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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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gestaltet werden, daß man der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit gibt, in Ermange-
lung eines solchen Ortsstatuts eine entsprechende Anordnung zu erlassen. Das
ist nach meiner Ansicht vielleicht ein gangbarer Weg, der die Bedenken auf¬
räumt, die ich bisher der Forderung entgegengesetzt habe."

Hiernach steht man also vor der Tatsache, daß sich innerhalb weniger
Jahre bei dem Herrn Minister ein vollständiger Meinnngsnmschwung voll¬
zogen hat.




Der Wiesenzaun
Lins Dürer-Novelle
von Franz Karl Ginzkcy I.

n einem schneehellen Wintervormittag des Fevrmns l.518 diktierte
der kaiserliche Rat Herr Willibald Pirkheimer den: Schreiber ins
Nürnberger Stadtprotokoll:

"Dem Jörg Graff und sein plindten gesellen ist abgelaint,
ain Spiel mit ainer Sau zu haben, zu verhüten am aufrur."

Herr Willibald konnte dabei, der Würde des Augenblicks zum Trotz, ein
Schmunzeln nicht unterdrücken, und auch den beiden anderen gestrengen und
würdigen "deputierten Ratsherren", die ihm zur Seite standen, Herrn Hieronvmus
Holzschuher und Herrn Jakob Muffel, huschte ein Leuchten stillergötzter Mensch¬
lichkeit über den Ernst des Amtsgesichts.

Es war aber auch zu toll, was der blinde Jörg Graff, vormals frummer
Landsknecht und Soldatendichter, nunmehr mit des hohen Rats Bewilligung
"Hofierer", das heißt von Hof zu Hof wandelnder Bänkelsänger, von den ehr¬
samen Vätern der Stadt zu erbitten sich erkühnte. Der Mann wollte nichts
Geringeres, als mit einem zweiten blinden Genossen "um eine Sau kämpfen",
worunter verstanden wurde, daß man ein Schwein an einen Strick band und
den Blinden, die ihr Glück versuchen wollten, einen starken Knüppel in die Hand
gab, worauf unter dem wilden Gejohle rohgesinnter Zuschauer das traurige
"Spiel" beginnen konnte. Wer das Schwein erschlug, der durste es behalten.

Und zu solch verrückten und empörenden Beginnen hatte der tolle Jörg
Graff die Genehmigung des fürsichtigem Rates verlangt. Das konnte er allen¬
falls im Kreise seiner wüsten Kriegsgesellen probieren, keineswegs aber zu Nürn¬
berg in der wohlgesitteten Stadt.

"Ihr seid dein Manne ansonsten stets gewogen gewesen, Herr kaiserlicher
Rat", bemerkte Hieronymus Holzschuher mit spöttischem Vorwurf.


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gestaltet werden, daß man der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit gibt, in Ermange-
lung eines solchen Ortsstatuts eine entsprechende Anordnung zu erlassen. Das
ist nach meiner Ansicht vielleicht ein gangbarer Weg, der die Bedenken auf¬
räumt, die ich bisher der Forderung entgegengesetzt habe."

Hiernach steht man also vor der Tatsache, daß sich innerhalb weniger
Jahre bei dem Herrn Minister ein vollständiger Meinnngsnmschwung voll¬
zogen hat.




Der Wiesenzaun
Lins Dürer-Novelle
von Franz Karl Ginzkcy I.

n einem schneehellen Wintervormittag des Fevrmns l.518 diktierte
der kaiserliche Rat Herr Willibald Pirkheimer den: Schreiber ins
Nürnberger Stadtprotokoll:

„Dem Jörg Graff und sein plindten gesellen ist abgelaint,
ain Spiel mit ainer Sau zu haben, zu verhüten am aufrur."

Herr Willibald konnte dabei, der Würde des Augenblicks zum Trotz, ein
Schmunzeln nicht unterdrücken, und auch den beiden anderen gestrengen und
würdigen „deputierten Ratsherren", die ihm zur Seite standen, Herrn Hieronvmus
Holzschuher und Herrn Jakob Muffel, huschte ein Leuchten stillergötzter Mensch¬
lichkeit über den Ernst des Amtsgesichts.

Es war aber auch zu toll, was der blinde Jörg Graff, vormals frummer
Landsknecht und Soldatendichter, nunmehr mit des hohen Rats Bewilligung
„Hofierer", das heißt von Hof zu Hof wandelnder Bänkelsänger, von den ehr¬
samen Vätern der Stadt zu erbitten sich erkühnte. Der Mann wollte nichts
Geringeres, als mit einem zweiten blinden Genossen „um eine Sau kämpfen",
worunter verstanden wurde, daß man ein Schwein an einen Strick band und
den Blinden, die ihr Glück versuchen wollten, einen starken Knüppel in die Hand
gab, worauf unter dem wilden Gejohle rohgesinnter Zuschauer das traurige
„Spiel" beginnen konnte. Wer das Schwein erschlug, der durste es behalten.

Und zu solch verrückten und empörenden Beginnen hatte der tolle Jörg
Graff die Genehmigung des fürsichtigem Rates verlangt. Das konnte er allen¬
falls im Kreise seiner wüsten Kriegsgesellen probieren, keineswegs aber zu Nürn¬
berg in der wohlgesitteten Stadt.

„Ihr seid dein Manne ansonsten stets gewogen gewesen, Herr kaiserlicher
Rat", bemerkte Hieronymus Holzschuher mit spöttischem Vorwurf.


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[0188] Der IVicseuMm gestaltet werden, daß man der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit gibt, in Ermange- lung eines solchen Ortsstatuts eine entsprechende Anordnung zu erlassen. Das ist nach meiner Ansicht vielleicht ein gangbarer Weg, der die Bedenken auf¬ räumt, die ich bisher der Forderung entgegengesetzt habe." Hiernach steht man also vor der Tatsache, daß sich innerhalb weniger Jahre bei dem Herrn Minister ein vollständiger Meinnngsnmschwung voll¬ zogen hat. Der Wiesenzaun Lins Dürer-Novelle von Franz Karl Ginzkcy I. n einem schneehellen Wintervormittag des Fevrmns l.518 diktierte der kaiserliche Rat Herr Willibald Pirkheimer den: Schreiber ins Nürnberger Stadtprotokoll: „Dem Jörg Graff und sein plindten gesellen ist abgelaint, ain Spiel mit ainer Sau zu haben, zu verhüten am aufrur." Herr Willibald konnte dabei, der Würde des Augenblicks zum Trotz, ein Schmunzeln nicht unterdrücken, und auch den beiden anderen gestrengen und würdigen „deputierten Ratsherren", die ihm zur Seite standen, Herrn Hieronvmus Holzschuher und Herrn Jakob Muffel, huschte ein Leuchten stillergötzter Mensch¬ lichkeit über den Ernst des Amtsgesichts. Es war aber auch zu toll, was der blinde Jörg Graff, vormals frummer Landsknecht und Soldatendichter, nunmehr mit des hohen Rats Bewilligung „Hofierer", das heißt von Hof zu Hof wandelnder Bänkelsänger, von den ehr¬ samen Vätern der Stadt zu erbitten sich erkühnte. Der Mann wollte nichts Geringeres, als mit einem zweiten blinden Genossen „um eine Sau kämpfen", worunter verstanden wurde, daß man ein Schwein an einen Strick band und den Blinden, die ihr Glück versuchen wollten, einen starken Knüppel in die Hand gab, worauf unter dem wilden Gejohle rohgesinnter Zuschauer das traurige „Spiel" beginnen konnte. Wer das Schwein erschlug, der durste es behalten. Und zu solch verrückten und empörenden Beginnen hatte der tolle Jörg Graff die Genehmigung des fürsichtigem Rates verlangt. Das konnte er allen¬ falls im Kreise seiner wüsten Kriegsgesellen probieren, keineswegs aber zu Nürn¬ berg in der wohlgesitteten Stadt. „Ihr seid dein Manne ansonsten stets gewogen gewesen, Herr kaiserlicher Rat", bemerkte Hieronymus Holzschuher mit spöttischem Vorwurf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/188>, abgerufen am 01.07.2024.