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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus Gstasten

Weise verdient. Wir zahlen ihm die sehr bescheidene Summe von 4 Mark
täglich, für Logis und Beköstigung hat er selbst zu sorgen, und sind sehr mit
ihm zufrieden, da er sehr intelligent und dabei ein Muster von Bescheidenheit
und Aufmerksamkeit ist.

Der nächste in Tokyo verlebte Tag wurde ganz dem Theater gewidmet,
denn Jchigawa Dcmjuro, der größte Schauspieler Japans, trat in dem volks¬
tümlichsten vaterländischen Schauspiel, "Chinshingura", d. h. "Vasallentreue", auf.
Die Vorstellung sollte um 11 Uhr vormittags beginnen und bis 9 Uhr abends
dauern, so daß wir uns für diesen Kunstgenuß, obschon wir nicht die Absicht
hatten, bis zum Ende der Vorstellung auszuharren, mit Lebensmitteln versehen
mußten. Das sehr geräumige Theater war brechend voll, aber zum Glück
hatten wir uns schon von Uokohama aus eine Loge gesichert. Der Zuschauer¬
raum ist mit der denkbar größten Einfachheit ausgestattet. Der Raum, der
bei uns das Parkett enthält, ist durch niedrige Holzwände in zahlreiche Quadrate
eingeteilt, in denen die Zuschauer, auf sauberen Matten sitzend, winzige Pfeifchen
rauchen und mit zierlichen Stäbchen Reis und sonstige Leckerbissen zu sich nehmen --
letzteres jedoch nur während der Pausen, die der Länge der einzelnen Akte
entsprechen. Die erhöhte Bühne ist durch einen Schiebevorhang vom Zuschauer¬
raum getrennt, enthält jedoch eine brückenartige Verlängerung, rianÄ-micKi,
"der Blumenweg" genannt, die durch den ganzen Zuschauerraum führt, und
auf der die handelnden Personen kommen und gehen. Und nun die Vorstellung
und vor allem Danjuroü Ich pflege nicht über Theatertränen zu verfügen,
aber am Schlüsse des zweiten Aktes, wo er vom Palaste seines verstorbenen
Herrn, der eben durch Harakiri (Bauchaufschlitzen) seinem Leben ein Ende gemacht
hatte, Abschied nimmt, wirkte sein wohl eine Viertelstunde währendes stummes
Spiel so tief ergreifend auf mich, daß mir die hellen Tränen über die Wangen
liefen! Dergleichen vermag nur ein wahrhaft großer Meister, und ein solcher
ist er. Ich erzählte unserem Führer, daß ich vor Jahren mit Danjuro durch
die Vermittlung eines Japaners in Museumsangelcgenheiten in Verbindung
gestanden hatte, und da meinte er, ich sollte ihm doch meine Karte schicken, er
werde uns gewiß empfangen. Ich tat es auch, und richtig: der Diener kam
sofort mit der Aufforderung Danjuros zurück, ihn nach dem Schlüsse des zweiten
Aktes in seiner Garderobe zu besuchen. Auf einer Matte sitzend, empfing er
uns mit würdevoller Liebenswürdigkeit und bat uns, Platz zunehmen; so setzten
wir uns denn ebenfalls nach japanischer Manier auf die Matte, bis uns
Porzellantabourets gebracht wurden. Ich sagte ihm, daß ich zwar schon gewußt
hätte, daß er der größte Schauspieler Japans sei, aber erst jetzt erfahren hätte,
daß er auch einer der größten dramatischen Künstler der Welt sei. Er schien
darüber sichtlich erfreut, und als ich ihn bat, auf sein Porträt, das ich gekauft
hatte, seinen Namen aufzuschreiben, sagte er, das Bild sei schlecht, er werde
mir ein anderes geben. Darauf verabschiedeten wir uns mit herzlichem Hände¬
druck. Es war mir hochinteressant, durch diesen Besuch zugleich die ganze


Briefe aus Gstasten

Weise verdient. Wir zahlen ihm die sehr bescheidene Summe von 4 Mark
täglich, für Logis und Beköstigung hat er selbst zu sorgen, und sind sehr mit
ihm zufrieden, da er sehr intelligent und dabei ein Muster von Bescheidenheit
und Aufmerksamkeit ist.

Der nächste in Tokyo verlebte Tag wurde ganz dem Theater gewidmet,
denn Jchigawa Dcmjuro, der größte Schauspieler Japans, trat in dem volks¬
tümlichsten vaterländischen Schauspiel, „Chinshingura", d. h. „Vasallentreue", auf.
Die Vorstellung sollte um 11 Uhr vormittags beginnen und bis 9 Uhr abends
dauern, so daß wir uns für diesen Kunstgenuß, obschon wir nicht die Absicht
hatten, bis zum Ende der Vorstellung auszuharren, mit Lebensmitteln versehen
mußten. Das sehr geräumige Theater war brechend voll, aber zum Glück
hatten wir uns schon von Uokohama aus eine Loge gesichert. Der Zuschauer¬
raum ist mit der denkbar größten Einfachheit ausgestattet. Der Raum, der
bei uns das Parkett enthält, ist durch niedrige Holzwände in zahlreiche Quadrate
eingeteilt, in denen die Zuschauer, auf sauberen Matten sitzend, winzige Pfeifchen
rauchen und mit zierlichen Stäbchen Reis und sonstige Leckerbissen zu sich nehmen —
letzteres jedoch nur während der Pausen, die der Länge der einzelnen Akte
entsprechen. Die erhöhte Bühne ist durch einen Schiebevorhang vom Zuschauer¬
raum getrennt, enthält jedoch eine brückenartige Verlängerung, rianÄ-micKi,
„der Blumenweg" genannt, die durch den ganzen Zuschauerraum führt, und
auf der die handelnden Personen kommen und gehen. Und nun die Vorstellung
und vor allem Danjuroü Ich pflege nicht über Theatertränen zu verfügen,
aber am Schlüsse des zweiten Aktes, wo er vom Palaste seines verstorbenen
Herrn, der eben durch Harakiri (Bauchaufschlitzen) seinem Leben ein Ende gemacht
hatte, Abschied nimmt, wirkte sein wohl eine Viertelstunde währendes stummes
Spiel so tief ergreifend auf mich, daß mir die hellen Tränen über die Wangen
liefen! Dergleichen vermag nur ein wahrhaft großer Meister, und ein solcher
ist er. Ich erzählte unserem Führer, daß ich vor Jahren mit Danjuro durch
die Vermittlung eines Japaners in Museumsangelcgenheiten in Verbindung
gestanden hatte, und da meinte er, ich sollte ihm doch meine Karte schicken, er
werde uns gewiß empfangen. Ich tat es auch, und richtig: der Diener kam
sofort mit der Aufforderung Danjuros zurück, ihn nach dem Schlüsse des zweiten
Aktes in seiner Garderobe zu besuchen. Auf einer Matte sitzend, empfing er
uns mit würdevoller Liebenswürdigkeit und bat uns, Platz zunehmen; so setzten
wir uns denn ebenfalls nach japanischer Manier auf die Matte, bis uns
Porzellantabourets gebracht wurden. Ich sagte ihm, daß ich zwar schon gewußt
hätte, daß er der größte Schauspieler Japans sei, aber erst jetzt erfahren hätte,
daß er auch einer der größten dramatischen Künstler der Welt sei. Er schien
darüber sichtlich erfreut, und als ich ihn bat, auf sein Porträt, das ich gekauft
hatte, seinen Namen aufzuschreiben, sagte er, das Bild sei schlecht, er werde
mir ein anderes geben. Darauf verabschiedeten wir uns mit herzlichem Hände¬
druck. Es war mir hochinteressant, durch diesen Besuch zugleich die ganze


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[0138] Briefe aus Gstasten Weise verdient. Wir zahlen ihm die sehr bescheidene Summe von 4 Mark täglich, für Logis und Beköstigung hat er selbst zu sorgen, und sind sehr mit ihm zufrieden, da er sehr intelligent und dabei ein Muster von Bescheidenheit und Aufmerksamkeit ist. Der nächste in Tokyo verlebte Tag wurde ganz dem Theater gewidmet, denn Jchigawa Dcmjuro, der größte Schauspieler Japans, trat in dem volks¬ tümlichsten vaterländischen Schauspiel, „Chinshingura", d. h. „Vasallentreue", auf. Die Vorstellung sollte um 11 Uhr vormittags beginnen und bis 9 Uhr abends dauern, so daß wir uns für diesen Kunstgenuß, obschon wir nicht die Absicht hatten, bis zum Ende der Vorstellung auszuharren, mit Lebensmitteln versehen mußten. Das sehr geräumige Theater war brechend voll, aber zum Glück hatten wir uns schon von Uokohama aus eine Loge gesichert. Der Zuschauer¬ raum ist mit der denkbar größten Einfachheit ausgestattet. Der Raum, der bei uns das Parkett enthält, ist durch niedrige Holzwände in zahlreiche Quadrate eingeteilt, in denen die Zuschauer, auf sauberen Matten sitzend, winzige Pfeifchen rauchen und mit zierlichen Stäbchen Reis und sonstige Leckerbissen zu sich nehmen — letzteres jedoch nur während der Pausen, die der Länge der einzelnen Akte entsprechen. Die erhöhte Bühne ist durch einen Schiebevorhang vom Zuschauer¬ raum getrennt, enthält jedoch eine brückenartige Verlängerung, rianÄ-micKi, „der Blumenweg" genannt, die durch den ganzen Zuschauerraum führt, und auf der die handelnden Personen kommen und gehen. Und nun die Vorstellung und vor allem Danjuroü Ich pflege nicht über Theatertränen zu verfügen, aber am Schlüsse des zweiten Aktes, wo er vom Palaste seines verstorbenen Herrn, der eben durch Harakiri (Bauchaufschlitzen) seinem Leben ein Ende gemacht hatte, Abschied nimmt, wirkte sein wohl eine Viertelstunde währendes stummes Spiel so tief ergreifend auf mich, daß mir die hellen Tränen über die Wangen liefen! Dergleichen vermag nur ein wahrhaft großer Meister, und ein solcher ist er. Ich erzählte unserem Führer, daß ich vor Jahren mit Danjuro durch die Vermittlung eines Japaners in Museumsangelcgenheiten in Verbindung gestanden hatte, und da meinte er, ich sollte ihm doch meine Karte schicken, er werde uns gewiß empfangen. Ich tat es auch, und richtig: der Diener kam sofort mit der Aufforderung Danjuros zurück, ihn nach dem Schlüsse des zweiten Aktes in seiner Garderobe zu besuchen. Auf einer Matte sitzend, empfing er uns mit würdevoller Liebenswürdigkeit und bat uns, Platz zunehmen; so setzten wir uns denn ebenfalls nach japanischer Manier auf die Matte, bis uns Porzellantabourets gebracht wurden. Ich sagte ihm, daß ich zwar schon gewußt hätte, daß er der größte Schauspieler Japans sei, aber erst jetzt erfahren hätte, daß er auch einer der größten dramatischen Künstler der Welt sei. Er schien darüber sichtlich erfreut, und als ich ihn bat, auf sein Porträt, das ich gekauft hatte, seinen Namen aufzuschreiben, sagte er, das Bild sei schlecht, er werde mir ein anderes geben. Darauf verabschiedeten wir uns mit herzlichem Hände¬ druck. Es war mir hochinteressant, durch diesen Besuch zugleich die ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/138>, abgerufen am 23.07.2024.