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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Z>lo fürstlichen Gegner Lismarcks

an. Schließlich traf trotz der schriftlichen Ablehnung des preußischen Königs
Johann von Sachsen in Baden ein -- wo Wilhelm der Erste nach Beendigung
der Gasteiner Kur weilte -- um ihn durch persönliche Beeinflussung zur Reise
nach Frankfurt zu bewegen. "Dreißig Fürsten als Einlader, ein König als
Kabinettskurier, wie kann man da ablehnen?" rief damals der König aus.
Doch Bismarck schloß seine Vorstellungen mit der Erklärung: Wenn der König
befehle, würde er mit nach Frankfurt gehen, aber nicht mehr als Minister,
sondern als Schreiber. Nach hartem Kampfe schrieb der König die ablehnende
Antwort. Als Bismarck sie persönlich übergeben und sich hinter dem Sachsen
die Türe geschlossen hatte, zerschmetterte Bismarck mit der abgerissenen Türklinke
einen auf dem Tisch stehenden Teller mit Gläsern. "Ich mußte etwas zerstören",
rief er, "jetzt habe ich wieder Atem."

Die Königin Viktoria und mit ihr die kronprinzlichen Herrschaften, die
damals auf dem Kallenberg und der Rosenau bei Koburg wohnten, sahen in
dieser Weigerung das Signal für den Untergang Preußens, ja vielleicht der
Dynastie. Am 29. August, während der Verhandlungen in Frankfurt, schrieb
die englische Königin an Herzog Ernst: "Nach dem, was ich höre, muß ich
glauben, daß die Stellung Preußens immer schlimmer wird, und ich fürchte,
daß es im Schoße der Fürstenversammlung wenige Stimmen haben wird, die
seine Interessen wahren werden. Um so mehr wollte ich Dich bitten, soviel es
in Deiner Macht steht, eine Schwächung Preußens zu verhindern, gegen die sich
mein Gefühl nicht allein der Zukunft unserer Kinder wegen sträubt, sondern
die auch sicher gegen das Interesse von Deutschland sein würde, und ich weiß,
daß unser teurer Engel Albert ein starkes Preußen immer als eine Notwendigkeit
ansah." Als der österreichische Kaiser ihr nach Schluß des Kongresses im
Koburger Nestdenzschloß seine Aufwartung machte, sagte sie ihm viel schmeichel¬
haftes über die Art, wie er die Geschäfte geführt, und fügte hinzu, die
mütterliche Sorge für ihre Kinder mache es ihr zur Herzensangelegenheit, dem
Kaiser dieselben zu empfehlen. Unter allen Umständen hoffe sie das eine,
daß er die Stellung und die Rechte ihrer teueren Kinder in Berlin niemals
beeinträchtigen lassen werde.

In Wirklichkeit war damals Bismarck fast über den Berg. Wie so
manchmal in späterer Zeit hatten ihm seine Gegner durch ihre Anschläge den
Weg zur Höhe gebahnt. Das negative Ergebnis der Verhandlungen des
Frankfurter Kongresses bewies, daß auf friedlichem Wege eine Lösung der
deutschen Frage aussichtslos sei. Mit tiefer Verstimmung blickte man in der
österreichischen Staatskanzlei auf die Frankfurter Tage und ihre Enttäuschungen
zurück. Diese Verstimmung trug dazu bei, Bismarcks genialste politische
Tat gelingen zu lassen, nämlich Osterreich unter dem preußenfeindlichen Minister
Rechberg über Nacht zu einer grundsätzlichen Schwenkung seiner Politik zu ver¬
anlassen, in der Weise, daß es sich von den süddeutschen Demokraten und
Regierungen loslöste und sich in der Behandlung der Schleswig-holsteinischen


Z>lo fürstlichen Gegner Lismarcks

an. Schließlich traf trotz der schriftlichen Ablehnung des preußischen Königs
Johann von Sachsen in Baden ein — wo Wilhelm der Erste nach Beendigung
der Gasteiner Kur weilte — um ihn durch persönliche Beeinflussung zur Reise
nach Frankfurt zu bewegen. „Dreißig Fürsten als Einlader, ein König als
Kabinettskurier, wie kann man da ablehnen?" rief damals der König aus.
Doch Bismarck schloß seine Vorstellungen mit der Erklärung: Wenn der König
befehle, würde er mit nach Frankfurt gehen, aber nicht mehr als Minister,
sondern als Schreiber. Nach hartem Kampfe schrieb der König die ablehnende
Antwort. Als Bismarck sie persönlich übergeben und sich hinter dem Sachsen
die Türe geschlossen hatte, zerschmetterte Bismarck mit der abgerissenen Türklinke
einen auf dem Tisch stehenden Teller mit Gläsern. „Ich mußte etwas zerstören",
rief er, „jetzt habe ich wieder Atem."

Die Königin Viktoria und mit ihr die kronprinzlichen Herrschaften, die
damals auf dem Kallenberg und der Rosenau bei Koburg wohnten, sahen in
dieser Weigerung das Signal für den Untergang Preußens, ja vielleicht der
Dynastie. Am 29. August, während der Verhandlungen in Frankfurt, schrieb
die englische Königin an Herzog Ernst: „Nach dem, was ich höre, muß ich
glauben, daß die Stellung Preußens immer schlimmer wird, und ich fürchte,
daß es im Schoße der Fürstenversammlung wenige Stimmen haben wird, die
seine Interessen wahren werden. Um so mehr wollte ich Dich bitten, soviel es
in Deiner Macht steht, eine Schwächung Preußens zu verhindern, gegen die sich
mein Gefühl nicht allein der Zukunft unserer Kinder wegen sträubt, sondern
die auch sicher gegen das Interesse von Deutschland sein würde, und ich weiß,
daß unser teurer Engel Albert ein starkes Preußen immer als eine Notwendigkeit
ansah." Als der österreichische Kaiser ihr nach Schluß des Kongresses im
Koburger Nestdenzschloß seine Aufwartung machte, sagte sie ihm viel schmeichel¬
haftes über die Art, wie er die Geschäfte geführt, und fügte hinzu, die
mütterliche Sorge für ihre Kinder mache es ihr zur Herzensangelegenheit, dem
Kaiser dieselben zu empfehlen. Unter allen Umständen hoffe sie das eine,
daß er die Stellung und die Rechte ihrer teueren Kinder in Berlin niemals
beeinträchtigen lassen werde.

In Wirklichkeit war damals Bismarck fast über den Berg. Wie so
manchmal in späterer Zeit hatten ihm seine Gegner durch ihre Anschläge den
Weg zur Höhe gebahnt. Das negative Ergebnis der Verhandlungen des
Frankfurter Kongresses bewies, daß auf friedlichem Wege eine Lösung der
deutschen Frage aussichtslos sei. Mit tiefer Verstimmung blickte man in der
österreichischen Staatskanzlei auf die Frankfurter Tage und ihre Enttäuschungen
zurück. Diese Verstimmung trug dazu bei, Bismarcks genialste politische
Tat gelingen zu lassen, nämlich Osterreich unter dem preußenfeindlichen Minister
Rechberg über Nacht zu einer grundsätzlichen Schwenkung seiner Politik zu ver¬
anlassen, in der Weise, daß es sich von den süddeutschen Demokraten und
Regierungen loslöste und sich in der Behandlung der Schleswig-holsteinischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/619>, abgerufen am 27.09.2024.