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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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von unserer lieben Muttersprache

in der Kriegslust wie in der Friedensliebe, im Kriegsheer, aber nicht in
der Kriegführung, im Amtsrichter, aber nicht im Amtmann, im Handwerks¬
meister, aber nicht im Werkmeister. Das Binde-s hat schon heiße Kämpfe
entfesselt. Es hat viele Feinde, aber anch viel Ehre. Große Schriftsteller,
voran Jean Paul, und Gelehrte haben sich eingehend mit ihm beschäftigt; der
Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins hat ihm im Gewand
einer allerliebsten Plauderei eine gehaltvolle Untersuchung gewidmet. Ohne mit
diesen Arbeiten wetteifern zu wollen, dürfen wir vielleicht eine kleine Nachlese halten.

Die Gegner des Binde-s wollen es höchstens da zulassen, wo es als
Zeichen des Genetivs, des Was-Falles, aufgefaßt werden kann. Staatsmann
ist der Mann des Staats, Reichskanzler der Kanzler des Reichs, Bezirksamt
Amt des Bezirks usf. Aber Mönchskloster ist doch nicht das Kloster des
Mönchs, Freundeskreis nicht der Kreis des Freundes, Gastwirtsverein nicht
der Verein des Gastwirts; darum "fort mit dem s!" sagen dessen Gegner;
"es müßte heißen Mönchekloster, Freundekreis, Gastwirteverein". Am meisten
verübelt man es dem s, daß es sich mit Vorliebe an Feminina hängt, die doch
den Genetiv niemals auf s bilden, und zwar gerade an die schönsten: Religion,
Liebe, Freundschaft u. a. Man sagt: Religionskrieg, Liebeszeichen, Freund¬
schaftsbeweis, als ob es einen Genetiv des Religions, des Freundschasts usw.
gäbe. "Fort mit dem s!" sagen seine Feinde. Einer unserer bekanntesten
Schriftsteller hat dem sogenannten "falschen Binde-s" den Zutritt zu seiner
Zeitschrift strengstens verboten; er schreibt z. B. Gattungname, Botschaftrat,
Lieblingplatz, und man könnte sich deshalb mit dem Gedanken trösten, daß das
Binde-s keine Zukunft hat.

Man hat es humorvoll mit einem frechen Spatz verglichen, der sich überall
einnistet. Es erinnert mich an einen Spottvogel; es spottet der Regeln.
Jedenfalls ist es ein loser Vogel. Man hat den Satz aufgestellt, daß die
Wörter auf er mit wenigen Ausnahmen das Binde-s verschmähen, und daß
insbesondere Winter und Sommer s-frei bleiben. In der Tat gibt es nur
den Sommertag und die Sommernacht und die Sommerfrische, und "Winter¬
stürme wichen dem Wonnemond". Endlich eine feste Regel! Aber horch!
da hör' ich den Spottvogel vom nächsten Tannenbaum pfeifen:


Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,
Nein auch im Winter, wenn es schneit.

Nach den Forschungen der Gelehrten ist das Binde-s hauptsächlich im
niederdeutschen Sprachgebiet heimisch und hat sich erst allmählich nach Ober¬
deutschland verbreitet. Noch heute gedeiht es am Niederrhein besonders gut.
Als Studenten in Bonn machten wir uns manchmal über die Nachts Wächter
(natürlich nur über diese Bezeichnung) und über die Nachts schellen lustig. Der
Amtmann hat kein s, er stammt aus der Zeit vor der s-Flut, aber von
Niederdeutschen hörte ich öfter Amtsmann, Amtshaus. Wir sagen im Süden
Heimatrecht, Heimatschein, Besuchkarte, im Norden scheint Heimatsrecht usw.


von unserer lieben Muttersprache

in der Kriegslust wie in der Friedensliebe, im Kriegsheer, aber nicht in
der Kriegführung, im Amtsrichter, aber nicht im Amtmann, im Handwerks¬
meister, aber nicht im Werkmeister. Das Binde-s hat schon heiße Kämpfe
entfesselt. Es hat viele Feinde, aber anch viel Ehre. Große Schriftsteller,
voran Jean Paul, und Gelehrte haben sich eingehend mit ihm beschäftigt; der
Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins hat ihm im Gewand
einer allerliebsten Plauderei eine gehaltvolle Untersuchung gewidmet. Ohne mit
diesen Arbeiten wetteifern zu wollen, dürfen wir vielleicht eine kleine Nachlese halten.

Die Gegner des Binde-s wollen es höchstens da zulassen, wo es als
Zeichen des Genetivs, des Was-Falles, aufgefaßt werden kann. Staatsmann
ist der Mann des Staats, Reichskanzler der Kanzler des Reichs, Bezirksamt
Amt des Bezirks usf. Aber Mönchskloster ist doch nicht das Kloster des
Mönchs, Freundeskreis nicht der Kreis des Freundes, Gastwirtsverein nicht
der Verein des Gastwirts; darum „fort mit dem s!" sagen dessen Gegner;
„es müßte heißen Mönchekloster, Freundekreis, Gastwirteverein". Am meisten
verübelt man es dem s, daß es sich mit Vorliebe an Feminina hängt, die doch
den Genetiv niemals auf s bilden, und zwar gerade an die schönsten: Religion,
Liebe, Freundschaft u. a. Man sagt: Religionskrieg, Liebeszeichen, Freund¬
schaftsbeweis, als ob es einen Genetiv des Religions, des Freundschasts usw.
gäbe. „Fort mit dem s!" sagen seine Feinde. Einer unserer bekanntesten
Schriftsteller hat dem sogenannten „falschen Binde-s" den Zutritt zu seiner
Zeitschrift strengstens verboten; er schreibt z. B. Gattungname, Botschaftrat,
Lieblingplatz, und man könnte sich deshalb mit dem Gedanken trösten, daß das
Binde-s keine Zukunft hat.

Man hat es humorvoll mit einem frechen Spatz verglichen, der sich überall
einnistet. Es erinnert mich an einen Spottvogel; es spottet der Regeln.
Jedenfalls ist es ein loser Vogel. Man hat den Satz aufgestellt, daß die
Wörter auf er mit wenigen Ausnahmen das Binde-s verschmähen, und daß
insbesondere Winter und Sommer s-frei bleiben. In der Tat gibt es nur
den Sommertag und die Sommernacht und die Sommerfrische, und „Winter¬
stürme wichen dem Wonnemond". Endlich eine feste Regel! Aber horch!
da hör' ich den Spottvogel vom nächsten Tannenbaum pfeifen:


Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,
Nein auch im Winter, wenn es schneit.

Nach den Forschungen der Gelehrten ist das Binde-s hauptsächlich im
niederdeutschen Sprachgebiet heimisch und hat sich erst allmählich nach Ober¬
deutschland verbreitet. Noch heute gedeiht es am Niederrhein besonders gut.
Als Studenten in Bonn machten wir uns manchmal über die Nachts Wächter
(natürlich nur über diese Bezeichnung) und über die Nachts schellen lustig. Der
Amtmann hat kein s, er stammt aus der Zeit vor der s-Flut, aber von
Niederdeutschen hörte ich öfter Amtsmann, Amtshaus. Wir sagen im Süden
Heimatrecht, Heimatschein, Besuchkarte, im Norden scheint Heimatsrecht usw.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/148>, abgerufen am 01.07.2024.