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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ans Hebbols Studienzeit

berger Schlosses zur Anschauung bringt. Das Schloß ist die Seele von Heidel¬
berg und der dicke Thurm die Seele des Schlosses. Wo ich das hinge¬
zeichnet'), habe ich noch gestern (natürlich nicht in den Wolken, sondern inner¬
halb der Mauer, deren Umgränzung Du hier siehst), gestanden. Es ist ein
einziger Punct. Aussicht auf Kaiserstuhl und Heiligenberg, welche, wie zwei
Riesen, die jungfräulich schmächtige Stadt einschließen, und in's unermeßliche
Rheinthal, worin Speier, Worms, Mannheim und der Rhein als imposante
Ruhepuncte hervorragen, hinunter; oben, zwischen und auf dem Gemäuer, ein
Garten, den der Saamen verschleppende Wind angelegt hat; und gerade vor
dem Beschauer, zu seinen Füßen, der herrliche Schloßgarten mit seinen Spazier¬
gängern und Springbrunnen. So etwas ist so wenig für Beschreibung, als
Darstellung; doch werd' ich, wenn wir einmal wieder zusammen sind, Dir
manch leuchtendes Bild nach Vermögen in mehr oder weniger kräftigen Um¬
rissen zu Lust und Freude vorüber führen. Mündlich macht sich das leichter;
da läßt sich fragen und antworten.

Du hast Dich allerdings gehörig mit Collegien bepackt. Ich Hab's mir
bequemer gemacht und nur zwei belegt, wovon ich noch das Eine, da ich kein
leeres Stroh dreschen mag. schwarze. Lächeln hab' ich müssen, als ich in Deinem
Brief mit Bezug auf Literairgeschichte und Antropologie las, Du hättest in der
kurzen Zeit doch auch für allgemeine Bildung was thun wollen. Lieber Junge,
die holst Du nicht von der Universität und nicht von den Professoren; da lernst
Du Nichts, als wie Du's nicht machen mußt. Ein Knabe, der Berge versetzen
will und ein Professor, der die Literatur analysirt -- ich weiß nicht, was sich
possirlicher ausnimmt. Freilich, die Bibel hat Recht, auf den Glauben kommt
Alles an, und wenn der Gott nur geduldig ist, so kommt der Priester nie zu kurz.

Wie es mit meinen Gedichten wird, weiß ich noch nicht. Es liegt so viel
an Stoff vor mir, was ich behandeln und der Sammlung noch einverleiben
mögte, und dies zieht ein Geschäft in die Länge, was nie genug in die Länge
gezogen werden kann. Du wirst sehr wenig Gedichte finden, die Du schon
kennst; ich bin außerordentlich streng gegen meine Producte aus frühern Zeiten,
bin aber dafür auch überzeugt, daß selten ein Dichter mit meiner Klarheit,
Sicherheit und Bewußtseyn seiner Individualität aufgetreten ist, wie ich. Das
Schicksal der Gedichte kümmert mich wenig; die deutsche Kritik ist heut zu Tage
eine alte Vettel, die nur ihre eigenen Basen und Tanten begünstigt und ich
gebe nichts um die saubere Verwandtschaft. Was lebt, das wirkt; und was
wirkt, das lebt; dies Evangelium bewahrheitet sich alle Tage.

Sollte es nicht möglich seyn, daß wir uns in Hamburg sehen? Ich wüßte
wenigstens nicht, warum nicht. Ein characterisirter Mann kann sich schon ein
Vergnügen machen. Ich habe mich gestern (ich schreibe diesen Brief d. 19 July
zu Ende) entschlossen, von Stuttgardt aus mit einem meiner Bekannten eine



*) Am Kopf des Briefbogens findet sich eine Lithographie, das Heidelberger Schloß
darstellend, über der mittleren Zinne des Turms ein "et">
Ans Hebbols Studienzeit

berger Schlosses zur Anschauung bringt. Das Schloß ist die Seele von Heidel¬
berg und der dicke Thurm die Seele des Schlosses. Wo ich das hinge¬
zeichnet'), habe ich noch gestern (natürlich nicht in den Wolken, sondern inner¬
halb der Mauer, deren Umgränzung Du hier siehst), gestanden. Es ist ein
einziger Punct. Aussicht auf Kaiserstuhl und Heiligenberg, welche, wie zwei
Riesen, die jungfräulich schmächtige Stadt einschließen, und in's unermeßliche
Rheinthal, worin Speier, Worms, Mannheim und der Rhein als imposante
Ruhepuncte hervorragen, hinunter; oben, zwischen und auf dem Gemäuer, ein
Garten, den der Saamen verschleppende Wind angelegt hat; und gerade vor
dem Beschauer, zu seinen Füßen, der herrliche Schloßgarten mit seinen Spazier¬
gängern und Springbrunnen. So etwas ist so wenig für Beschreibung, als
Darstellung; doch werd' ich, wenn wir einmal wieder zusammen sind, Dir
manch leuchtendes Bild nach Vermögen in mehr oder weniger kräftigen Um¬
rissen zu Lust und Freude vorüber führen. Mündlich macht sich das leichter;
da läßt sich fragen und antworten.

Du hast Dich allerdings gehörig mit Collegien bepackt. Ich Hab's mir
bequemer gemacht und nur zwei belegt, wovon ich noch das Eine, da ich kein
leeres Stroh dreschen mag. schwarze. Lächeln hab' ich müssen, als ich in Deinem
Brief mit Bezug auf Literairgeschichte und Antropologie las, Du hättest in der
kurzen Zeit doch auch für allgemeine Bildung was thun wollen. Lieber Junge,
die holst Du nicht von der Universität und nicht von den Professoren; da lernst
Du Nichts, als wie Du's nicht machen mußt. Ein Knabe, der Berge versetzen
will und ein Professor, der die Literatur analysirt — ich weiß nicht, was sich
possirlicher ausnimmt. Freilich, die Bibel hat Recht, auf den Glauben kommt
Alles an, und wenn der Gott nur geduldig ist, so kommt der Priester nie zu kurz.

Wie es mit meinen Gedichten wird, weiß ich noch nicht. Es liegt so viel
an Stoff vor mir, was ich behandeln und der Sammlung noch einverleiben
mögte, und dies zieht ein Geschäft in die Länge, was nie genug in die Länge
gezogen werden kann. Du wirst sehr wenig Gedichte finden, die Du schon
kennst; ich bin außerordentlich streng gegen meine Producte aus frühern Zeiten,
bin aber dafür auch überzeugt, daß selten ein Dichter mit meiner Klarheit,
Sicherheit und Bewußtseyn seiner Individualität aufgetreten ist, wie ich. Das
Schicksal der Gedichte kümmert mich wenig; die deutsche Kritik ist heut zu Tage
eine alte Vettel, die nur ihre eigenen Basen und Tanten begünstigt und ich
gebe nichts um die saubere Verwandtschaft. Was lebt, das wirkt; und was
wirkt, das lebt; dies Evangelium bewahrheitet sich alle Tage.

Sollte es nicht möglich seyn, daß wir uns in Hamburg sehen? Ich wüßte
wenigstens nicht, warum nicht. Ein characterisirter Mann kann sich schon ein
Vergnügen machen. Ich habe mich gestern (ich schreibe diesen Brief d. 19 July
zu Ende) entschlossen, von Stuttgardt aus mit einem meiner Bekannten eine



*) Am Kopf des Briefbogens findet sich eine Lithographie, das Heidelberger Schloß
darstellend, über der mittleren Zinne des Turms ein „et">
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[0636] Ans Hebbols Studienzeit berger Schlosses zur Anschauung bringt. Das Schloß ist die Seele von Heidel¬ berg und der dicke Thurm die Seele des Schlosses. Wo ich das hinge¬ zeichnet'), habe ich noch gestern (natürlich nicht in den Wolken, sondern inner¬ halb der Mauer, deren Umgränzung Du hier siehst), gestanden. Es ist ein einziger Punct. Aussicht auf Kaiserstuhl und Heiligenberg, welche, wie zwei Riesen, die jungfräulich schmächtige Stadt einschließen, und in's unermeßliche Rheinthal, worin Speier, Worms, Mannheim und der Rhein als imposante Ruhepuncte hervorragen, hinunter; oben, zwischen und auf dem Gemäuer, ein Garten, den der Saamen verschleppende Wind angelegt hat; und gerade vor dem Beschauer, zu seinen Füßen, der herrliche Schloßgarten mit seinen Spazier¬ gängern und Springbrunnen. So etwas ist so wenig für Beschreibung, als Darstellung; doch werd' ich, wenn wir einmal wieder zusammen sind, Dir manch leuchtendes Bild nach Vermögen in mehr oder weniger kräftigen Um¬ rissen zu Lust und Freude vorüber führen. Mündlich macht sich das leichter; da läßt sich fragen und antworten. Du hast Dich allerdings gehörig mit Collegien bepackt. Ich Hab's mir bequemer gemacht und nur zwei belegt, wovon ich noch das Eine, da ich kein leeres Stroh dreschen mag. schwarze. Lächeln hab' ich müssen, als ich in Deinem Brief mit Bezug auf Literairgeschichte und Antropologie las, Du hättest in der kurzen Zeit doch auch für allgemeine Bildung was thun wollen. Lieber Junge, die holst Du nicht von der Universität und nicht von den Professoren; da lernst Du Nichts, als wie Du's nicht machen mußt. Ein Knabe, der Berge versetzen will und ein Professor, der die Literatur analysirt — ich weiß nicht, was sich possirlicher ausnimmt. Freilich, die Bibel hat Recht, auf den Glauben kommt Alles an, und wenn der Gott nur geduldig ist, so kommt der Priester nie zu kurz. Wie es mit meinen Gedichten wird, weiß ich noch nicht. Es liegt so viel an Stoff vor mir, was ich behandeln und der Sammlung noch einverleiben mögte, und dies zieht ein Geschäft in die Länge, was nie genug in die Länge gezogen werden kann. Du wirst sehr wenig Gedichte finden, die Du schon kennst; ich bin außerordentlich streng gegen meine Producte aus frühern Zeiten, bin aber dafür auch überzeugt, daß selten ein Dichter mit meiner Klarheit, Sicherheit und Bewußtseyn seiner Individualität aufgetreten ist, wie ich. Das Schicksal der Gedichte kümmert mich wenig; die deutsche Kritik ist heut zu Tage eine alte Vettel, die nur ihre eigenen Basen und Tanten begünstigt und ich gebe nichts um die saubere Verwandtschaft. Was lebt, das wirkt; und was wirkt, das lebt; dies Evangelium bewahrheitet sich alle Tage. Sollte es nicht möglich seyn, daß wir uns in Hamburg sehen? Ich wüßte wenigstens nicht, warum nicht. Ein characterisirter Mann kann sich schon ein Vergnügen machen. Ich habe mich gestern (ich schreibe diesen Brief d. 19 July zu Ende) entschlossen, von Stuttgardt aus mit einem meiner Bekannten eine *) Am Kopf des Briefbogens findet sich eine Lithographie, das Heidelberger Schloß darstellend, über der mittleren Zinne des Turms ein „et">

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/636>, abgerufen am 27.09.2024.