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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Aus Hebbels Studienzeit

Vortrag über "Kleist und Körner" der Zweiundzwanzigjährige allein aus sich,
entgegen dem Urteil seiner Zeit das Kleistische Genie in seinem vollen Umfang
und seiner ganzen Tiefe zu erfassen vermochte, begreifen das durchaus. Daß
es Hebbels Hamburger Freitisch gönn er, und vor allem die Schoppe, nicht
begriffen, darf ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Man sah einen
mittellosen jungen Mann nach ungenügender Vorbildung einer sehr ungewissen
Zukunft entgegengehen, und man widersetzte sich zunächst einem scheinbar vor¬
zeitigen Studium. Hebbel überwand schließlich diese Widerstände; daß aber bei
der Schoppe eine starke Mißstimmung zurückblieb, lehrt das folgende, in meinem
Besitz befindliche Schreiben der Schoppe an Hebbel deutlich genug. Sie war
ohnehin durch höchst verächtliche Kabalen, die Hebbels Wesselburemr Jugend¬
freund und Hamburger Stubengenosse Leopold Alberti gesponnen, heftig gegen
Hebbel eingenommen: sie scheint ihm überdies auch die Reise nach Wesselburen
verdacht zu haben, wie sie ihm wohl oder übel alles, was Zeit und vor allein
Geld kostete, verdachte. Der Brief lautete:


Lieber Hebbel!

Schon längst davon entwöhnt, mit Ihrem Vertrauen, selbst in den un¬
bedeutendsten Dingen, beehrt zu werden, und zu sehr mit meinen eigenen
Angelegenheiten beschäftigt, bitte ich Sie, auch fürder Ihren Weg ganz nach
Gefallen und Belieben gehen zu wollen, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen.

Ich werde es als einen Beweis Ihres Wohlwollens gegen mich aufnehmen,
wenn Sie mich mit Ihren Verhältnissen, Plänen etc. etc. in Zukunft, wie
bisher, durchaus nicht belästigen, auch ist mein Antheil daran fast auf Null
reducirt, da Sie es nicht für gut befunden zu haben scheinen, den Weg zu ver¬
folgen, auf dem ich mich Ihnen als helfende und theilnehmende Freundin
zuzugefellen gewillt war.

Ihrem früheren Wunsche zufolge, wollten Sie sich auf Ihre Studien hier
vorbereiten und, wo möglich, zu Ostern zur Universität abgehen. Daß dies
noch Ihre Absicht sei, kann ich nicht glauben, da Sie sonst gewiß nicht 4 kostbare
Wochen, die vorletzten, in denen Sie noch unentgeldlich Unterricht empfangen
können, verschwendet haben würden.

Sie müssen sich also einen andern Lebensplan entworfen haben, und da er
wahrscheinlich besser sein wird, als der frühere, wünsche ich Ihnen Glück dazu,
aber ohne Ihnen meine fernere Theilnahme, welcher Art sie auch sein möge,
zusagen zu können und zu wollen.


Ihre ergebene A. Schoppe

v. H. d. 1. März 183".

Das folgende Schreiben Hebbels, wenige Tage nach diesem Brief abgesandt,
bedarf keines Kommentars; das biographisch zweifellos interessante Dokument
spricht für sich selbst. Unlängst unter den Akten des Landratamts zu Heide
aufgefunden, ist es jetzt im Besitz des Wesselburener Hebbelmuseums. Herrn
Bürgermeister Dohrn in Wesselburen danke ich die Erlaubnis, es zu veröffentlichen.


Aus Hebbels Studienzeit

Vortrag über „Kleist und Körner" der Zweiundzwanzigjährige allein aus sich,
entgegen dem Urteil seiner Zeit das Kleistische Genie in seinem vollen Umfang
und seiner ganzen Tiefe zu erfassen vermochte, begreifen das durchaus. Daß
es Hebbels Hamburger Freitisch gönn er, und vor allem die Schoppe, nicht
begriffen, darf ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Man sah einen
mittellosen jungen Mann nach ungenügender Vorbildung einer sehr ungewissen
Zukunft entgegengehen, und man widersetzte sich zunächst einem scheinbar vor¬
zeitigen Studium. Hebbel überwand schließlich diese Widerstände; daß aber bei
der Schoppe eine starke Mißstimmung zurückblieb, lehrt das folgende, in meinem
Besitz befindliche Schreiben der Schoppe an Hebbel deutlich genug. Sie war
ohnehin durch höchst verächtliche Kabalen, die Hebbels Wesselburemr Jugend¬
freund und Hamburger Stubengenosse Leopold Alberti gesponnen, heftig gegen
Hebbel eingenommen: sie scheint ihm überdies auch die Reise nach Wesselburen
verdacht zu haben, wie sie ihm wohl oder übel alles, was Zeit und vor allein
Geld kostete, verdachte. Der Brief lautete:


Lieber Hebbel!

Schon längst davon entwöhnt, mit Ihrem Vertrauen, selbst in den un¬
bedeutendsten Dingen, beehrt zu werden, und zu sehr mit meinen eigenen
Angelegenheiten beschäftigt, bitte ich Sie, auch fürder Ihren Weg ganz nach
Gefallen und Belieben gehen zu wollen, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen.

Ich werde es als einen Beweis Ihres Wohlwollens gegen mich aufnehmen,
wenn Sie mich mit Ihren Verhältnissen, Plänen etc. etc. in Zukunft, wie
bisher, durchaus nicht belästigen, auch ist mein Antheil daran fast auf Null
reducirt, da Sie es nicht für gut befunden zu haben scheinen, den Weg zu ver¬
folgen, auf dem ich mich Ihnen als helfende und theilnehmende Freundin
zuzugefellen gewillt war.

Ihrem früheren Wunsche zufolge, wollten Sie sich auf Ihre Studien hier
vorbereiten und, wo möglich, zu Ostern zur Universität abgehen. Daß dies
noch Ihre Absicht sei, kann ich nicht glauben, da Sie sonst gewiß nicht 4 kostbare
Wochen, die vorletzten, in denen Sie noch unentgeldlich Unterricht empfangen
können, verschwendet haben würden.

Sie müssen sich also einen andern Lebensplan entworfen haben, und da er
wahrscheinlich besser sein wird, als der frühere, wünsche ich Ihnen Glück dazu,
aber ohne Ihnen meine fernere Theilnahme, welcher Art sie auch sein möge,
zusagen zu können und zu wollen.


Ihre ergebene A. Schoppe

v. H. d. 1. März 183«.

Das folgende Schreiben Hebbels, wenige Tage nach diesem Brief abgesandt,
bedarf keines Kommentars; das biographisch zweifellos interessante Dokument
spricht für sich selbst. Unlängst unter den Akten des Landratamts zu Heide
aufgefunden, ist es jetzt im Besitz des Wesselburener Hebbelmuseums. Herrn
Bürgermeister Dohrn in Wesselburen danke ich die Erlaubnis, es zu veröffentlichen.


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[0633] Aus Hebbels Studienzeit Vortrag über „Kleist und Körner" der Zweiundzwanzigjährige allein aus sich, entgegen dem Urteil seiner Zeit das Kleistische Genie in seinem vollen Umfang und seiner ganzen Tiefe zu erfassen vermochte, begreifen das durchaus. Daß es Hebbels Hamburger Freitisch gönn er, und vor allem die Schoppe, nicht begriffen, darf ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Man sah einen mittellosen jungen Mann nach ungenügender Vorbildung einer sehr ungewissen Zukunft entgegengehen, und man widersetzte sich zunächst einem scheinbar vor¬ zeitigen Studium. Hebbel überwand schließlich diese Widerstände; daß aber bei der Schoppe eine starke Mißstimmung zurückblieb, lehrt das folgende, in meinem Besitz befindliche Schreiben der Schoppe an Hebbel deutlich genug. Sie war ohnehin durch höchst verächtliche Kabalen, die Hebbels Wesselburemr Jugend¬ freund und Hamburger Stubengenosse Leopold Alberti gesponnen, heftig gegen Hebbel eingenommen: sie scheint ihm überdies auch die Reise nach Wesselburen verdacht zu haben, wie sie ihm wohl oder übel alles, was Zeit und vor allein Geld kostete, verdachte. Der Brief lautete: Lieber Hebbel! Schon längst davon entwöhnt, mit Ihrem Vertrauen, selbst in den un¬ bedeutendsten Dingen, beehrt zu werden, und zu sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, bitte ich Sie, auch fürder Ihren Weg ganz nach Gefallen und Belieben gehen zu wollen, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen. Ich werde es als einen Beweis Ihres Wohlwollens gegen mich aufnehmen, wenn Sie mich mit Ihren Verhältnissen, Plänen etc. etc. in Zukunft, wie bisher, durchaus nicht belästigen, auch ist mein Antheil daran fast auf Null reducirt, da Sie es nicht für gut befunden zu haben scheinen, den Weg zu ver¬ folgen, auf dem ich mich Ihnen als helfende und theilnehmende Freundin zuzugefellen gewillt war. Ihrem früheren Wunsche zufolge, wollten Sie sich auf Ihre Studien hier vorbereiten und, wo möglich, zu Ostern zur Universität abgehen. Daß dies noch Ihre Absicht sei, kann ich nicht glauben, da Sie sonst gewiß nicht 4 kostbare Wochen, die vorletzten, in denen Sie noch unentgeldlich Unterricht empfangen können, verschwendet haben würden. Sie müssen sich also einen andern Lebensplan entworfen haben, und da er wahrscheinlich besser sein wird, als der frühere, wünsche ich Ihnen Glück dazu, aber ohne Ihnen meine fernere Theilnahme, welcher Art sie auch sein möge, zusagen zu können und zu wollen. Ihre ergebene A. Schoppe v. H. d. 1. März 183«. Das folgende Schreiben Hebbels, wenige Tage nach diesem Brief abgesandt, bedarf keines Kommentars; das biographisch zweifellos interessante Dokument spricht für sich selbst. Unlängst unter den Akten des Landratamts zu Heide aufgefunden, ist es jetzt im Besitz des Wesselburener Hebbelmuseums. Herrn Bürgermeister Dohrn in Wesselburen danke ich die Erlaubnis, es zu veröffentlichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/633>, abgerufen am 27.09.2024.