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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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ZX'r Ivicsenzmi"

"Will's ihm auch fernerhin bleiben!" versetzte Pirkheimer spitzig und scharf.
"Ihr müßt des Jörgen Schicksal wohl bedenken, dann werde Ihr Einsicht kriegen
und Lust zu unterem Urteil. Ich kenne den Mann seit den Reichskriegszeiten,
da er mit mir ins Schweizerische zog. Ihr mögt mir glauben, daß ich seine
Tapferkeit nicht minder zu schätzen wußte als die Wirkung seines köstlichen Lieds
zur Laute. Auch hat er mir der Knechte Mut mit manchem kernigen Sang
gehoben. Und nun bedenkt, daß dieser .Kraftgesell, dem Wald und Heide just
das beste Losament gewesen, im Vorjahre erblindete, als das Haus am Weißen
Turm abbrannte. Meinen Antrag, zu mir auf Gut Neunhof zu kommen, hat
er rundweg abgelehnt und dabei voll Trotz behauptet, es sei nicht seine Art.
an fremden Tischen zu schmarotzen, er wolle sich vielmehr sein Brot fiir sich
und sein Kind auf ehrliche Weise verdienen. Und seht, gerade dies gefiel nur
am Jörg Graff!"

Herr Pirkheimer war, indes er also erzählte, mit den Ratskollegen die
Stiege hinab und ins Freie gelangt. Ein zarter und gelinder Schnee hatte sich
allenthalben auf den hohen Giebeldächern, den Erkern, Türmchen und Ehörlein
niedergelassen und brachte dort, wo immer er konnte, ein neckisches Häubchen,
ein Zipfelmützchen oder sonst ein launiges Lichtgezier im dunklen Gemäuer hervor.

Herr Pirkheimer verabschiedete sich etwas kühl und selbstbewußt, wie es
den Kollegen gegenüber seine Art war, und wandte sich über den Kirchhofplatz
der Se. Sebalduskirche zu, deren spitzbedachte Zwillingstürme dem fallenden
Schnee immer höher entgegenstrebten.

Der Ratsherr zog seinen mächtigen Pelz etwas fester und schritt an der
Nordseite zum östlichen Portale, vor dem er eine Weile in lächelnder Betrachtung
stehen blieb.

In halber Höhe des mächtigen Eingangs standen auf zierlichen Piedestalen
zehn wohlgemeißelte Jungfrauen, fünf zur Rechten und fünf zur Linken. Die
rechts gereihten, es waren die biblisch Klugen, hielten die steinernen Lämpchen
frohlockend empor, doch jene zur Linken trugen sie traurig gesenkt. Auch hatten
sie das Haupt nicht stolz und siegesgewiß erhoben gleich den anderen, sie hielten
es vielmehr in Demut und trüber Verwirrung geneigt. Nun war es aber gar
seltsam und ergötzlich zu sehen, wie der Schnee, den ein nächtlicher Wind
hereingetrieben, gerade den armen törichten Jungfrauen je ein weißes Kränzel
ums Haupt gesponnen hatte, indessen wunderlicherweise gerade die stolzen und
kluggesinnten dieser himmlischen Zierde ermangelten. Dieses drollige Spiel der
unbekümmerten Elenrente entsprach so recht dem witzig erregten Temperament
und der sinnlich ironischen Weltbetrachtung des großen Humanisten, vielgelehrten
Denkers und sattelgerechten Spötters Herrn Willibald Pirkheimer.

Aber noch ein anderes war es, was ihn vor dieser beredt geschlossenen
Türe ein Weilchen halten ließ. Unter ihrer hohen gotischen Wölbung pflegten
die Nürnberger Bräute zum Willkomm gesegnet zu werden, wenn sie die Kirche
zum letztenmal als Mägdlein betraten. Und nun waren es bald dreiundzwanzig


Grenzlwwi II 191S 23
ZX'r Ivicsenzmi»

„Will's ihm auch fernerhin bleiben!" versetzte Pirkheimer spitzig und scharf.
„Ihr müßt des Jörgen Schicksal wohl bedenken, dann werde Ihr Einsicht kriegen
und Lust zu unterem Urteil. Ich kenne den Mann seit den Reichskriegszeiten,
da er mit mir ins Schweizerische zog. Ihr mögt mir glauben, daß ich seine
Tapferkeit nicht minder zu schätzen wußte als die Wirkung seines köstlichen Lieds
zur Laute. Auch hat er mir der Knechte Mut mit manchem kernigen Sang
gehoben. Und nun bedenkt, daß dieser .Kraftgesell, dem Wald und Heide just
das beste Losament gewesen, im Vorjahre erblindete, als das Haus am Weißen
Turm abbrannte. Meinen Antrag, zu mir auf Gut Neunhof zu kommen, hat
er rundweg abgelehnt und dabei voll Trotz behauptet, es sei nicht seine Art.
an fremden Tischen zu schmarotzen, er wolle sich vielmehr sein Brot fiir sich
und sein Kind auf ehrliche Weise verdienen. Und seht, gerade dies gefiel nur
am Jörg Graff!"

Herr Pirkheimer war, indes er also erzählte, mit den Ratskollegen die
Stiege hinab und ins Freie gelangt. Ein zarter und gelinder Schnee hatte sich
allenthalben auf den hohen Giebeldächern, den Erkern, Türmchen und Ehörlein
niedergelassen und brachte dort, wo immer er konnte, ein neckisches Häubchen,
ein Zipfelmützchen oder sonst ein launiges Lichtgezier im dunklen Gemäuer hervor.

Herr Pirkheimer verabschiedete sich etwas kühl und selbstbewußt, wie es
den Kollegen gegenüber seine Art war, und wandte sich über den Kirchhofplatz
der Se. Sebalduskirche zu, deren spitzbedachte Zwillingstürme dem fallenden
Schnee immer höher entgegenstrebten.

Der Ratsherr zog seinen mächtigen Pelz etwas fester und schritt an der
Nordseite zum östlichen Portale, vor dem er eine Weile in lächelnder Betrachtung
stehen blieb.

In halber Höhe des mächtigen Eingangs standen auf zierlichen Piedestalen
zehn wohlgemeißelte Jungfrauen, fünf zur Rechten und fünf zur Linken. Die
rechts gereihten, es waren die biblisch Klugen, hielten die steinernen Lämpchen
frohlockend empor, doch jene zur Linken trugen sie traurig gesenkt. Auch hatten
sie das Haupt nicht stolz und siegesgewiß erhoben gleich den anderen, sie hielten
es vielmehr in Demut und trüber Verwirrung geneigt. Nun war es aber gar
seltsam und ergötzlich zu sehen, wie der Schnee, den ein nächtlicher Wind
hereingetrieben, gerade den armen törichten Jungfrauen je ein weißes Kränzel
ums Haupt gesponnen hatte, indessen wunderlicherweise gerade die stolzen und
kluggesinnten dieser himmlischen Zierde ermangelten. Dieses drollige Spiel der
unbekümmerten Elenrente entsprach so recht dem witzig erregten Temperament
und der sinnlich ironischen Weltbetrachtung des großen Humanisten, vielgelehrten
Denkers und sattelgerechten Spötters Herrn Willibald Pirkheimer.

Aber noch ein anderes war es, was ihn vor dieser beredt geschlossenen
Türe ein Weilchen halten ließ. Unter ihrer hohen gotischen Wölbung pflegten
die Nürnberger Bräute zum Willkomm gesegnet zu werden, wenn sie die Kirche
zum letztenmal als Mägdlein betraten. Und nun waren es bald dreiundzwanzig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/189>, abgerufen am 03.07.2024.