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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

zu ziehen, indem er ausführte: "Weder in der Kommission noch in den Kreisen
der verbündeten Regierungen hat eine Meinungsverschiedenheit darüber bestanden,
daß die von dem ß 94c den Innungen eingeräumte Befugnis, die Betriebe der
Jnnungsmitglieder revidieren zu können, sich nicht bezieht auf diejenigen Betriebe,
die dem industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe angehören. ... Es ist
von keiner Seite beabsichtigt, den Innungen das Recht einzuräumen, auch die
Vetriebsstätten der Industrie und der Landwirtschaft einer Revision zu unter¬
ziehen, in denen Handwerker arbeiten, welche von der Industrie und Land¬
wirtschaft beschäftigt werden. Um das klarer zum Ausdruck zu bringen, haben
wir den Antrag auf Ur. 912 (-- der angenommen wurde --) gestellt*)."

Trotz dieser vorgetragenen Bedenken setzten sich sowohl die Regierung wie
die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten über die nicht zu leugnende Unklarheit
hinweg und zwar deshalb, weil, wie ans den Materialien zur Handwerker¬
novelle von 1897, den Verhandlungen, Kommissionsberatungen und endlich aus
den verschiedenen Bestimmungen dieses Gesetzes selbst mit unzweifelhafter Deutlich¬
keit zu ersehen ist, allgemein "Handwerksstand" und "Kleingewerbe" als gleich¬
bedeutend, dagegen "Handwerker" und "Angehörige der Großindustrie", "Hand¬
werk" und "Großgewerbe" oder "Großbetrieb" als Gegensätze betrachtet und
angesehen wurden.

Besonders geht dieses auch aus der Bestimmung des Z 129, Absatz 4,
hervor, der von der Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen in einem Hand¬
werksbetriebe und auch in einem dem Gewerbe ungehörigen Großbetriebe handelt.
Die scharfe Gegenüberstellung von "Handwerksbetrieb" und "Großbetrieb" gerade
an dieser Stelle läßt keine andere Deutung zu, als daß das Gesetz das Hand¬
werk zu den kleingewerblichen Betrieben rechnen will. Dieser Auffassung, die
allein der Tendenz des Gesetzes entspricht, schließen sich denn auch die Kommen¬
tatoren der Gewerbeordnung, Landmann, Nelke u. a. an, und das gleiche
ergibt sich aus den Erlassen des preußischen Handelsministers vom 16. Januar
und 12. August 1902, nach welchen die in den Z§ 129 bis 132 u getroffenen
besonderen Bestimmungen für Handwerker keine Anwendung auf "Fabrikarbeiter"
finden sollen. Steht demnach für einen Betrieb fest, daß auf ihn die §Z 134 ff.,
die für die Verhältnisse der Fabrikarbeiter gelten, anzuwenden sind, so folgt
daraus, daß dieser Betrieb auch in bezug auf die Bestimmungen über die Zwangs¬
innungen und Handwerkskammern nicht als ein handwerksmäßiger anzusehen ist.

Für die Streitfrage "Fabrik oder Handwerk" kommen von dem Inhalte
der mehrerwähnten Gesetze von 1897 und 1908 in erster Linie in Betracht die
Bestimmungen über die Zwangsinnungen 100 u. f.), über die Handwerks¬
kammern (H 103 u. f.) und über das Lehrlingswesen (H 129 u. f.). Die
Aufgaben und Rechte der Zwangsinnungen, zu denen nur die selbständigen, ein
stehendes Gewerbe betreibenden Handwerker gehören, sind kurz folgende:



*) A, a. O., S. S187.
Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

zu ziehen, indem er ausführte: „Weder in der Kommission noch in den Kreisen
der verbündeten Regierungen hat eine Meinungsverschiedenheit darüber bestanden,
daß die von dem ß 94c den Innungen eingeräumte Befugnis, die Betriebe der
Jnnungsmitglieder revidieren zu können, sich nicht bezieht auf diejenigen Betriebe,
die dem industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe angehören. ... Es ist
von keiner Seite beabsichtigt, den Innungen das Recht einzuräumen, auch die
Vetriebsstätten der Industrie und der Landwirtschaft einer Revision zu unter¬
ziehen, in denen Handwerker arbeiten, welche von der Industrie und Land¬
wirtschaft beschäftigt werden. Um das klarer zum Ausdruck zu bringen, haben
wir den Antrag auf Ur. 912 (— der angenommen wurde —) gestellt*)."

Trotz dieser vorgetragenen Bedenken setzten sich sowohl die Regierung wie
die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten über die nicht zu leugnende Unklarheit
hinweg und zwar deshalb, weil, wie ans den Materialien zur Handwerker¬
novelle von 1897, den Verhandlungen, Kommissionsberatungen und endlich aus
den verschiedenen Bestimmungen dieses Gesetzes selbst mit unzweifelhafter Deutlich¬
keit zu ersehen ist, allgemein „Handwerksstand" und „Kleingewerbe" als gleich¬
bedeutend, dagegen „Handwerker" und „Angehörige der Großindustrie", „Hand¬
werk" und „Großgewerbe" oder „Großbetrieb" als Gegensätze betrachtet und
angesehen wurden.

Besonders geht dieses auch aus der Bestimmung des Z 129, Absatz 4,
hervor, der von der Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen in einem Hand¬
werksbetriebe und auch in einem dem Gewerbe ungehörigen Großbetriebe handelt.
Die scharfe Gegenüberstellung von „Handwerksbetrieb" und „Großbetrieb" gerade
an dieser Stelle läßt keine andere Deutung zu, als daß das Gesetz das Hand¬
werk zu den kleingewerblichen Betrieben rechnen will. Dieser Auffassung, die
allein der Tendenz des Gesetzes entspricht, schließen sich denn auch die Kommen¬
tatoren der Gewerbeordnung, Landmann, Nelke u. a. an, und das gleiche
ergibt sich aus den Erlassen des preußischen Handelsministers vom 16. Januar
und 12. August 1902, nach welchen die in den Z§ 129 bis 132 u getroffenen
besonderen Bestimmungen für Handwerker keine Anwendung auf „Fabrikarbeiter"
finden sollen. Steht demnach für einen Betrieb fest, daß auf ihn die §Z 134 ff.,
die für die Verhältnisse der Fabrikarbeiter gelten, anzuwenden sind, so folgt
daraus, daß dieser Betrieb auch in bezug auf die Bestimmungen über die Zwangs¬
innungen und Handwerkskammern nicht als ein handwerksmäßiger anzusehen ist.

Für die Streitfrage „Fabrik oder Handwerk" kommen von dem Inhalte
der mehrerwähnten Gesetze von 1897 und 1908 in erster Linie in Betracht die
Bestimmungen über die Zwangsinnungen 100 u. f.), über die Handwerks¬
kammern (H 103 u. f.) und über das Lehrlingswesen (H 129 u. f.). Die
Aufgaben und Rechte der Zwangsinnungen, zu denen nur die selbständigen, ein
stehendes Gewerbe betreibenden Handwerker gehören, sind kurz folgende:



*) A, a. O., S. S187.
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[0178] Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie? zu ziehen, indem er ausführte: „Weder in der Kommission noch in den Kreisen der verbündeten Regierungen hat eine Meinungsverschiedenheit darüber bestanden, daß die von dem ß 94c den Innungen eingeräumte Befugnis, die Betriebe der Jnnungsmitglieder revidieren zu können, sich nicht bezieht auf diejenigen Betriebe, die dem industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe angehören. ... Es ist von keiner Seite beabsichtigt, den Innungen das Recht einzuräumen, auch die Vetriebsstätten der Industrie und der Landwirtschaft einer Revision zu unter¬ ziehen, in denen Handwerker arbeiten, welche von der Industrie und Land¬ wirtschaft beschäftigt werden. Um das klarer zum Ausdruck zu bringen, haben wir den Antrag auf Ur. 912 (— der angenommen wurde —) gestellt*)." Trotz dieser vorgetragenen Bedenken setzten sich sowohl die Regierung wie die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten über die nicht zu leugnende Unklarheit hinweg und zwar deshalb, weil, wie ans den Materialien zur Handwerker¬ novelle von 1897, den Verhandlungen, Kommissionsberatungen und endlich aus den verschiedenen Bestimmungen dieses Gesetzes selbst mit unzweifelhafter Deutlich¬ keit zu ersehen ist, allgemein „Handwerksstand" und „Kleingewerbe" als gleich¬ bedeutend, dagegen „Handwerker" und „Angehörige der Großindustrie", „Hand¬ werk" und „Großgewerbe" oder „Großbetrieb" als Gegensätze betrachtet und angesehen wurden. Besonders geht dieses auch aus der Bestimmung des Z 129, Absatz 4, hervor, der von der Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen in einem Hand¬ werksbetriebe und auch in einem dem Gewerbe ungehörigen Großbetriebe handelt. Die scharfe Gegenüberstellung von „Handwerksbetrieb" und „Großbetrieb" gerade an dieser Stelle läßt keine andere Deutung zu, als daß das Gesetz das Hand¬ werk zu den kleingewerblichen Betrieben rechnen will. Dieser Auffassung, die allein der Tendenz des Gesetzes entspricht, schließen sich denn auch die Kommen¬ tatoren der Gewerbeordnung, Landmann, Nelke u. a. an, und das gleiche ergibt sich aus den Erlassen des preußischen Handelsministers vom 16. Januar und 12. August 1902, nach welchen die in den Z§ 129 bis 132 u getroffenen besonderen Bestimmungen für Handwerker keine Anwendung auf „Fabrikarbeiter" finden sollen. Steht demnach für einen Betrieb fest, daß auf ihn die §Z 134 ff., die für die Verhältnisse der Fabrikarbeiter gelten, anzuwenden sind, so folgt daraus, daß dieser Betrieb auch in bezug auf die Bestimmungen über die Zwangs¬ innungen und Handwerkskammern nicht als ein handwerksmäßiger anzusehen ist. Für die Streitfrage „Fabrik oder Handwerk" kommen von dem Inhalte der mehrerwähnten Gesetze von 1897 und 1908 in erster Linie in Betracht die Bestimmungen über die Zwangsinnungen 100 u. f.), über die Handwerks¬ kammern (H 103 u. f.) und über das Lehrlingswesen (H 129 u. f.). Die Aufgaben und Rechte der Zwangsinnungen, zu denen nur die selbständigen, ein stehendes Gewerbe betreibenden Handwerker gehören, sind kurz folgende: *) A, a. O., S. S187.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/178>, abgerufen am 01.07.2024.