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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichte und die älteren Romantiker

sich sagen, daß damals die Ideen ursprünglicher waren und der einzelne tiefer
davon ergriffen wurde. Die Kunstbegeisternng Wackenroders und Hölderlins,
die Magie Hardenbergs sind durchdrungen von tiefer Religiosität. Auch Tieck
schließt sich an mit seinem "Sternbald", und als 1799 die Reden Schleiermachers
über die Religion "ein die Gebildeten unter ihren Verächtern" gerichtet werden,
da glaubt Friedrich Schlegel, daß "eine große Auferstehung der Religion, eine
allgemeine Metamorphose" nahe sei. Er sieht in ihnen "ein Zeichen des fernher
nahenden Orients".

Diese Reden bilden den eigentlichen Mittelpunkt alles dessen, was an
religiösen Anschauungen im romantischen Kreise vorhanden ist. Friedrich Schlegel
brachte das Buch 1799 von Berlin nach Jena mit, und die dortigen Genossen
hatten es ihm zu verdanken, daß es so befruchtend auf sie wirkte. Er rezensierte
es im Athenäum und schrieb im Anschluß daran seine "Ideen". Novalis ward
zu einem Aufsatz "Die Christenheit oder Europa" begeistert. Goethe freilich
wurde nach dem ersten Interesse bald von einer "fröhlichen Abneigung" ergriffen.
Während aber Fichte jetzt an seiner "Bestimmung des Menschen" arbeitete und
mit der religiösen Tendenz dieses Buches wohl nicht zuletzt unter dem Einfluß
Schleiermachers stand -- er verkehrte damals täglich mit ihm --, wurden die
Romantiker durch die "Reden" gerade von Fichte abgeführt. Für Schleiermacher
war die Religion "der mütterliche Leib, in dessen heiligem Dunkel sein junges
Dasein genährt wurde". Er nennt sie in romantischer Weise auch ein "heiliges
Feuer". Aber nicht nur im Bilde stimmt er mit Hölderlin, Novalis und
Schlegel überein. Den oft genannten inneren Trieb nennt auch er ein Streben
nach Ausdehnung und Durchdringung, verbunden mit mystischer, schöpferischer
Sinnlichkeit, die allem inneren auch ein äußeres Dasein zu geben strebt. Dieser
"geistige Durchdringungstrieb" ist aber nur die Grundlage seiner Religion, sie
selbst ein ganz ursprüngliches und eigentümliches Gefühl, dein Metaphysik und
Moral, Staats- und Erziehungskunst gleich fremd, ja, wenn sie damit vermischt
werden, verderblich sind. Das Wesen der Religion ist weder Denken noch
Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Passives "Anschauen des Universums"
ist ihm "der Angel seiner ganzen Rede", und das entfernt ihn weit von der
tätigen, produktiven Anschauung Fichtes und Hülsens. Zum ersten Male tritt
uns hier ein ganz anderes, von jener Richtung nicht beeinflußtes Gefühl ent¬
gegen. Diesem Gefühl verschwindet auch das Ich vor dem Universum. Schleier¬
macher verwirft entschieden die "Tendenz, Wesen zu setzen und Naturen zu
bestimmen". Die Menschheit kann unmöglich selbst das Universum sein, sie ist
nur eine einzelne Form desselben. Schleiernlacher verwirft ferner alle systematische
Zusammenfassung. Die einzelnen Anschauungen "zu verbinden und in ein
Ganzes zusammenzustellen, ist nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des ab¬
strakten Denkens". Doch kann er, wenigstens in der Darstellung, die Meditation
nicht ganz entbehren. Unmittelbar wendet er sich in folgenden Worten gegen
die Fichtesche Philosophie: "Wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen,


Fichte und die älteren Romantiker

sich sagen, daß damals die Ideen ursprünglicher waren und der einzelne tiefer
davon ergriffen wurde. Die Kunstbegeisternng Wackenroders und Hölderlins,
die Magie Hardenbergs sind durchdrungen von tiefer Religiosität. Auch Tieck
schließt sich an mit seinem „Sternbald", und als 1799 die Reden Schleiermachers
über die Religion „ein die Gebildeten unter ihren Verächtern" gerichtet werden,
da glaubt Friedrich Schlegel, daß „eine große Auferstehung der Religion, eine
allgemeine Metamorphose" nahe sei. Er sieht in ihnen „ein Zeichen des fernher
nahenden Orients".

Diese Reden bilden den eigentlichen Mittelpunkt alles dessen, was an
religiösen Anschauungen im romantischen Kreise vorhanden ist. Friedrich Schlegel
brachte das Buch 1799 von Berlin nach Jena mit, und die dortigen Genossen
hatten es ihm zu verdanken, daß es so befruchtend auf sie wirkte. Er rezensierte
es im Athenäum und schrieb im Anschluß daran seine „Ideen". Novalis ward
zu einem Aufsatz „Die Christenheit oder Europa" begeistert. Goethe freilich
wurde nach dem ersten Interesse bald von einer „fröhlichen Abneigung" ergriffen.
Während aber Fichte jetzt an seiner „Bestimmung des Menschen" arbeitete und
mit der religiösen Tendenz dieses Buches wohl nicht zuletzt unter dem Einfluß
Schleiermachers stand — er verkehrte damals täglich mit ihm —, wurden die
Romantiker durch die „Reden" gerade von Fichte abgeführt. Für Schleiermacher
war die Religion „der mütterliche Leib, in dessen heiligem Dunkel sein junges
Dasein genährt wurde". Er nennt sie in romantischer Weise auch ein „heiliges
Feuer". Aber nicht nur im Bilde stimmt er mit Hölderlin, Novalis und
Schlegel überein. Den oft genannten inneren Trieb nennt auch er ein Streben
nach Ausdehnung und Durchdringung, verbunden mit mystischer, schöpferischer
Sinnlichkeit, die allem inneren auch ein äußeres Dasein zu geben strebt. Dieser
„geistige Durchdringungstrieb" ist aber nur die Grundlage seiner Religion, sie
selbst ein ganz ursprüngliches und eigentümliches Gefühl, dein Metaphysik und
Moral, Staats- und Erziehungskunst gleich fremd, ja, wenn sie damit vermischt
werden, verderblich sind. Das Wesen der Religion ist weder Denken noch
Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Passives „Anschauen des Universums"
ist ihm „der Angel seiner ganzen Rede", und das entfernt ihn weit von der
tätigen, produktiven Anschauung Fichtes und Hülsens. Zum ersten Male tritt
uns hier ein ganz anderes, von jener Richtung nicht beeinflußtes Gefühl ent¬
gegen. Diesem Gefühl verschwindet auch das Ich vor dem Universum. Schleier¬
macher verwirft entschieden die „Tendenz, Wesen zu setzen und Naturen zu
bestimmen". Die Menschheit kann unmöglich selbst das Universum sein, sie ist
nur eine einzelne Form desselben. Schleiernlacher verwirft ferner alle systematische
Zusammenfassung. Die einzelnen Anschauungen „zu verbinden und in ein
Ganzes zusammenzustellen, ist nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des ab¬
strakten Denkens". Doch kann er, wenigstens in der Darstellung, die Meditation
nicht ganz entbehren. Unmittelbar wendet er sich in folgenden Worten gegen
die Fichtesche Philosophie: „Wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/75>, abgerufen am 27.09.2024.