Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Lichte und die älteren Romantiker wie und was er will. Und was durch solches Denken alles hervorgezaubert Wenn das bei Novalis herauskommt, so kann man auf Friedrich Lichte und die älteren Romantiker wie und was er will. Und was durch solches Denken alles hervorgezaubert Wenn das bei Novalis herauskommt, so kann man auf Friedrich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320490"/> <fw type="header" place="top"> Lichte und die älteren Romantiker</fw><lb/> <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> wie und was er will. Und was durch solches Denken alles hervorgezaubert<lb/> werden soll, ist schon gesagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_250"> Wenn das bei Novalis herauskommt, so kann man auf Friedrich<lb/> Schlegel gespannt sein, dessen Verhältnis zu Fichte nun mit behandelt<lb/> werden soll. — „Der einzige Anfang und vollständige Grund der Wissenschafts¬<lb/> lehre ist eine Handlung der Totalisierung der reflexen Abstraktion, eine<lb/> mit Beobachtung verbundene Selbstkonstruktion, die innere freie Anschauung<lb/> der Jchheit, des Sichselbstsetzens, der Identität des Subjekts und Objekts." Die<lb/> Gebärde, mit der das gesagt ist, scheint wissenschaftlich. Man glaube aber<lb/> nicht, daß Schlegel sich viel Gedanken gemacht habe über die Schwierigkeit, die<lb/> in jener Identität liegt und die Novalis wie Hölderlin zum Bewußtsein gekommen<lb/> ist. Der halb unfreiwillige Karikaturist und Gedankenjongleur zeigt sich aber in<lb/> dem berühmten Athenäumsfragment, das die romantische Poesie kennzeichnen<lb/> soll! „Sie kann am meisten zwischen dem Dargestellten und Darstellenden, frei<lb/> von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion<lb/> in der Mitte schweben und diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie<lb/> in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. . Grenzenlose Willkür<lb/> und endlose Selbstbespiegelung ist also die Frucht der Wissenschaftslehre in der<lb/> Romantik. Die Lucinde gibt die Praxis dazu. Sie ist ein Gemisch von<lb/> phantastischer, aber Phantasie- und formloser Willkür und mystifizierter Geilheit.<lb/> In dem Stile jenes Fragments geht es weiter bei Schlegel, und das Spiel<lb/> mit dem Ich ist in seiner ganzen Tollheit zu sehen. Die Willkür ist das oberste<lb/> und einzige Gesetz des Dichtergenies. So naße sich der Romantiker das Recht<lb/> an, alles tun und lassen zu können, was ihm beliebt, vor allem auch sich selbst<lb/> zu widersprechen, ja zu „annihilieren" und seinen geistigen Habitus wie ein<lb/> Proteus zu verwandeln: „Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich<lb/> selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch<lb/> oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man<lb/> ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in jeden: Grade." Man wird an<lb/> das Zentrum erinnert, wie es vor kurzem in einer Karikatur des Simvlizissimus<lb/> als Verwandlungskünstler dargestellt ward. Auch Tieck liebt die Praxis zu<lb/> solchen Theorien der Willkür — aber bevor er noch davon weiß und mit<lb/> aller Naivität und vor allem mit größerer sittlicher Harmlosigkeit. Er ist im<lb/> ganzen viel zu wenig Theoretiker und viel zu sehr Poet — und zwar von der<lb/> launigen Art —, um uicht vor allem das Komische in dieser Jchphilosophie zu sehen.<lb/> Das Ich, das sich nur immer selbst affiziert und ins Unendliche reflektiert, wird im<lb/> „Ritter Blaubart" und in demnachgesetzten „Prolog" komisch verwendet; dort wird<lb/> der Verstand mit einer Zwiebel verglichen! Recht verständig sind nun also die<lb/> Menschen, die ihren zwiebelartigen Verstand durch lauge Übung so abgerichtet<lb/> haben, daß sie jede Idee nicht nur mit den äußeren Häuten, sondern auch mit<lb/> dem inneren Kern denken. Bei den meisten Leuten aber, wenn sie anch die Hand<lb/> vor den Kopf halten, ist nur die oberste Haut in einiger Bewegung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Lichte und die älteren Romantiker
wie und was er will. Und was durch solches Denken alles hervorgezaubert
werden soll, ist schon gesagt.
Wenn das bei Novalis herauskommt, so kann man auf Friedrich
Schlegel gespannt sein, dessen Verhältnis zu Fichte nun mit behandelt
werden soll. — „Der einzige Anfang und vollständige Grund der Wissenschafts¬
lehre ist eine Handlung der Totalisierung der reflexen Abstraktion, eine
mit Beobachtung verbundene Selbstkonstruktion, die innere freie Anschauung
der Jchheit, des Sichselbstsetzens, der Identität des Subjekts und Objekts." Die
Gebärde, mit der das gesagt ist, scheint wissenschaftlich. Man glaube aber
nicht, daß Schlegel sich viel Gedanken gemacht habe über die Schwierigkeit, die
in jener Identität liegt und die Novalis wie Hölderlin zum Bewußtsein gekommen
ist. Der halb unfreiwillige Karikaturist und Gedankenjongleur zeigt sich aber in
dem berühmten Athenäumsfragment, das die romantische Poesie kennzeichnen
soll! „Sie kann am meisten zwischen dem Dargestellten und Darstellenden, frei
von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion
in der Mitte schweben und diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie
in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. . Grenzenlose Willkür
und endlose Selbstbespiegelung ist also die Frucht der Wissenschaftslehre in der
Romantik. Die Lucinde gibt die Praxis dazu. Sie ist ein Gemisch von
phantastischer, aber Phantasie- und formloser Willkür und mystifizierter Geilheit.
In dem Stile jenes Fragments geht es weiter bei Schlegel, und das Spiel
mit dem Ich ist in seiner ganzen Tollheit zu sehen. Die Willkür ist das oberste
und einzige Gesetz des Dichtergenies. So naße sich der Romantiker das Recht
an, alles tun und lassen zu können, was ihm beliebt, vor allem auch sich selbst
zu widersprechen, ja zu „annihilieren" und seinen geistigen Habitus wie ein
Proteus zu verwandeln: „Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich
selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch
oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man
ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in jeden: Grade." Man wird an
das Zentrum erinnert, wie es vor kurzem in einer Karikatur des Simvlizissimus
als Verwandlungskünstler dargestellt ward. Auch Tieck liebt die Praxis zu
solchen Theorien der Willkür — aber bevor er noch davon weiß und mit
aller Naivität und vor allem mit größerer sittlicher Harmlosigkeit. Er ist im
ganzen viel zu wenig Theoretiker und viel zu sehr Poet — und zwar von der
launigen Art —, um uicht vor allem das Komische in dieser Jchphilosophie zu sehen.
Das Ich, das sich nur immer selbst affiziert und ins Unendliche reflektiert, wird im
„Ritter Blaubart" und in demnachgesetzten „Prolog" komisch verwendet; dort wird
der Verstand mit einer Zwiebel verglichen! Recht verständig sind nun also die
Menschen, die ihren zwiebelartigen Verstand durch lauge Übung so abgerichtet
haben, daß sie jede Idee nicht nur mit den äußeren Häuten, sondern auch mit
dem inneren Kern denken. Bei den meisten Leuten aber, wenn sie anch die Hand
vor den Kopf halten, ist nur die oberste Haut in einiger Bewegung.
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