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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lichte und die älteren Romantiker

Von Friedrich Schlegel könnte man noch sehr viel geistreiche Apercus
anführen, die sich auf Fichte beziehen und seine Bewunderung zeigen; aber
wenn man auf das Ganze sieht und auf das, was dabei herauskommt, so
kann man sich auch alles schenken. All seine geistreichen und fein formulierten
Gedanken, seine glänzende Terminologie können doch nie über den Mangel an
Gediegenheit hinwegtäuschen. Sein Gemüt ist ein kühles, wandelbares Element.
Auf ihn selbst, wie Haar sagt, kann man seine Sätze oft am besten anwenden:
"Der Geist des Menschen ist sein eigener Proteus, verwandelt sich und will
nicht Rede stehen vor sich selbst, wenn er sich greifen möchte." So konnte es
geschehen, daß dasjenige, womit er sich gerade beschäftigte, gewöhnlich uuver-
hültnismäßige Dimensionen annahm. Die Sucht zur Übertreibung lag ihm von
vornherein nahe. Daher fallen auch seine ersten ästhetischen Abhandlungen so
sehr gegen die Schillerschen ab, den er im einzelnen nachahmte. Von der
Übertreibung aber ist nur ein Schritt zur Parodie, und parodistisch mutet so
manches an, was er über die Fichtesche Philosophie sagte: "Ich lernte mit
Ironie bewundern", lesen wir einmal und fühlen, wie fatal er sich trifft.

Friedrich Schlegel durchläuft in seiner Entwicklung drei wesentlich ver¬
schiedene Epochen, die griechische, die allmählich in die philosophisch-romantische
übergeht, und endlich die religiöse. In der mittleren waltet der Einfluß Fichtes
am stärksten, aber mit arger Übertreibung. In der letzten Epoche dagegen dient
sein System gewissermaßen nur noch als Schema religiös-poetischer Ideen, die
aus Magie und Naturphilosophie hergeleitet sind. Er spricht später noch einmal
mit kühler Ironie von dem "berühmten Philosophen, der in seinem eigenen Ich
den Punkt des Archimedes gefunden zu haben glaubte, um die Welt in Bewegung
zu setzen und das Zeitalter völlig umzukehren". Es ist ein weiter Weg von der
früheren "republikanischen Verfassung" seines Geistes bis zu der späteren Despotie
eines katholisch-mystischen Offenbarungsglaubens. Aber die dazwischen liegende
anarchische Periode der Willkür ließ keine Wahl mehr.

Ein starker Zug zum Religiöse:: ist in der ganzen Generation der neunziger
Jahre zu bemerken. Darin besonders zeigt sich die Kraft der Romantik, wenn
sie gegen die Aufklärung und die bloße Vernunftreligion Kants angeht. Wir
sehen auch das in unseren Tagen sich wiederholen. Wenn auch um realere
Dinge, gegen plumpere Feinde mit gröberen Waffen gekämpft wird, die Auf¬
lehnung des religiösen Gefühls gegen eine lange Zeit der Vernachlässigung ist
auch heute bei Liberalen wie bei Positiven das Treibende. Heute wie damals
sucht die Seele nach neuen religiösen Werten, nach innerem Erleben und ringt
mit der gewaltigen Masse von Wissens- und Erfahrungsstoff, die das vorige
Zeitalter aufgespeichert hat. Damals wurde der Kampf mehr auf geistigem
Gebiete zwischen wenigen Einzelkämpfern ausgetragen und er bedeutete nicht
allzuviel für die Allgemeinheit. Heute ist das Kampfobjekt materieller, massiger;
die Interessen sind gröber und gehen mehr die Menge an. Wer kann sagen,
welcher Kampf schwerer ist, und wie er diesmal ausgehen wird. Soviel läßt


Lichte und die älteren Romantiker

Von Friedrich Schlegel könnte man noch sehr viel geistreiche Apercus
anführen, die sich auf Fichte beziehen und seine Bewunderung zeigen; aber
wenn man auf das Ganze sieht und auf das, was dabei herauskommt, so
kann man sich auch alles schenken. All seine geistreichen und fein formulierten
Gedanken, seine glänzende Terminologie können doch nie über den Mangel an
Gediegenheit hinwegtäuschen. Sein Gemüt ist ein kühles, wandelbares Element.
Auf ihn selbst, wie Haar sagt, kann man seine Sätze oft am besten anwenden:
„Der Geist des Menschen ist sein eigener Proteus, verwandelt sich und will
nicht Rede stehen vor sich selbst, wenn er sich greifen möchte." So konnte es
geschehen, daß dasjenige, womit er sich gerade beschäftigte, gewöhnlich uuver-
hültnismäßige Dimensionen annahm. Die Sucht zur Übertreibung lag ihm von
vornherein nahe. Daher fallen auch seine ersten ästhetischen Abhandlungen so
sehr gegen die Schillerschen ab, den er im einzelnen nachahmte. Von der
Übertreibung aber ist nur ein Schritt zur Parodie, und parodistisch mutet so
manches an, was er über die Fichtesche Philosophie sagte: „Ich lernte mit
Ironie bewundern", lesen wir einmal und fühlen, wie fatal er sich trifft.

Friedrich Schlegel durchläuft in seiner Entwicklung drei wesentlich ver¬
schiedene Epochen, die griechische, die allmählich in die philosophisch-romantische
übergeht, und endlich die religiöse. In der mittleren waltet der Einfluß Fichtes
am stärksten, aber mit arger Übertreibung. In der letzten Epoche dagegen dient
sein System gewissermaßen nur noch als Schema religiös-poetischer Ideen, die
aus Magie und Naturphilosophie hergeleitet sind. Er spricht später noch einmal
mit kühler Ironie von dem „berühmten Philosophen, der in seinem eigenen Ich
den Punkt des Archimedes gefunden zu haben glaubte, um die Welt in Bewegung
zu setzen und das Zeitalter völlig umzukehren". Es ist ein weiter Weg von der
früheren „republikanischen Verfassung" seines Geistes bis zu der späteren Despotie
eines katholisch-mystischen Offenbarungsglaubens. Aber die dazwischen liegende
anarchische Periode der Willkür ließ keine Wahl mehr.

Ein starker Zug zum Religiöse:: ist in der ganzen Generation der neunziger
Jahre zu bemerken. Darin besonders zeigt sich die Kraft der Romantik, wenn
sie gegen die Aufklärung und die bloße Vernunftreligion Kants angeht. Wir
sehen auch das in unseren Tagen sich wiederholen. Wenn auch um realere
Dinge, gegen plumpere Feinde mit gröberen Waffen gekämpft wird, die Auf¬
lehnung des religiösen Gefühls gegen eine lange Zeit der Vernachlässigung ist
auch heute bei Liberalen wie bei Positiven das Treibende. Heute wie damals
sucht die Seele nach neuen religiösen Werten, nach innerem Erleben und ringt
mit der gewaltigen Masse von Wissens- und Erfahrungsstoff, die das vorige
Zeitalter aufgespeichert hat. Damals wurde der Kampf mehr auf geistigem
Gebiete zwischen wenigen Einzelkämpfern ausgetragen und er bedeutete nicht
allzuviel für die Allgemeinheit. Heute ist das Kampfobjekt materieller, massiger;
die Interessen sind gröber und gehen mehr die Menge an. Wer kann sagen,
welcher Kampf schwerer ist, und wie er diesmal ausgehen wird. Soviel läßt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/74>, abgerufen am 27.09.2024.