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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Aus Hebbels Studienzeit

eben nach München zu gehen; Straßburg, auch Stuttgart wurden auf der
Fußtour von Heidelberg nach München im September 1836 wirklich besichtigt,
der hochverehrte Ludwig Uhland wurde in Tübingen aufgesucht, wobei freilich
seine verschlossene und farblose Persönlichkeit dem jungen Verehrer eine kaum
zu verwindende Enttäuschung bereitete. Nicht auf solchen Einzelheiten indessen
beruht der Wert des Briefes, sondern auf dem charakteristisch Menschlichen: es
steckt ein gut Teil Hebbel, und zwar vom besten Hebbel darin. Wir sehen
die Sorge des Sohnes um die alte, darbende Mutter in der Heimat, die ver¬
ständnisvolle, psychologisch geschärfte Teilnahme des Freundes am Freunde, der
hart unter einer unglücklichen Liebesaffäre litt. Wir vernehmen des selbst¬
eigenen Spott über analysierende Literaturprofessoren, von denen man nur
lernen könne, wie man es nicht machen solle, seine trotzige Verachtung zeit¬
genössischer, jungdeutscher Kritik, seine herbe, künstlerische Strenge gegen sich
selbst. Derselbe Hebbel, der damals in bitterer Not ins Tagebuch schrieb,
sein Leben sei nur noch ein Kampf für Mutter und Leichenstein, reckt hier sich
auf in gespanntem Selbstgefühl, in unerschüttertem Glauben an sein Können
und seine Zukunft: "Was lebt, das wirkt; und was wirkt, das lebt; dies Evangelium
bewahrheitet sich alle Tage." Mir ist, als bewahrheitete es sich, aller Einwände
und Gegnerschaften ungeachtet, eben jetzt an Hebbel selber. -- Nun der Brief.

Heidelberg, den 18. July 1836.


Lieber Franz!

Dein Brief vom 8ten Juny ist, sammt dem Louisd'or, am 21 sten selb. Monats
in meine Hände gekommen; jedoch -- ich bemerke dies, da Du wünschest es
zu wissen -- nicht frankirt, vielmehr hab' ich einen Gulden und 36 Kreuzer
(nach dortigem Gelde ungefähr 2 M. Cour.) dafür ausgeben müssen. Daß
ich ihn nicht sogleich beantwortete, hatte mehrere Gründe; namentlich wünschte
ich Dir über meinen Entschluß hinsichtlich meines Aufenthalts für den bevor¬
stehenden Winter Nachricht zu geben, was ich besonderer Umstände halber nicht
augenblicklich konnte. Jetzt bin ich entschlossen; ich werde gleich nach Beginn
der Ferien (im Ausgang August) Heidelberg verlassen und nach einer Reise
zu Uhland in Stuttgart nach Hamburg zurückkehren, um dort entweder zu
bleiben, oder, je nachdem die Umstände sich machen, nach Berlin abzugehen.
Nach Kiel würde ich nur dann gegangen seyn, wenn Du dort geblieben wärest,
und zwar dann auf jeden, nun aber auf keinen Fall; meine Gemüthslage
erheischt freundschaftliche Theilnahme, wie ich sie bei Dir und durch Dich gehabt
hätte, oder äußere Zerstreuung, wie uur Hamburg und Berlin sie bieten können.
Schön wär' es gewesen, eine vergangene, glückliche Zeit in einer öden Gegen¬
wart mit Bewußtseyn und ohne jene rohen Eingriffe tückisch-täppischer Gesellen,
die den reinen Genuß ehemals verdarben, zu erneuern; doch, wie Vieles wäre
schön und darf dennoch nicht werden I

Ich habe vorgezogen, statt eines Bogens, der ein Bild der Stadt Heidel¬
berg enthält, einen zu wählen, der Dir den bedeutendsten Theil des Heidel-


Aus Hebbels Studienzeit

eben nach München zu gehen; Straßburg, auch Stuttgart wurden auf der
Fußtour von Heidelberg nach München im September 1836 wirklich besichtigt,
der hochverehrte Ludwig Uhland wurde in Tübingen aufgesucht, wobei freilich
seine verschlossene und farblose Persönlichkeit dem jungen Verehrer eine kaum
zu verwindende Enttäuschung bereitete. Nicht auf solchen Einzelheiten indessen
beruht der Wert des Briefes, sondern auf dem charakteristisch Menschlichen: es
steckt ein gut Teil Hebbel, und zwar vom besten Hebbel darin. Wir sehen
die Sorge des Sohnes um die alte, darbende Mutter in der Heimat, die ver¬
ständnisvolle, psychologisch geschärfte Teilnahme des Freundes am Freunde, der
hart unter einer unglücklichen Liebesaffäre litt. Wir vernehmen des selbst¬
eigenen Spott über analysierende Literaturprofessoren, von denen man nur
lernen könne, wie man es nicht machen solle, seine trotzige Verachtung zeit¬
genössischer, jungdeutscher Kritik, seine herbe, künstlerische Strenge gegen sich
selbst. Derselbe Hebbel, der damals in bitterer Not ins Tagebuch schrieb,
sein Leben sei nur noch ein Kampf für Mutter und Leichenstein, reckt hier sich
auf in gespanntem Selbstgefühl, in unerschüttertem Glauben an sein Können
und seine Zukunft: „Was lebt, das wirkt; und was wirkt, das lebt; dies Evangelium
bewahrheitet sich alle Tage." Mir ist, als bewahrheitete es sich, aller Einwände
und Gegnerschaften ungeachtet, eben jetzt an Hebbel selber. — Nun der Brief.

Heidelberg, den 18. July 1836.


Lieber Franz!

Dein Brief vom 8ten Juny ist, sammt dem Louisd'or, am 21 sten selb. Monats
in meine Hände gekommen; jedoch — ich bemerke dies, da Du wünschest es
zu wissen — nicht frankirt, vielmehr hab' ich einen Gulden und 36 Kreuzer
(nach dortigem Gelde ungefähr 2 M. Cour.) dafür ausgeben müssen. Daß
ich ihn nicht sogleich beantwortete, hatte mehrere Gründe; namentlich wünschte
ich Dir über meinen Entschluß hinsichtlich meines Aufenthalts für den bevor¬
stehenden Winter Nachricht zu geben, was ich besonderer Umstände halber nicht
augenblicklich konnte. Jetzt bin ich entschlossen; ich werde gleich nach Beginn
der Ferien (im Ausgang August) Heidelberg verlassen und nach einer Reise
zu Uhland in Stuttgart nach Hamburg zurückkehren, um dort entweder zu
bleiben, oder, je nachdem die Umstände sich machen, nach Berlin abzugehen.
Nach Kiel würde ich nur dann gegangen seyn, wenn Du dort geblieben wärest,
und zwar dann auf jeden, nun aber auf keinen Fall; meine Gemüthslage
erheischt freundschaftliche Theilnahme, wie ich sie bei Dir und durch Dich gehabt
hätte, oder äußere Zerstreuung, wie uur Hamburg und Berlin sie bieten können.
Schön wär' es gewesen, eine vergangene, glückliche Zeit in einer öden Gegen¬
wart mit Bewußtseyn und ohne jene rohen Eingriffe tückisch-täppischer Gesellen,
die den reinen Genuß ehemals verdarben, zu erneuern; doch, wie Vieles wäre
schön und darf dennoch nicht werden I

Ich habe vorgezogen, statt eines Bogens, der ein Bild der Stadt Heidel¬
berg enthält, einen zu wählen, der Dir den bedeutendsten Theil des Heidel-


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[0635] Aus Hebbels Studienzeit eben nach München zu gehen; Straßburg, auch Stuttgart wurden auf der Fußtour von Heidelberg nach München im September 1836 wirklich besichtigt, der hochverehrte Ludwig Uhland wurde in Tübingen aufgesucht, wobei freilich seine verschlossene und farblose Persönlichkeit dem jungen Verehrer eine kaum zu verwindende Enttäuschung bereitete. Nicht auf solchen Einzelheiten indessen beruht der Wert des Briefes, sondern auf dem charakteristisch Menschlichen: es steckt ein gut Teil Hebbel, und zwar vom besten Hebbel darin. Wir sehen die Sorge des Sohnes um die alte, darbende Mutter in der Heimat, die ver¬ ständnisvolle, psychologisch geschärfte Teilnahme des Freundes am Freunde, der hart unter einer unglücklichen Liebesaffäre litt. Wir vernehmen des selbst¬ eigenen Spott über analysierende Literaturprofessoren, von denen man nur lernen könne, wie man es nicht machen solle, seine trotzige Verachtung zeit¬ genössischer, jungdeutscher Kritik, seine herbe, künstlerische Strenge gegen sich selbst. Derselbe Hebbel, der damals in bitterer Not ins Tagebuch schrieb, sein Leben sei nur noch ein Kampf für Mutter und Leichenstein, reckt hier sich auf in gespanntem Selbstgefühl, in unerschüttertem Glauben an sein Können und seine Zukunft: „Was lebt, das wirkt; und was wirkt, das lebt; dies Evangelium bewahrheitet sich alle Tage." Mir ist, als bewahrheitete es sich, aller Einwände und Gegnerschaften ungeachtet, eben jetzt an Hebbel selber. — Nun der Brief. Heidelberg, den 18. July 1836. Lieber Franz! Dein Brief vom 8ten Juny ist, sammt dem Louisd'or, am 21 sten selb. Monats in meine Hände gekommen; jedoch — ich bemerke dies, da Du wünschest es zu wissen — nicht frankirt, vielmehr hab' ich einen Gulden und 36 Kreuzer (nach dortigem Gelde ungefähr 2 M. Cour.) dafür ausgeben müssen. Daß ich ihn nicht sogleich beantwortete, hatte mehrere Gründe; namentlich wünschte ich Dir über meinen Entschluß hinsichtlich meines Aufenthalts für den bevor¬ stehenden Winter Nachricht zu geben, was ich besonderer Umstände halber nicht augenblicklich konnte. Jetzt bin ich entschlossen; ich werde gleich nach Beginn der Ferien (im Ausgang August) Heidelberg verlassen und nach einer Reise zu Uhland in Stuttgart nach Hamburg zurückkehren, um dort entweder zu bleiben, oder, je nachdem die Umstände sich machen, nach Berlin abzugehen. Nach Kiel würde ich nur dann gegangen seyn, wenn Du dort geblieben wärest, und zwar dann auf jeden, nun aber auf keinen Fall; meine Gemüthslage erheischt freundschaftliche Theilnahme, wie ich sie bei Dir und durch Dich gehabt hätte, oder äußere Zerstreuung, wie uur Hamburg und Berlin sie bieten können. Schön wär' es gewesen, eine vergangene, glückliche Zeit in einer öden Gegen¬ wart mit Bewußtseyn und ohne jene rohen Eingriffe tückisch-täppischer Gesellen, die den reinen Genuß ehemals verdarben, zu erneuern; doch, wie Vieles wäre schön und darf dennoch nicht werden I Ich habe vorgezogen, statt eines Bogens, der ein Bild der Stadt Heidel¬ berg enthält, einen zu wählen, der Dir den bedeutendsten Theil des Heidel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/635>, abgerufen am 20.10.2024.