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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

auszudehnen, infolge der freundlichen Haltung der Regierung dem Handwerke
gegenüber in ziemlich weitem Umfange Rechnung getragen worden. Die im
Jahre 1904 von der Handelskammer zu Stolp herausgegebene Denkschrift:
"Die Streitigkeiten über die Zugehörigkeit zu der Handelskammer" wie auch
die bereits erwähnte Denkschrift der Leipziger Handelskammer über die Frage
"Fabrik und Handwerk" geben eine umfangreiche Zusammenstellung der in
dieser Richtung besonders markanten Fälle.

Überblickt man alle diese Wünsche und Vorschläge des Handwerks, auf
die vorstehend Bezug genommen ist, so lassen sie sich, abgesehen von dem in
der Literatur nur ganz vereinzelt auftretenden Gedanken, den Streit durch eine
gesetzliche Definition der Begriffe "Fabrik" und "Handwerk" zu erledigen und
zur Fabrik alle Betriebe zu zählen, die Massenartikel bei Arbeitsteilung durch
Maschinenbetrieb auf Vorrat herstellen, im allgemeinen in zwei Kategorien
einteilen. Der eine Teil der Handwerkerforderungen geht dahin, die Fabriken
schlechthin zu den Handwerksorganisationeu heranzuziehen und zwar dadurch,
daß entweder ein jeder Gewerbebetrieb zu den Gesamtkosten der Innungen und
der Handwerkskammern überhaupt beitragspflichtig gemacht wird oder daß nur
derjenige Betrieb herangezogen wird, der sich mit der Herstellung handwerks¬
mäßiger Arbeiten abgibt oder Arbeiter handwerksmäßig ausbildet und hand¬
werksmäßig vorgebildete Arbeiter beschäftigt.

Der andere Teil der Handwerker verlangt zwar nicht die Zugehörigkeit
der Großbetriebe zu den Handwerkerorganisationen, wohl aber ihre Beitrags¬
leistung zu deren Einrichtungen. Die Vorschläge, die in dieser Beziehung
gemacht sind, gehen dahin, daß entweder die Großindustrie generell mit
Beiträgen für die Wohlfahrtseinrichtungen der Innungen und Handwerks¬
kammern belastet oder daß ein jeder Großbetrieb, der handwerksmäßig vor¬
gebildete Arbeiter beschäftigt, wenigstens soweit an den bezeichneten Kosten
beteiligt wird, als diese für die Förderung des Lehrlings- und Gesellenwesens
verwendet werden. Diese Forderungen werden mit der Behauptung begründet,
daß die Industrie gar nicht in der Lage sei, alle Handwerker, deren sie in
ihren Betrieben benötige, selbst auszubilden, zumal die Lehrlingsausbildung in
den Fabriken zu wünschen übrig lasse. Wie die Ausbildung der Lehrlinge, so
überlasse die Industrie auch die Aufbringung der dafür nötigen Kosten lediglich
dem Handwerke, entziehe diesem aber anderseits die besten Kräfte nach vollendeter
Ausbildung. Da hierdurch der vom Handwerke so empfindlich gefühlte Mangel
an Gesellen und Lehrlingen herbeigeführt werde, so werde das Handwerk also
in doppelter Hinsicht geschädigt. Aus diesen Gründen wird es als gerecht¬
fertigt bezeichnet, die Industrie zu den Kosten der Handwerkerlehrlingsausbildung
gesetzlich heranzuziehen, und mit dem Hinweis auf Österreich, welches solche
Mitbelastung der Großbetriebe bereits kenne, suchen das Handwerk und seine
politischen Freunde den Mangel an ziffernmäßigem und statistischen Beweis-
material zu ersetzen.


Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

auszudehnen, infolge der freundlichen Haltung der Regierung dem Handwerke
gegenüber in ziemlich weitem Umfange Rechnung getragen worden. Die im
Jahre 1904 von der Handelskammer zu Stolp herausgegebene Denkschrift:
„Die Streitigkeiten über die Zugehörigkeit zu der Handelskammer" wie auch
die bereits erwähnte Denkschrift der Leipziger Handelskammer über die Frage
„Fabrik und Handwerk" geben eine umfangreiche Zusammenstellung der in
dieser Richtung besonders markanten Fälle.

Überblickt man alle diese Wünsche und Vorschläge des Handwerks, auf
die vorstehend Bezug genommen ist, so lassen sie sich, abgesehen von dem in
der Literatur nur ganz vereinzelt auftretenden Gedanken, den Streit durch eine
gesetzliche Definition der Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" zu erledigen und
zur Fabrik alle Betriebe zu zählen, die Massenartikel bei Arbeitsteilung durch
Maschinenbetrieb auf Vorrat herstellen, im allgemeinen in zwei Kategorien
einteilen. Der eine Teil der Handwerkerforderungen geht dahin, die Fabriken
schlechthin zu den Handwerksorganisationeu heranzuziehen und zwar dadurch,
daß entweder ein jeder Gewerbebetrieb zu den Gesamtkosten der Innungen und
der Handwerkskammern überhaupt beitragspflichtig gemacht wird oder daß nur
derjenige Betrieb herangezogen wird, der sich mit der Herstellung handwerks¬
mäßiger Arbeiten abgibt oder Arbeiter handwerksmäßig ausbildet und hand¬
werksmäßig vorgebildete Arbeiter beschäftigt.

Der andere Teil der Handwerker verlangt zwar nicht die Zugehörigkeit
der Großbetriebe zu den Handwerkerorganisationen, wohl aber ihre Beitrags¬
leistung zu deren Einrichtungen. Die Vorschläge, die in dieser Beziehung
gemacht sind, gehen dahin, daß entweder die Großindustrie generell mit
Beiträgen für die Wohlfahrtseinrichtungen der Innungen und Handwerks¬
kammern belastet oder daß ein jeder Großbetrieb, der handwerksmäßig vor¬
gebildete Arbeiter beschäftigt, wenigstens soweit an den bezeichneten Kosten
beteiligt wird, als diese für die Förderung des Lehrlings- und Gesellenwesens
verwendet werden. Diese Forderungen werden mit der Behauptung begründet,
daß die Industrie gar nicht in der Lage sei, alle Handwerker, deren sie in
ihren Betrieben benötige, selbst auszubilden, zumal die Lehrlingsausbildung in
den Fabriken zu wünschen übrig lasse. Wie die Ausbildung der Lehrlinge, so
überlasse die Industrie auch die Aufbringung der dafür nötigen Kosten lediglich
dem Handwerke, entziehe diesem aber anderseits die besten Kräfte nach vollendeter
Ausbildung. Da hierdurch der vom Handwerke so empfindlich gefühlte Mangel
an Gesellen und Lehrlingen herbeigeführt werde, so werde das Handwerk also
in doppelter Hinsicht geschädigt. Aus diesen Gründen wird es als gerecht¬
fertigt bezeichnet, die Industrie zu den Kosten der Handwerkerlehrlingsausbildung
gesetzlich heranzuziehen, und mit dem Hinweis auf Österreich, welches solche
Mitbelastung der Großbetriebe bereits kenne, suchen das Handwerk und seine
politischen Freunde den Mangel an ziffernmäßigem und statistischen Beweis-
material zu ersetzen.


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[0186] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? auszudehnen, infolge der freundlichen Haltung der Regierung dem Handwerke gegenüber in ziemlich weitem Umfange Rechnung getragen worden. Die im Jahre 1904 von der Handelskammer zu Stolp herausgegebene Denkschrift: „Die Streitigkeiten über die Zugehörigkeit zu der Handelskammer" wie auch die bereits erwähnte Denkschrift der Leipziger Handelskammer über die Frage „Fabrik und Handwerk" geben eine umfangreiche Zusammenstellung der in dieser Richtung besonders markanten Fälle. Überblickt man alle diese Wünsche und Vorschläge des Handwerks, auf die vorstehend Bezug genommen ist, so lassen sie sich, abgesehen von dem in der Literatur nur ganz vereinzelt auftretenden Gedanken, den Streit durch eine gesetzliche Definition der Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" zu erledigen und zur Fabrik alle Betriebe zu zählen, die Massenartikel bei Arbeitsteilung durch Maschinenbetrieb auf Vorrat herstellen, im allgemeinen in zwei Kategorien einteilen. Der eine Teil der Handwerkerforderungen geht dahin, die Fabriken schlechthin zu den Handwerksorganisationeu heranzuziehen und zwar dadurch, daß entweder ein jeder Gewerbebetrieb zu den Gesamtkosten der Innungen und der Handwerkskammern überhaupt beitragspflichtig gemacht wird oder daß nur derjenige Betrieb herangezogen wird, der sich mit der Herstellung handwerks¬ mäßiger Arbeiten abgibt oder Arbeiter handwerksmäßig ausbildet und hand¬ werksmäßig vorgebildete Arbeiter beschäftigt. Der andere Teil der Handwerker verlangt zwar nicht die Zugehörigkeit der Großbetriebe zu den Handwerkerorganisationen, wohl aber ihre Beitrags¬ leistung zu deren Einrichtungen. Die Vorschläge, die in dieser Beziehung gemacht sind, gehen dahin, daß entweder die Großindustrie generell mit Beiträgen für die Wohlfahrtseinrichtungen der Innungen und Handwerks¬ kammern belastet oder daß ein jeder Großbetrieb, der handwerksmäßig vor¬ gebildete Arbeiter beschäftigt, wenigstens soweit an den bezeichneten Kosten beteiligt wird, als diese für die Förderung des Lehrlings- und Gesellenwesens verwendet werden. Diese Forderungen werden mit der Behauptung begründet, daß die Industrie gar nicht in der Lage sei, alle Handwerker, deren sie in ihren Betrieben benötige, selbst auszubilden, zumal die Lehrlingsausbildung in den Fabriken zu wünschen übrig lasse. Wie die Ausbildung der Lehrlinge, so überlasse die Industrie auch die Aufbringung der dafür nötigen Kosten lediglich dem Handwerke, entziehe diesem aber anderseits die besten Kräfte nach vollendeter Ausbildung. Da hierdurch der vom Handwerke so empfindlich gefühlte Mangel an Gesellen und Lehrlingen herbeigeführt werde, so werde das Handwerk also in doppelter Hinsicht geschädigt. Aus diesen Gründen wird es als gerecht¬ fertigt bezeichnet, die Industrie zu den Kosten der Handwerkerlehrlingsausbildung gesetzlich heranzuziehen, und mit dem Hinweis auf Österreich, welches solche Mitbelastung der Großbetriebe bereits kenne, suchen das Handwerk und seine politischen Freunde den Mangel an ziffernmäßigem und statistischen Beweis- material zu ersetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/186>, abgerufen am 26.06.2024.