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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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von unserer lieben Muttersprache

vorzuherrschen. "Ackersmann" als Bezeichnung des Berufs hat ein s, der
weitverbreitete Familienname hat aus alter Zeit die Form Ackermann bewahrt.
Die Russen haben, wie es scheint, kein Verständnis für das Binde-s; der Name
ihrer Hauptstadt, der ja deutsch ist, lautet im Russischen Peterburg, während
wir Petersburg sagen, welche Form anch von den Franzosen und Engländern
angenommen wurde.

Nicht immer ist das Binde-s ganz willkürlich und launenhaft. Dies zeigt
der feine Unterschied zwischen Wassersnot und Wassernot. Wassersnot entsteht,
weil zuviel Wasser, Wassernot, weil kein Wasser da ist. Das Wasser nimmt
sonst der Regel nach kein s zu sich; z. B. in Wasserglas, Wasserdruck (wo das
Wasser als Kraft gedacht ist). Ähnlich ist es mit Feuer: Feuerwehr, Feuer¬
leiter, aber Feuersnot. Ich erklärte mir den Unterschied in folgender Weise:
In Wassersnot wie in Feuersnot stehen die beiden verbundenen Wörter in einem
tieferen inneren Zusammenhang als z. B. in Wasserglas usf. Das Wasser ist
die Ursache der Not, es erzeugt sie durch seine Fluten wie das Feuer durch
seine Gluten. Der Genetiv -- Wassers, Feuers -- macht seinem Namen
Ehre; er zeigt sich als richtiger "Genetiv" (Zeugefall). Bei Wassernot dagegen
führt nicht das Wasser, sondern der Mangel an Wasser die Not herbei. Auch
in Hungersnot und in "Hungers sterben" haben wir wohl diesen Genetiv.
Man vergleiche auch liebeleer, lieblos, dagegen liebeskrank, liebestoll
(krank, toll durch Liebe); gefühllos, dagegen gefühlsselig.

Das s bei weiblichen Wörtern erscheint vielleicht weniger verwunderlich,
wenn man sich an den sächsischen Genetiv im Englischen erinnert, der ja auch
bei weiblichen Hauptwörtern Anwendung findet (mottier's book). Wir sprechen
ja auch wohl von Mutters Buch, Mutters Geburtstag. Bemerkenswert sind
auch Genetivsormen wie "des Nachts". Das Binde-s soll aber in der Regel
offenbar der Kitt sein, der die Wörter zusammenhält und zu einem
Ganzen verbindet. Oft dient es auch dazu, die Aussprache zu erleichtern.
Der verehrte Leser möge die Probe machen, indem er z. B. Zukunftsmusik,
Unterhaltungsblatt, sehnsuchtsvoll, hoffnungsvoll, Frühlingstag
ohne s ausspricht. Es wird dann wohl immer eine fast unmerkliche Pause
zwischen den zwei Wörtern entstehen. Hätten wir vokalische Endungen, würden
wir wohl klangvollere Bindelaute verwenden. Wo das s störend ist, sollte es
beseitigt werden. Wir sagen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, warum nicht auch
arbeitwillig, arbeitlos, arbeitscheu?

Daß unser Volk sich nach Belehrung über sprachliche Dinge sehnt, beweist
der große Erfolg, den Ed. Engels "Deutsche Stilkunst" (Leipzig, G. Freytag)
erzielt hat. Allerdings ist es ein Lehrbuch von besonderer Art; es ist mit Geist,
Wissen und Geschmack und dabei auch mit marinen Herzen und frischem Humor
geschrieben. An einer erstaunlichen Fülle von Beispielen zeigt es nicht bloß,
wie es nicht gemacht, sondern auch wie es gemacht werden soll. Einzelne
Bemerkungen, zu denen das Buch Anlaß geben könnte, muß ich mir versagen;


Ärenzboten II 1912 18
von unserer lieben Muttersprache

vorzuherrschen. „Ackersmann" als Bezeichnung des Berufs hat ein s, der
weitverbreitete Familienname hat aus alter Zeit die Form Ackermann bewahrt.
Die Russen haben, wie es scheint, kein Verständnis für das Binde-s; der Name
ihrer Hauptstadt, der ja deutsch ist, lautet im Russischen Peterburg, während
wir Petersburg sagen, welche Form anch von den Franzosen und Engländern
angenommen wurde.

Nicht immer ist das Binde-s ganz willkürlich und launenhaft. Dies zeigt
der feine Unterschied zwischen Wassersnot und Wassernot. Wassersnot entsteht,
weil zuviel Wasser, Wassernot, weil kein Wasser da ist. Das Wasser nimmt
sonst der Regel nach kein s zu sich; z. B. in Wasserglas, Wasserdruck (wo das
Wasser als Kraft gedacht ist). Ähnlich ist es mit Feuer: Feuerwehr, Feuer¬
leiter, aber Feuersnot. Ich erklärte mir den Unterschied in folgender Weise:
In Wassersnot wie in Feuersnot stehen die beiden verbundenen Wörter in einem
tieferen inneren Zusammenhang als z. B. in Wasserglas usf. Das Wasser ist
die Ursache der Not, es erzeugt sie durch seine Fluten wie das Feuer durch
seine Gluten. Der Genetiv — Wassers, Feuers — macht seinem Namen
Ehre; er zeigt sich als richtiger „Genetiv" (Zeugefall). Bei Wassernot dagegen
führt nicht das Wasser, sondern der Mangel an Wasser die Not herbei. Auch
in Hungersnot und in „Hungers sterben" haben wir wohl diesen Genetiv.
Man vergleiche auch liebeleer, lieblos, dagegen liebeskrank, liebestoll
(krank, toll durch Liebe); gefühllos, dagegen gefühlsselig.

Das s bei weiblichen Wörtern erscheint vielleicht weniger verwunderlich,
wenn man sich an den sächsischen Genetiv im Englischen erinnert, der ja auch
bei weiblichen Hauptwörtern Anwendung findet (mottier's book). Wir sprechen
ja auch wohl von Mutters Buch, Mutters Geburtstag. Bemerkenswert sind
auch Genetivsormen wie „des Nachts". Das Binde-s soll aber in der Regel
offenbar der Kitt sein, der die Wörter zusammenhält und zu einem
Ganzen verbindet. Oft dient es auch dazu, die Aussprache zu erleichtern.
Der verehrte Leser möge die Probe machen, indem er z. B. Zukunftsmusik,
Unterhaltungsblatt, sehnsuchtsvoll, hoffnungsvoll, Frühlingstag
ohne s ausspricht. Es wird dann wohl immer eine fast unmerkliche Pause
zwischen den zwei Wörtern entstehen. Hätten wir vokalische Endungen, würden
wir wohl klangvollere Bindelaute verwenden. Wo das s störend ist, sollte es
beseitigt werden. Wir sagen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, warum nicht auch
arbeitwillig, arbeitlos, arbeitscheu?

Daß unser Volk sich nach Belehrung über sprachliche Dinge sehnt, beweist
der große Erfolg, den Ed. Engels „Deutsche Stilkunst" (Leipzig, G. Freytag)
erzielt hat. Allerdings ist es ein Lehrbuch von besonderer Art; es ist mit Geist,
Wissen und Geschmack und dabei auch mit marinen Herzen und frischem Humor
geschrieben. An einer erstaunlichen Fülle von Beispielen zeigt es nicht bloß,
wie es nicht gemacht, sondern auch wie es gemacht werden soll. Einzelne
Bemerkungen, zu denen das Buch Anlaß geben könnte, muß ich mir versagen;


Ärenzboten II 1912 18
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[0149] von unserer lieben Muttersprache vorzuherrschen. „Ackersmann" als Bezeichnung des Berufs hat ein s, der weitverbreitete Familienname hat aus alter Zeit die Form Ackermann bewahrt. Die Russen haben, wie es scheint, kein Verständnis für das Binde-s; der Name ihrer Hauptstadt, der ja deutsch ist, lautet im Russischen Peterburg, während wir Petersburg sagen, welche Form anch von den Franzosen und Engländern angenommen wurde. Nicht immer ist das Binde-s ganz willkürlich und launenhaft. Dies zeigt der feine Unterschied zwischen Wassersnot und Wassernot. Wassersnot entsteht, weil zuviel Wasser, Wassernot, weil kein Wasser da ist. Das Wasser nimmt sonst der Regel nach kein s zu sich; z. B. in Wasserglas, Wasserdruck (wo das Wasser als Kraft gedacht ist). Ähnlich ist es mit Feuer: Feuerwehr, Feuer¬ leiter, aber Feuersnot. Ich erklärte mir den Unterschied in folgender Weise: In Wassersnot wie in Feuersnot stehen die beiden verbundenen Wörter in einem tieferen inneren Zusammenhang als z. B. in Wasserglas usf. Das Wasser ist die Ursache der Not, es erzeugt sie durch seine Fluten wie das Feuer durch seine Gluten. Der Genetiv — Wassers, Feuers — macht seinem Namen Ehre; er zeigt sich als richtiger „Genetiv" (Zeugefall). Bei Wassernot dagegen führt nicht das Wasser, sondern der Mangel an Wasser die Not herbei. Auch in Hungersnot und in „Hungers sterben" haben wir wohl diesen Genetiv. Man vergleiche auch liebeleer, lieblos, dagegen liebeskrank, liebestoll (krank, toll durch Liebe); gefühllos, dagegen gefühlsselig. Das s bei weiblichen Wörtern erscheint vielleicht weniger verwunderlich, wenn man sich an den sächsischen Genetiv im Englischen erinnert, der ja auch bei weiblichen Hauptwörtern Anwendung findet (mottier's book). Wir sprechen ja auch wohl von Mutters Buch, Mutters Geburtstag. Bemerkenswert sind auch Genetivsormen wie „des Nachts". Das Binde-s soll aber in der Regel offenbar der Kitt sein, der die Wörter zusammenhält und zu einem Ganzen verbindet. Oft dient es auch dazu, die Aussprache zu erleichtern. Der verehrte Leser möge die Probe machen, indem er z. B. Zukunftsmusik, Unterhaltungsblatt, sehnsuchtsvoll, hoffnungsvoll, Frühlingstag ohne s ausspricht. Es wird dann wohl immer eine fast unmerkliche Pause zwischen den zwei Wörtern entstehen. Hätten wir vokalische Endungen, würden wir wohl klangvollere Bindelaute verwenden. Wo das s störend ist, sollte es beseitigt werden. Wir sagen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, warum nicht auch arbeitwillig, arbeitlos, arbeitscheu? Daß unser Volk sich nach Belehrung über sprachliche Dinge sehnt, beweist der große Erfolg, den Ed. Engels „Deutsche Stilkunst" (Leipzig, G. Freytag) erzielt hat. Allerdings ist es ein Lehrbuch von besonderer Art; es ist mit Geist, Wissen und Geschmack und dabei auch mit marinen Herzen und frischem Humor geschrieben. An einer erstaunlichen Fülle von Beispielen zeigt es nicht bloß, wie es nicht gemacht, sondern auch wie es gemacht werden soll. Einzelne Bemerkungen, zu denen das Buch Anlaß geben könnte, muß ich mir versagen; Ärenzboten II 1912 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/149>, abgerufen am 29.06.2024.