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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der MiesenMui

Jahre, daß der stattliche, eben ans den hohen Schulen zu Padua und Pavia
heimgekehrte und dennoch schon angesehene junge Gelehrte die schöne Patriziers¬
tochter Crescentia Rieter durch dieses Tor zur Hochzeit geführt hatte. Doch
war die Gute schon lange tot, und Herr Willibald Pirkheimer hatte keine zweite
mehr gefreit, obgleich er schönen Frauen sehr gewogen war.

Der Ratsherr wandte sich nun einem kleinen einschiffigen Kirchlein entgegen,
das nicht ferne über dem Friedhofszaun hervorlugte. Ans Kirchlein geschmiegt
stand dort eine langgestreckte unscheinbare Hütte, aus deren hochragenden
Schornstein ein dichter Rauch sich drängend kräuselte. Und je näher Herr
Pirkheimer kam, desto fröhlicher schaute er drein, und schließlich begann er ver¬
gnüglich zu schnuppern -- es schwamm ihm durch die Winterluft gar lieblich
ein Duft nach lecker gebratenen Würstchen zu.

Und als er nun, den stämmigen Nacken gebeugt, durch die rußgeschwärzte
Türöffnung spähte, da saß in der dämmerigen Ecke und hielt ihm lächelnd den
blinkenden Krug entgegen der Mann, der seinem Herzen näher stand als irgend
ein anderer Mensch auf Erden. Es war Herr Albrecht Dürer.




Etwa ein Stündlein später wandelten die beiden Schulter an Schulter ihr
liebes Nürnberg hinab, dem Ufer der Pegnitz zu, wo sich rings um den Henker¬
steig das dichtverworrene Häuser- und Brückenwerk immer düsterer gebärdete.
Auf all dem lauschigen Gemäuer aber lagerte als festlichhelle Krönung der klare,
feierliche Schnee.

"Es wird Euch nit gereuen, den Jörg geschaut zu haben," begann Herr
Pirkheimer. "Euch ist ja das Leben in jeglicher Form willkommen. Und je
schlimmer Ihr es schaut, um so Höheres macht Ihr daraus!"

"Ihr gebt mir viel der Ehre, lieber Herr Pirkheimer," erwiderte Dürer
mit freundlichem Lächeln.

"Nicht mehr, als Euch gebührt," polterte der andere.

"Auch hab' ich diesmal vor, Euch mehr ins Handwerk zu pfuschen, als
Ihr vielleicht vertragen wollt. Aber schlechter als Euer Gedichtzeug, das Ihr
znnftwidrig hin und wieder zusammenleimt, wird mein Malzeug auch nit sein.
Also denk' ich mir das Ding in solcher Art: Ihr laßt den blinden Jörg auf
einer Trommel sitzen, wie er's im Felde oft gepflegt, und gebt ihm eine Laute
zur Hand. Das Schwert aber legt Ihr ihn: überzwerch aufs Knie, als Zeichen
seiner alten Tapferkeit. Die Landsknechte sitzen und liegen um ihn herum,
aber keiner auf der festen Erden, dieweil sie nur im Traum des Jörg vorhanden
sind, sondern jeglicher gelagert auf einem zierlich gekräuselten und geballten
Wölklein, gleich wie der Mops auf dem Daunenpfühl, und wenn Ihr noch ein
paar von den Kerlen, der heiligen symmetria wegen, fein säuberlich in die
Luft verteilen wollt, hab' ich auch nichts dagegen!"

"O weh!" rief Dürer lachend, "mir wird's im Magen wüst vor Eurer
Phantasei. Wenn Ihr lang noch fortfährt, mir Bilder zu entwerfen, will ich


Der MiesenMui

Jahre, daß der stattliche, eben ans den hohen Schulen zu Padua und Pavia
heimgekehrte und dennoch schon angesehene junge Gelehrte die schöne Patriziers¬
tochter Crescentia Rieter durch dieses Tor zur Hochzeit geführt hatte. Doch
war die Gute schon lange tot, und Herr Willibald Pirkheimer hatte keine zweite
mehr gefreit, obgleich er schönen Frauen sehr gewogen war.

Der Ratsherr wandte sich nun einem kleinen einschiffigen Kirchlein entgegen,
das nicht ferne über dem Friedhofszaun hervorlugte. Ans Kirchlein geschmiegt
stand dort eine langgestreckte unscheinbare Hütte, aus deren hochragenden
Schornstein ein dichter Rauch sich drängend kräuselte. Und je näher Herr
Pirkheimer kam, desto fröhlicher schaute er drein, und schließlich begann er ver¬
gnüglich zu schnuppern — es schwamm ihm durch die Winterluft gar lieblich
ein Duft nach lecker gebratenen Würstchen zu.

Und als er nun, den stämmigen Nacken gebeugt, durch die rußgeschwärzte
Türöffnung spähte, da saß in der dämmerigen Ecke und hielt ihm lächelnd den
blinkenden Krug entgegen der Mann, der seinem Herzen näher stand als irgend
ein anderer Mensch auf Erden. Es war Herr Albrecht Dürer.




Etwa ein Stündlein später wandelten die beiden Schulter an Schulter ihr
liebes Nürnberg hinab, dem Ufer der Pegnitz zu, wo sich rings um den Henker¬
steig das dichtverworrene Häuser- und Brückenwerk immer düsterer gebärdete.
Auf all dem lauschigen Gemäuer aber lagerte als festlichhelle Krönung der klare,
feierliche Schnee.

„Es wird Euch nit gereuen, den Jörg geschaut zu haben," begann Herr
Pirkheimer. „Euch ist ja das Leben in jeglicher Form willkommen. Und je
schlimmer Ihr es schaut, um so Höheres macht Ihr daraus!"

„Ihr gebt mir viel der Ehre, lieber Herr Pirkheimer," erwiderte Dürer
mit freundlichem Lächeln.

„Nicht mehr, als Euch gebührt," polterte der andere.

„Auch hab' ich diesmal vor, Euch mehr ins Handwerk zu pfuschen, als
Ihr vielleicht vertragen wollt. Aber schlechter als Euer Gedichtzeug, das Ihr
znnftwidrig hin und wieder zusammenleimt, wird mein Malzeug auch nit sein.
Also denk' ich mir das Ding in solcher Art: Ihr laßt den blinden Jörg auf
einer Trommel sitzen, wie er's im Felde oft gepflegt, und gebt ihm eine Laute
zur Hand. Das Schwert aber legt Ihr ihn: überzwerch aufs Knie, als Zeichen
seiner alten Tapferkeit. Die Landsknechte sitzen und liegen um ihn herum,
aber keiner auf der festen Erden, dieweil sie nur im Traum des Jörg vorhanden
sind, sondern jeglicher gelagert auf einem zierlich gekräuselten und geballten
Wölklein, gleich wie der Mops auf dem Daunenpfühl, und wenn Ihr noch ein
paar von den Kerlen, der heiligen symmetria wegen, fein säuberlich in die
Luft verteilen wollt, hab' ich auch nichts dagegen!"

„O weh!" rief Dürer lachend, „mir wird's im Magen wüst vor Eurer
Phantasei. Wenn Ihr lang noch fortfährt, mir Bilder zu entwerfen, will ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/190>, abgerufen am 22.07.2024.