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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe ans Bstasien

Würdigkeit dieses Ortes, den weltberühmten Daibutsu, d. h. "großen Buddha",
von Kamakura auf. Das ist eine Kolossalstatue des Amitübha, japanisch Unita,
des Buddha des langen Lebens und Beherrschers des Paradieses. Die Statue
mißt eine Höhe von 50 Fuß und ist im dreizehnten Jahrhundert errichret
worden. Von dem Tempel, der einst das Riesenbildnis umschloß, sind nur noch
die steinernen Sockel der Säulen zu sehen, so daß es jetzt unter freiem Himmel
steht, umgeben von hohen Bäumen, in ernst stimmungsvoller Umgebung. Ich
weiß nicht, wie es anderen ergehen mag, uns erfüllte der Anblick mit dem
Schauer frommer Andacht. In regungsloser Stille dasitzend, mit halbgeöffneten
Augen, verkörpert dieser Buddha so recht den Ausdruck des Nullpunktes der
Empfindung, gleich weit entfernt von Lust und Schmerz, jenseits von Gut und
Böse. Es liegt eine in Worten gar nicht wiederzugebende Weihe über diesem
ehernen Bildnisse -- gerade inmitten solcher Umgebung I Das Innere der Statue
ist hohl und enthält mehrere Altäre, auf denen Weihrauchkerzen brennen. Nur
schwer trennten wir uns von dem erhabenen Anblick, aber wir konnten nicht
lange dort verweilen, da wir uns vorgenommen hatten, auch die nahegelegene
Insel Enoshima zu besuchen -- und so mußten denn die unermüdlichen zwei¬
beinigen Gäule wieder vorgespannt werden -- und vorwärts ging es in
scharfem Trab!

Enüshima ist eigentlich eine Halbinsel, durch eine schmale Landzunge mit
dem Festlande verbunden, zur Zeit der Flut jedoch von diesem getrennt, so daß
wir uns auf dem Rückwege von kräftigen Kukis huckepack durch das Wasser
tragen lassen mußten. Enoshima ist nur von Fischern bewohnt, jedoch berühmt
durch seinen landschaftlichen Liebreiz. Üppiger Waldwuchs deckt die Insel, und
von dem reizenden, auf dem Gipfel der Anhöhe gelegenen Teehause ließen wir
den entzückten Blick über die weite See hinausschweifen.

Hochbefriedigt kehrten wir von diesem genußreichen Ausfluge am Abend
nach Aokohama zurück und fuhren am nächsten Morgen nach Tokyo, wo wir
sofort einen Besuch bei Herrn v. T. machten, der den auf Urlaub abwesenden
Gesandten Herrn v. G. vertritt. Wir wurden auf das Liebenswürdigste empfangen
und auch gleich zu demselben Tage zum Diner eingeladen. Dann begaben wir
uns nach dem Shibapark, der durch seine prächtigen Tempel und die Mausoleen
von sechs Shogunen der Tokugawa-Dynastie berühmt ist. Obwohl an die Tempel
von Nikko nicht heranreichend, blendeten uns doch diese herrlichen Bauten durch
ihre herrliche Verbindung von Farbenpracht und Harmonie -- bei allem Reichtum
an Gold und Farben doch nirgends Überladung oder Geschmacklosigkeit. Da
ich kein Japanisch verstehe, verständigte ich mich mit den Priestern schriftlich
auf Chinesisch, worüber diese nicht wenig erstaunt waren. Vom darauffolgenden
Tage an sollten wir es bequemer haben, denn wir hatten uns mittlerweile
einen sehr netten jungen Japaner, der des Deutschen mächtig ist. als Führer
für die ganze Dauer unseres japanischen Aufenthaltes engagiert. Er ist ein
beim Examen gestrandeter Student der Medizin, der jetzt sein Brot auf diese


Briefe ans Bstasien

Würdigkeit dieses Ortes, den weltberühmten Daibutsu, d. h. „großen Buddha",
von Kamakura auf. Das ist eine Kolossalstatue des Amitübha, japanisch Unita,
des Buddha des langen Lebens und Beherrschers des Paradieses. Die Statue
mißt eine Höhe von 50 Fuß und ist im dreizehnten Jahrhundert errichret
worden. Von dem Tempel, der einst das Riesenbildnis umschloß, sind nur noch
die steinernen Sockel der Säulen zu sehen, so daß es jetzt unter freiem Himmel
steht, umgeben von hohen Bäumen, in ernst stimmungsvoller Umgebung. Ich
weiß nicht, wie es anderen ergehen mag, uns erfüllte der Anblick mit dem
Schauer frommer Andacht. In regungsloser Stille dasitzend, mit halbgeöffneten
Augen, verkörpert dieser Buddha so recht den Ausdruck des Nullpunktes der
Empfindung, gleich weit entfernt von Lust und Schmerz, jenseits von Gut und
Böse. Es liegt eine in Worten gar nicht wiederzugebende Weihe über diesem
ehernen Bildnisse — gerade inmitten solcher Umgebung I Das Innere der Statue
ist hohl und enthält mehrere Altäre, auf denen Weihrauchkerzen brennen. Nur
schwer trennten wir uns von dem erhabenen Anblick, aber wir konnten nicht
lange dort verweilen, da wir uns vorgenommen hatten, auch die nahegelegene
Insel Enoshima zu besuchen — und so mußten denn die unermüdlichen zwei¬
beinigen Gäule wieder vorgespannt werden — und vorwärts ging es in
scharfem Trab!

Enüshima ist eigentlich eine Halbinsel, durch eine schmale Landzunge mit
dem Festlande verbunden, zur Zeit der Flut jedoch von diesem getrennt, so daß
wir uns auf dem Rückwege von kräftigen Kukis huckepack durch das Wasser
tragen lassen mußten. Enoshima ist nur von Fischern bewohnt, jedoch berühmt
durch seinen landschaftlichen Liebreiz. Üppiger Waldwuchs deckt die Insel, und
von dem reizenden, auf dem Gipfel der Anhöhe gelegenen Teehause ließen wir
den entzückten Blick über die weite See hinausschweifen.

Hochbefriedigt kehrten wir von diesem genußreichen Ausfluge am Abend
nach Aokohama zurück und fuhren am nächsten Morgen nach Tokyo, wo wir
sofort einen Besuch bei Herrn v. T. machten, der den auf Urlaub abwesenden
Gesandten Herrn v. G. vertritt. Wir wurden auf das Liebenswürdigste empfangen
und auch gleich zu demselben Tage zum Diner eingeladen. Dann begaben wir
uns nach dem Shibapark, der durch seine prächtigen Tempel und die Mausoleen
von sechs Shogunen der Tokugawa-Dynastie berühmt ist. Obwohl an die Tempel
von Nikko nicht heranreichend, blendeten uns doch diese herrlichen Bauten durch
ihre herrliche Verbindung von Farbenpracht und Harmonie — bei allem Reichtum
an Gold und Farben doch nirgends Überladung oder Geschmacklosigkeit. Da
ich kein Japanisch verstehe, verständigte ich mich mit den Priestern schriftlich
auf Chinesisch, worüber diese nicht wenig erstaunt waren. Vom darauffolgenden
Tage an sollten wir es bequemer haben, denn wir hatten uns mittlerweile
einen sehr netten jungen Japaner, der des Deutschen mächtig ist. als Führer
für die ganze Dauer unseres japanischen Aufenthaltes engagiert. Er ist ein
beim Examen gestrandeter Student der Medizin, der jetzt sein Brot auf diese


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[0137] Briefe ans Bstasien Würdigkeit dieses Ortes, den weltberühmten Daibutsu, d. h. „großen Buddha", von Kamakura auf. Das ist eine Kolossalstatue des Amitübha, japanisch Unita, des Buddha des langen Lebens und Beherrschers des Paradieses. Die Statue mißt eine Höhe von 50 Fuß und ist im dreizehnten Jahrhundert errichret worden. Von dem Tempel, der einst das Riesenbildnis umschloß, sind nur noch die steinernen Sockel der Säulen zu sehen, so daß es jetzt unter freiem Himmel steht, umgeben von hohen Bäumen, in ernst stimmungsvoller Umgebung. Ich weiß nicht, wie es anderen ergehen mag, uns erfüllte der Anblick mit dem Schauer frommer Andacht. In regungsloser Stille dasitzend, mit halbgeöffneten Augen, verkörpert dieser Buddha so recht den Ausdruck des Nullpunktes der Empfindung, gleich weit entfernt von Lust und Schmerz, jenseits von Gut und Böse. Es liegt eine in Worten gar nicht wiederzugebende Weihe über diesem ehernen Bildnisse — gerade inmitten solcher Umgebung I Das Innere der Statue ist hohl und enthält mehrere Altäre, auf denen Weihrauchkerzen brennen. Nur schwer trennten wir uns von dem erhabenen Anblick, aber wir konnten nicht lange dort verweilen, da wir uns vorgenommen hatten, auch die nahegelegene Insel Enoshima zu besuchen — und so mußten denn die unermüdlichen zwei¬ beinigen Gäule wieder vorgespannt werden — und vorwärts ging es in scharfem Trab! Enüshima ist eigentlich eine Halbinsel, durch eine schmale Landzunge mit dem Festlande verbunden, zur Zeit der Flut jedoch von diesem getrennt, so daß wir uns auf dem Rückwege von kräftigen Kukis huckepack durch das Wasser tragen lassen mußten. Enoshima ist nur von Fischern bewohnt, jedoch berühmt durch seinen landschaftlichen Liebreiz. Üppiger Waldwuchs deckt die Insel, und von dem reizenden, auf dem Gipfel der Anhöhe gelegenen Teehause ließen wir den entzückten Blick über die weite See hinausschweifen. Hochbefriedigt kehrten wir von diesem genußreichen Ausfluge am Abend nach Aokohama zurück und fuhren am nächsten Morgen nach Tokyo, wo wir sofort einen Besuch bei Herrn v. T. machten, der den auf Urlaub abwesenden Gesandten Herrn v. G. vertritt. Wir wurden auf das Liebenswürdigste empfangen und auch gleich zu demselben Tage zum Diner eingeladen. Dann begaben wir uns nach dem Shibapark, der durch seine prächtigen Tempel und die Mausoleen von sechs Shogunen der Tokugawa-Dynastie berühmt ist. Obwohl an die Tempel von Nikko nicht heranreichend, blendeten uns doch diese herrlichen Bauten durch ihre herrliche Verbindung von Farbenpracht und Harmonie — bei allem Reichtum an Gold und Farben doch nirgends Überladung oder Geschmacklosigkeit. Da ich kein Japanisch verstehe, verständigte ich mich mit den Priestern schriftlich auf Chinesisch, worüber diese nicht wenig erstaunt waren. Vom darauffolgenden Tage an sollten wir es bequemer haben, denn wir hatten uns mittlerweile einen sehr netten jungen Japaner, der des Deutschen mächtig ist. als Führer für die ganze Dauer unseres japanischen Aufenthaltes engagiert. Er ist ein beim Examen gestrandeter Student der Medizin, der jetzt sein Brot auf diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/137>, abgerufen am 23.07.2024.