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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

Pflege des Gemeingeistes sowie Aufrechterhaltung und Stärkung der
Standesehre; Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und
Gesellen, insbesondere durch Errichtung von Jnnungsämtern, Jnnungsarbeits-
nachweisen usw.; Bildung von Schiedsgerichten zur Schlichtung von Streitig¬
keiten zwischen Jnnungsmitgliedern einerseits und Gesellen, ungelernten Arbeitern,
Handlungsgehilfen und Betriebsbeamten anderseits; die Einrichtung und Leitung
von Fortbildungs-- oder Fachschulen und Anregung von Veranstaltungen zur
Förderung der gemeinsamen gewerklichen Interessen der Jnnungsmitglieder; der
Erlaß von Vorschriften zur näheren Regelung des Lehrlingswesens, falls dies
nicht bereits durch die Handwerkskammer geschehen ist, wie z. B. über die
Höchstzahl der zu haltenden Lehrlinge und über die Notwendigkeit des Abschlusses
von Lehrlingsverträgen vor der Innung; die Verpflichtung, einen Gesellen- und
Prüfungsausschuß einzurichten; die Erhebung von Beiträgen und Gebühren; der
Erlaß von Ordnungsstrafen gegen die Mitglieder und endlich die Beaufsichtigung
der Handwerksbetriebe durch Beauftragte dahin, ob die gesetzlichen oder statuta¬
rischen Vorschriften beachtet werden.

Die Handwerkskammern sollen der Vertretung der Interessen des Hand¬
werks eines bestimmten Bezirks dienen. Ihrer Zuständigkeit sind die Fabrik¬
betriebe entzogen, so daß hinwiederum Fabrikanten, die Mitglieder einer freien
Innung sind, nicht in die Handwerkskammern gewählt werden dürfen. Außer
der Vertretung des Handwerks und der Vermittlung zwischen diesem und den
Behörden haben die Handwerkskammern folgende Rechte und Aufgaben:

Die nähere Regelung des Lehrlingswesens: Festsetzung der Bestimmungen
über Form und Inhalt der Lehrverträge, Festsetzung der Höchstzahl der zu
haltenden Lehrlinge und der Dauer der Lehrzeit, Überwachung der Durch¬
führung der für das Lehrlingswesen getroffenen Vorschriften durch Beauftragte
und Einrichtung eines Gesellenausschusses, der vor allem, bei dem Erlaß von
Vorschriften über die Regelung des Lehrlingswesens mitzuwirken hat; die
Bildung von Prüfungsausschüssen zur Abnahme der Gesellenprüfung und von
AuSschüssea zur Entscheidung über die Beanstandung von Beschlüssen der Prüfungs¬
ausschüsse; die Befugnis, Veranstaltungen zur Förderung der Ausbildung der
Meister, Gesellen und Lehrlinge zu treffen, also zur Einrichtung von Meister-
und Gesellenkursen, zur Einrichtung von Auskunftsstellen; Bildung von Unter-
stütznngsgenossenschaften; das Recht zur Einrichtung und Unterstützung von
Fachschulen, zur Erhebung von Beiträgen durch die Gemeinden, falls nicht
größeren Kommunalverbänden die Kosten auferlegt sind, wie dies z. B. in
Hamburg, Bayern und anderweit geschehen ist, zur Erhebung von Gebühren für
die Benutzung der Einrichtungen der Kammern und zum Erlaß von Ordnungs¬
strafen für Zuwiderhandlungen gegen die von der Kammer erlassenen Vorschriften.

Das Lehrlingswesen ist im Titel VII der Gewerbeordnung, der die Vor¬
schriften für gewerbliche Arbeiter überhaupt umfaßt, gesetzlich geregelt. Die
Bestimmungen für die zum Handwerk gehörigen Lehrlinge sind dortselbst in den


Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

Pflege des Gemeingeistes sowie Aufrechterhaltung und Stärkung der
Standesehre; Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und
Gesellen, insbesondere durch Errichtung von Jnnungsämtern, Jnnungsarbeits-
nachweisen usw.; Bildung von Schiedsgerichten zur Schlichtung von Streitig¬
keiten zwischen Jnnungsmitgliedern einerseits und Gesellen, ungelernten Arbeitern,
Handlungsgehilfen und Betriebsbeamten anderseits; die Einrichtung und Leitung
von Fortbildungs-- oder Fachschulen und Anregung von Veranstaltungen zur
Förderung der gemeinsamen gewerklichen Interessen der Jnnungsmitglieder; der
Erlaß von Vorschriften zur näheren Regelung des Lehrlingswesens, falls dies
nicht bereits durch die Handwerkskammer geschehen ist, wie z. B. über die
Höchstzahl der zu haltenden Lehrlinge und über die Notwendigkeit des Abschlusses
von Lehrlingsverträgen vor der Innung; die Verpflichtung, einen Gesellen- und
Prüfungsausschuß einzurichten; die Erhebung von Beiträgen und Gebühren; der
Erlaß von Ordnungsstrafen gegen die Mitglieder und endlich die Beaufsichtigung
der Handwerksbetriebe durch Beauftragte dahin, ob die gesetzlichen oder statuta¬
rischen Vorschriften beachtet werden.

Die Handwerkskammern sollen der Vertretung der Interessen des Hand¬
werks eines bestimmten Bezirks dienen. Ihrer Zuständigkeit sind die Fabrik¬
betriebe entzogen, so daß hinwiederum Fabrikanten, die Mitglieder einer freien
Innung sind, nicht in die Handwerkskammern gewählt werden dürfen. Außer
der Vertretung des Handwerks und der Vermittlung zwischen diesem und den
Behörden haben die Handwerkskammern folgende Rechte und Aufgaben:

Die nähere Regelung des Lehrlingswesens: Festsetzung der Bestimmungen
über Form und Inhalt der Lehrverträge, Festsetzung der Höchstzahl der zu
haltenden Lehrlinge und der Dauer der Lehrzeit, Überwachung der Durch¬
führung der für das Lehrlingswesen getroffenen Vorschriften durch Beauftragte
und Einrichtung eines Gesellenausschusses, der vor allem, bei dem Erlaß von
Vorschriften über die Regelung des Lehrlingswesens mitzuwirken hat; die
Bildung von Prüfungsausschüssen zur Abnahme der Gesellenprüfung und von
AuSschüssea zur Entscheidung über die Beanstandung von Beschlüssen der Prüfungs¬
ausschüsse; die Befugnis, Veranstaltungen zur Förderung der Ausbildung der
Meister, Gesellen und Lehrlinge zu treffen, also zur Einrichtung von Meister-
und Gesellenkursen, zur Einrichtung von Auskunftsstellen; Bildung von Unter-
stütznngsgenossenschaften; das Recht zur Einrichtung und Unterstützung von
Fachschulen, zur Erhebung von Beiträgen durch die Gemeinden, falls nicht
größeren Kommunalverbänden die Kosten auferlegt sind, wie dies z. B. in
Hamburg, Bayern und anderweit geschehen ist, zur Erhebung von Gebühren für
die Benutzung der Einrichtungen der Kammern und zum Erlaß von Ordnungs¬
strafen für Zuwiderhandlungen gegen die von der Kammer erlassenen Vorschriften.

Das Lehrlingswesen ist im Titel VII der Gewerbeordnung, der die Vor¬
schriften für gewerbliche Arbeiter überhaupt umfaßt, gesetzlich geregelt. Die
Bestimmungen für die zum Handwerk gehörigen Lehrlinge sind dortselbst in den


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[0179] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? Pflege des Gemeingeistes sowie Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre; Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, insbesondere durch Errichtung von Jnnungsämtern, Jnnungsarbeits- nachweisen usw.; Bildung von Schiedsgerichten zur Schlichtung von Streitig¬ keiten zwischen Jnnungsmitgliedern einerseits und Gesellen, ungelernten Arbeitern, Handlungsgehilfen und Betriebsbeamten anderseits; die Einrichtung und Leitung von Fortbildungs-- oder Fachschulen und Anregung von Veranstaltungen zur Förderung der gemeinsamen gewerklichen Interessen der Jnnungsmitglieder; der Erlaß von Vorschriften zur näheren Regelung des Lehrlingswesens, falls dies nicht bereits durch die Handwerkskammer geschehen ist, wie z. B. über die Höchstzahl der zu haltenden Lehrlinge und über die Notwendigkeit des Abschlusses von Lehrlingsverträgen vor der Innung; die Verpflichtung, einen Gesellen- und Prüfungsausschuß einzurichten; die Erhebung von Beiträgen und Gebühren; der Erlaß von Ordnungsstrafen gegen die Mitglieder und endlich die Beaufsichtigung der Handwerksbetriebe durch Beauftragte dahin, ob die gesetzlichen oder statuta¬ rischen Vorschriften beachtet werden. Die Handwerkskammern sollen der Vertretung der Interessen des Hand¬ werks eines bestimmten Bezirks dienen. Ihrer Zuständigkeit sind die Fabrik¬ betriebe entzogen, so daß hinwiederum Fabrikanten, die Mitglieder einer freien Innung sind, nicht in die Handwerkskammern gewählt werden dürfen. Außer der Vertretung des Handwerks und der Vermittlung zwischen diesem und den Behörden haben die Handwerkskammern folgende Rechte und Aufgaben: Die nähere Regelung des Lehrlingswesens: Festsetzung der Bestimmungen über Form und Inhalt der Lehrverträge, Festsetzung der Höchstzahl der zu haltenden Lehrlinge und der Dauer der Lehrzeit, Überwachung der Durch¬ führung der für das Lehrlingswesen getroffenen Vorschriften durch Beauftragte und Einrichtung eines Gesellenausschusses, der vor allem, bei dem Erlaß von Vorschriften über die Regelung des Lehrlingswesens mitzuwirken hat; die Bildung von Prüfungsausschüssen zur Abnahme der Gesellenprüfung und von AuSschüssea zur Entscheidung über die Beanstandung von Beschlüssen der Prüfungs¬ ausschüsse; die Befugnis, Veranstaltungen zur Förderung der Ausbildung der Meister, Gesellen und Lehrlinge zu treffen, also zur Einrichtung von Meister- und Gesellenkursen, zur Einrichtung von Auskunftsstellen; Bildung von Unter- stütznngsgenossenschaften; das Recht zur Einrichtung und Unterstützung von Fachschulen, zur Erhebung von Beiträgen durch die Gemeinden, falls nicht größeren Kommunalverbänden die Kosten auferlegt sind, wie dies z. B. in Hamburg, Bayern und anderweit geschehen ist, zur Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen der Kammern und zum Erlaß von Ordnungs¬ strafen für Zuwiderhandlungen gegen die von der Kammer erlassenen Vorschriften. Das Lehrlingswesen ist im Titel VII der Gewerbeordnung, der die Vor¬ schriften für gewerbliche Arbeiter überhaupt umfaßt, gesetzlich geregelt. Die Bestimmungen für die zum Handwerk gehörigen Lehrlinge sind dortselbst in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/179>, abgerufen am 03.07.2024.