aber die Stufen knarrten so
laut, daß sich die beiden bald verraten sahen, denn plötzlich erschien auf der
Schwelle oben im Rahmen der dämmrig erhellten Tür eine jugendlich hohe
Frauengestalt, die sich spähend die Treppe herunterueigte. Zugleich aber lies;
sich eine kräftig tiefe Männerstimme vernehmen, die ein kriegerisches Lied voll
wilder Inbrunst sang, wobei das ganze Stiegenhaus erdröhnte:

„Aha, er hat uns schon gehört," lachte Herr Pirkheimer. „Sobald er
Fremde in der Nähe spürt, wird er kriegerisch. Macht Euch darauf gefaßt,"
fügte er leise hinzu, „daß er wenig davon wissen will, daß er das Augenlicht
verlor. Er tut, als wär' er noch der Alte von einst. Und ist doch so kläglich
schlimm daran! Gott grüß Euch, Jungfer Felicitas! Wollt Eurem Vater sagen,
daß er guten Besuch zu empfangen hat!"

Aber das hohe stattliche Frauenzimmer dort oben rührte sich nicht. Es
sah halb grollend, halb verlegen den ungebetenen Gästen entgegen und erwiderte
nichts. Herr Pirkheimer aber, der dem fraulich Schönen in jeglicher Lage
gewachsen war, zog unbeirrt das Pelzbarett vom Mähnenhaupt und verneigte
sich vor der Jungfrau in schalkhafter Art und doch rin solch vollendet patri-
zischer Höflichkeit, daß dem guten Kinde in jäher Verlegenheit das Blut ins
Antlitz schoß.


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[0191] Der Iviesenzann Euch bald versprechen, das Dichten bleiben zu lassen. Dann wär' uns beiden geholfen!" „Noch bin ich nit zu End'!" versetzte Pirkheimer, „doch seht Ihr drüben am Wasserkuren des Steinmetzen Hermann Unfugs Haus. Dort lebt der Jörg mit seinem Kind!" „Mit seinem Kind?" wiederholte Dürer erstaunt. „Das sollt Euch nit wundern," meinte der andere. „Er hatte ein Weib aus den Zeiten, da er noch zu Augsburg ehrsamer Gürtler war. Sie war in den langen Kriegslager, da er sie allein gelassen, ein recht verwildert Weibsbild geworden und ist ihm schließlich entlaufen. Aber das Kind, das lebt mit ihm und wird Euch wohl gefallen!" Die beiden waren nunmehr vor ein kleines einstöckiges Haus gelangt, das so ärmlich und ungepflegt war mie all seine Nachbarn in dieser winkeligen Gegend. Durch den dunklen Flur erblickte man einen Teil des Hofes, aus dem sich klingendes Hämmern und Feilen vernehmen ließ. Dort war wohl der Steinmetz mit seinen Gesellen an der Arbeit. Herr Pirkheimer zog den Freund eine finstere Treppe hinauf und tat so heimlich, als ob es um ein Abenteuer ginge. Aber die Stufen knarrten so laut, daß sich die beiden bald verraten sahen, denn plötzlich erschien auf der Schwelle oben im Rahmen der dämmrig erhellten Tür eine jugendlich hohe Frauengestalt, die sich spähend die Treppe herunterueigte. Zugleich aber lies; sich eine kräftig tiefe Männerstimme vernehmen, die ein kriegerisches Lied voll wilder Inbrunst sang, wobei das ganze Stiegenhaus erdröhnte: „Aha, er hat uns schon gehört," lachte Herr Pirkheimer. „Sobald er Fremde in der Nähe spürt, wird er kriegerisch. Macht Euch darauf gefaßt," fügte er leise hinzu, „daß er wenig davon wissen will, daß er das Augenlicht verlor. Er tut, als wär' er noch der Alte von einst. Und ist doch so kläglich schlimm daran! Gott grüß Euch, Jungfer Felicitas! Wollt Eurem Vater sagen, daß er guten Besuch zu empfangen hat!" Aber das hohe stattliche Frauenzimmer dort oben rührte sich nicht. Es sah halb grollend, halb verlegen den ungebetenen Gästen entgegen und erwiderte nichts. Herr Pirkheimer aber, der dem fraulich Schönen in jeglicher Lage gewachsen war, zog unbeirrt das Pelzbarett vom Mähnenhaupt und verneigte sich vor der Jungfrau in schalkhafter Art und doch rin solch vollendet patri- zischer Höflichkeit, daß dem guten Kinde in jäher Verlegenheit das Blut ins Antlitz schoß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/191>, abgerufen am 03.07.2024.