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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Kohle" der Industrie?

Wie nachhaltig diese mit immer stärkerem Nachdruck betonten Forderungen
des Handwerks die Stellungnahme der Reichsregierung bereits beeinflußt haben,
zeigt am deutlichsten das Verhalten des derzeitigen Leiters unserer inneren
Wirtschaftspolitik. Noch am 1. Februar 1908 erklärte Herr Dr. Delbrück als
damaliger Handelsminister im preußischen Abgeordnetenhause unter Hinweis
auf die Ergebnisse einer amtlichen, über mehrere Regierungsbezirke ausgedehnten
Erhebung: "Ich komme also zu dem Ergebnis, daß man, so schön der
Gedanke erscheint, nicht viel erreichen würde, wenn man den Versuch machen
wollte, die Industrie heranzuziehen, daß man voraussichtlich in einzelnen
Handwerkszweigen das Handwerk geradezu schädigen würde, weil man die
Zahl der Lehrlinge durch eine derartige Anordnung eher verringern als ver¬
mehren würde. Endlich bin ich der Ansicht, daß die ganze Maßregel, selbst
wenn sie, wie Herr Abgeordneter Trimborn sagt, nur aus dem Gesichtspunkte
heraus ergriffen wird, daß man das Geld nehmen soll, wo man es bekommt,
doch den Eindruck einer kleinlichen Kriegsmaßregel machen könnte und nicht
geeignet sein dürfte, den Frieden zwischen Handwerksbetrieb und Industrie zu
fördern, den zu fördern nach meiner Ansicht im Interesse aller Beteiligten liegt."

Im Gegensatz hierzu hat Herr I)r. Delbrück als Staatssekretär des Reichs¬
amts des Innern Anlaß genommen, sich in der Sitzung des Reichstags vom
5. März d. I. zu der gleichen Frage folgendermaßen zu äußern: "Dann ist
noch einer der zurückgebliebenen, noch unerledigten Wünsche die Forderung des
Handwerks, daß die Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung beitragen
soll. Diese Forderung wird, soviel ich weiß, jetzt von allen Teilen dieses Hohen
Hauses als berechtigt anerkannt, und sie hat zweifellos auch eine gewisse grund¬
sätzliche Berechtigung. Aber wenn man den Dingen näher tritt, dann kommt
man, wie ich es auf Grund sehr eingehender Prüfung auf diesem Gebiet getan
habe, doch zu dem Ergebnis, daß die Verhältnisse für die einzelnen Industrien
in den einzelnen Teilen Deutschlands sehr verschieden sind, und daß sehr wohl
der Fall eintreten kann, daß man durch die Nötigung der Industrie, zu den
Kosten der Lehrlingsausbildung bei der Innung beizutragen, das Handwerk
nicht fördert, sondern schädigt; und deswegen, meine Herren, habe ich immer
eine gewisse Scheu gehabt, hier mit einer reichsgesetzlichen Regelung einzugreifen,
die schlechtweg die Verpflichtung der Industrie feststellt, zu den Kosten der
Lehrlingsausbildung bei den Innungen und Handwerkskammern -- denn da,
wo die Städte diese Kosten tragen, wird die Sache ja nicht akut -- beizutragen.
Ich bin aber bereit, mit den verbündeten Regierungen in eine Erörterung
darüber einzutreten, ob diese Frage vielleicht in der Weise gelöst werden kann,
daß man eine ähnliche Regelung eintreten läßt wie bei den Fortbildungs-
schulen. Man könnte die Möglichkeit schaffen, daß man durch Ortsstatut die
Pflicht der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Hand¬
werksorganisationen beizutragen, regelt. Diese Regelung könnte eventuell auch,
ähnlich wie es in der letzten Novelle zur Gewerbeordnung geschehen ist, so


Förderung des Handwerks auf Kohle» der Industrie?

Wie nachhaltig diese mit immer stärkerem Nachdruck betonten Forderungen
des Handwerks die Stellungnahme der Reichsregierung bereits beeinflußt haben,
zeigt am deutlichsten das Verhalten des derzeitigen Leiters unserer inneren
Wirtschaftspolitik. Noch am 1. Februar 1908 erklärte Herr Dr. Delbrück als
damaliger Handelsminister im preußischen Abgeordnetenhause unter Hinweis
auf die Ergebnisse einer amtlichen, über mehrere Regierungsbezirke ausgedehnten
Erhebung: „Ich komme also zu dem Ergebnis, daß man, so schön der
Gedanke erscheint, nicht viel erreichen würde, wenn man den Versuch machen
wollte, die Industrie heranzuziehen, daß man voraussichtlich in einzelnen
Handwerkszweigen das Handwerk geradezu schädigen würde, weil man die
Zahl der Lehrlinge durch eine derartige Anordnung eher verringern als ver¬
mehren würde. Endlich bin ich der Ansicht, daß die ganze Maßregel, selbst
wenn sie, wie Herr Abgeordneter Trimborn sagt, nur aus dem Gesichtspunkte
heraus ergriffen wird, daß man das Geld nehmen soll, wo man es bekommt,
doch den Eindruck einer kleinlichen Kriegsmaßregel machen könnte und nicht
geeignet sein dürfte, den Frieden zwischen Handwerksbetrieb und Industrie zu
fördern, den zu fördern nach meiner Ansicht im Interesse aller Beteiligten liegt."

Im Gegensatz hierzu hat Herr I)r. Delbrück als Staatssekretär des Reichs¬
amts des Innern Anlaß genommen, sich in der Sitzung des Reichstags vom
5. März d. I. zu der gleichen Frage folgendermaßen zu äußern: „Dann ist
noch einer der zurückgebliebenen, noch unerledigten Wünsche die Forderung des
Handwerks, daß die Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung beitragen
soll. Diese Forderung wird, soviel ich weiß, jetzt von allen Teilen dieses Hohen
Hauses als berechtigt anerkannt, und sie hat zweifellos auch eine gewisse grund¬
sätzliche Berechtigung. Aber wenn man den Dingen näher tritt, dann kommt
man, wie ich es auf Grund sehr eingehender Prüfung auf diesem Gebiet getan
habe, doch zu dem Ergebnis, daß die Verhältnisse für die einzelnen Industrien
in den einzelnen Teilen Deutschlands sehr verschieden sind, und daß sehr wohl
der Fall eintreten kann, daß man durch die Nötigung der Industrie, zu den
Kosten der Lehrlingsausbildung bei der Innung beizutragen, das Handwerk
nicht fördert, sondern schädigt; und deswegen, meine Herren, habe ich immer
eine gewisse Scheu gehabt, hier mit einer reichsgesetzlichen Regelung einzugreifen,
die schlechtweg die Verpflichtung der Industrie feststellt, zu den Kosten der
Lehrlingsausbildung bei den Innungen und Handwerkskammern — denn da,
wo die Städte diese Kosten tragen, wird die Sache ja nicht akut — beizutragen.
Ich bin aber bereit, mit den verbündeten Regierungen in eine Erörterung
darüber einzutreten, ob diese Frage vielleicht in der Weise gelöst werden kann,
daß man eine ähnliche Regelung eintreten läßt wie bei den Fortbildungs-
schulen. Man könnte die Möglichkeit schaffen, daß man durch Ortsstatut die
Pflicht der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Hand¬
werksorganisationen beizutragen, regelt. Diese Regelung könnte eventuell auch,
ähnlich wie es in der letzten Novelle zur Gewerbeordnung geschehen ist, so


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[0187] Förderung des Handwerks auf Kohle» der Industrie? Wie nachhaltig diese mit immer stärkerem Nachdruck betonten Forderungen des Handwerks die Stellungnahme der Reichsregierung bereits beeinflußt haben, zeigt am deutlichsten das Verhalten des derzeitigen Leiters unserer inneren Wirtschaftspolitik. Noch am 1. Februar 1908 erklärte Herr Dr. Delbrück als damaliger Handelsminister im preußischen Abgeordnetenhause unter Hinweis auf die Ergebnisse einer amtlichen, über mehrere Regierungsbezirke ausgedehnten Erhebung: „Ich komme also zu dem Ergebnis, daß man, so schön der Gedanke erscheint, nicht viel erreichen würde, wenn man den Versuch machen wollte, die Industrie heranzuziehen, daß man voraussichtlich in einzelnen Handwerkszweigen das Handwerk geradezu schädigen würde, weil man die Zahl der Lehrlinge durch eine derartige Anordnung eher verringern als ver¬ mehren würde. Endlich bin ich der Ansicht, daß die ganze Maßregel, selbst wenn sie, wie Herr Abgeordneter Trimborn sagt, nur aus dem Gesichtspunkte heraus ergriffen wird, daß man das Geld nehmen soll, wo man es bekommt, doch den Eindruck einer kleinlichen Kriegsmaßregel machen könnte und nicht geeignet sein dürfte, den Frieden zwischen Handwerksbetrieb und Industrie zu fördern, den zu fördern nach meiner Ansicht im Interesse aller Beteiligten liegt." Im Gegensatz hierzu hat Herr I)r. Delbrück als Staatssekretär des Reichs¬ amts des Innern Anlaß genommen, sich in der Sitzung des Reichstags vom 5. März d. I. zu der gleichen Frage folgendermaßen zu äußern: „Dann ist noch einer der zurückgebliebenen, noch unerledigten Wünsche die Forderung des Handwerks, daß die Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung beitragen soll. Diese Forderung wird, soviel ich weiß, jetzt von allen Teilen dieses Hohen Hauses als berechtigt anerkannt, und sie hat zweifellos auch eine gewisse grund¬ sätzliche Berechtigung. Aber wenn man den Dingen näher tritt, dann kommt man, wie ich es auf Grund sehr eingehender Prüfung auf diesem Gebiet getan habe, doch zu dem Ergebnis, daß die Verhältnisse für die einzelnen Industrien in den einzelnen Teilen Deutschlands sehr verschieden sind, und daß sehr wohl der Fall eintreten kann, daß man durch die Nötigung der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei der Innung beizutragen, das Handwerk nicht fördert, sondern schädigt; und deswegen, meine Herren, habe ich immer eine gewisse Scheu gehabt, hier mit einer reichsgesetzlichen Regelung einzugreifen, die schlechtweg die Verpflichtung der Industrie feststellt, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Innungen und Handwerkskammern — denn da, wo die Städte diese Kosten tragen, wird die Sache ja nicht akut — beizutragen. Ich bin aber bereit, mit den verbündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten, ob diese Frage vielleicht in der Weise gelöst werden kann, daß man eine ähnliche Regelung eintreten läßt wie bei den Fortbildungs- schulen. Man könnte die Möglichkeit schaffen, daß man durch Ortsstatut die Pflicht der Industrie, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Hand¬ werksorganisationen beizutragen, regelt. Diese Regelung könnte eventuell auch, ähnlich wie es in der letzten Novelle zur Gewerbeordnung geschehen ist, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/187>, abgerufen am 29.06.2024.