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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Bismarcks

Successionsfrage Preußens diplomatischer Führung überließ. Der Gedanke:
"wir wollen einmal diesen Kleinen zeigen, daß uns die Verbindung mit Preußen
jeden Tag möglich und daß ihre politische Weisheit von der dritten Großmacht
im Bunde, die dazu bestimmt sei, die Wagschale zwischen den beiden Gro߬
mächten zu halten, törichtes Gerede ist", mag unter den Motiven dieses
Bündnisses eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Zwei Monate nachdem die Königin Viktoria und die kronprinzlichen Herr¬
schaften wegen der Isolierung Preußens so trüb in die Zukunft gesehen, war
es Bismarck gelungen, das so gefürchtete Österreich als Bundesgenossen zu
gewinnen. Daneben konnte er sich auf die Freundschaft Rußlands und
Frankreichs verlassen. Napoleon hatte, besorgt über den ehrgeizigen Vorstoß der
österreichischen Politik, den er in der Berufung des Fürstenkongresses zu erkennen
glaubte, die kühle Behandlung Preußens wegen seiner Haltung beim polnischen
Aufstand mit liebenswürdigen: Entgegenkommen vertauscht. Im Laufe eines
Jahres hatte sich Bismarck ein gediegenes Fundament geschaffen, auf dem er
weiter bauen konnte.

So gehört das Jahr 1862/63 zu den entscheidendsten in seinem politischen
Leben. In späteren Jahren sind die Erfolge sichtbarer hervorgetreten; aber ohne
das besonnene und energische Handeln, ohne das zähe und mutige Aushalten
Bismarcks in seinem ersten Ministerjahr hätten sie nie reifen können. Feinde
waren ja auf der ganzen Linie: Die Majorität des Abgeordnetenhauses, die
Königin, das kronprinzliche Paar und die öffentliche Meinung. Dabei der
Gegensatz Englands und der scharfe Vorstoß der österreichischen Politik zur
Wiedergewinnung der ersten Stelle in Deutschland. Seine Anhänger im
eigenen Lande waren zu zählen; unter den Großmächten konnte er sich bis in
den Herbst 1863 hinein nur auf Rußland verlassen, dessen Kräfte durch den
polnischen Aufstand in Anspruch genommen waren. Und dennoch kein
Schwanken! Inmitten der leidenschaftlichen Angriffe, der drohenden Gefahren
eine eiserne Ruhe, ein entschlossenes Handeln!

Doch fast möchte man fragen, ob nicht der König in diesem
wichtigen Jahre noch größer erscheint. Die eigene Gattin, der eigene
Sohn, die früheren politischen Freunde stehen im anderen Lager. Die
Mehrheit seines Volles haßt die von ihm eingesetzte und gestützte
Regierung, und doch hält er seinem Minister, dem er persönliche Sym¬
pathien nicht entgegengebracht hat, die Treue, nur aus dem Grunde,
weil er ein Aushalten für nötig hält im Interesse Preußens. Wilhelm
der Erste hat es also nicht nur verstanden, die richtigen Männer an
den richtigen Platz zu setzen. Er hat selbst mitgestritten, und besonders schwere
Seelenkämpfe sind ihm zugemutet worden. An dem endgültigen Sieg hat er
den reichsten Anteil.

Nicht bloß in diesem Jahre, sondern bis an fein Lebensende hat er treu
zu seinem Minister gestanden. Weniger treu sind Bismarck die fürstlichen


Die fürstlichen Gegner Bismarcks

Successionsfrage Preußens diplomatischer Führung überließ. Der Gedanke:
„wir wollen einmal diesen Kleinen zeigen, daß uns die Verbindung mit Preußen
jeden Tag möglich und daß ihre politische Weisheit von der dritten Großmacht
im Bunde, die dazu bestimmt sei, die Wagschale zwischen den beiden Gro߬
mächten zu halten, törichtes Gerede ist", mag unter den Motiven dieses
Bündnisses eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Zwei Monate nachdem die Königin Viktoria und die kronprinzlichen Herr¬
schaften wegen der Isolierung Preußens so trüb in die Zukunft gesehen, war
es Bismarck gelungen, das so gefürchtete Österreich als Bundesgenossen zu
gewinnen. Daneben konnte er sich auf die Freundschaft Rußlands und
Frankreichs verlassen. Napoleon hatte, besorgt über den ehrgeizigen Vorstoß der
österreichischen Politik, den er in der Berufung des Fürstenkongresses zu erkennen
glaubte, die kühle Behandlung Preußens wegen seiner Haltung beim polnischen
Aufstand mit liebenswürdigen: Entgegenkommen vertauscht. Im Laufe eines
Jahres hatte sich Bismarck ein gediegenes Fundament geschaffen, auf dem er
weiter bauen konnte.

So gehört das Jahr 1862/63 zu den entscheidendsten in seinem politischen
Leben. In späteren Jahren sind die Erfolge sichtbarer hervorgetreten; aber ohne
das besonnene und energische Handeln, ohne das zähe und mutige Aushalten
Bismarcks in seinem ersten Ministerjahr hätten sie nie reifen können. Feinde
waren ja auf der ganzen Linie: Die Majorität des Abgeordnetenhauses, die
Königin, das kronprinzliche Paar und die öffentliche Meinung. Dabei der
Gegensatz Englands und der scharfe Vorstoß der österreichischen Politik zur
Wiedergewinnung der ersten Stelle in Deutschland. Seine Anhänger im
eigenen Lande waren zu zählen; unter den Großmächten konnte er sich bis in
den Herbst 1863 hinein nur auf Rußland verlassen, dessen Kräfte durch den
polnischen Aufstand in Anspruch genommen waren. Und dennoch kein
Schwanken! Inmitten der leidenschaftlichen Angriffe, der drohenden Gefahren
eine eiserne Ruhe, ein entschlossenes Handeln!

Doch fast möchte man fragen, ob nicht der König in diesem
wichtigen Jahre noch größer erscheint. Die eigene Gattin, der eigene
Sohn, die früheren politischen Freunde stehen im anderen Lager. Die
Mehrheit seines Volles haßt die von ihm eingesetzte und gestützte
Regierung, und doch hält er seinem Minister, dem er persönliche Sym¬
pathien nicht entgegengebracht hat, die Treue, nur aus dem Grunde,
weil er ein Aushalten für nötig hält im Interesse Preußens. Wilhelm
der Erste hat es also nicht nur verstanden, die richtigen Männer an
den richtigen Platz zu setzen. Er hat selbst mitgestritten, und besonders schwere
Seelenkämpfe sind ihm zugemutet worden. An dem endgültigen Sieg hat er
den reichsten Anteil.

Nicht bloß in diesem Jahre, sondern bis an fein Lebensende hat er treu
zu seinem Minister gestanden. Weniger treu sind Bismarck die fürstlichen


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[0620] Die fürstlichen Gegner Bismarcks Successionsfrage Preußens diplomatischer Führung überließ. Der Gedanke: „wir wollen einmal diesen Kleinen zeigen, daß uns die Verbindung mit Preußen jeden Tag möglich und daß ihre politische Weisheit von der dritten Großmacht im Bunde, die dazu bestimmt sei, die Wagschale zwischen den beiden Gro߬ mächten zu halten, törichtes Gerede ist", mag unter den Motiven dieses Bündnisses eine wesentliche Rolle gespielt haben. Zwei Monate nachdem die Königin Viktoria und die kronprinzlichen Herr¬ schaften wegen der Isolierung Preußens so trüb in die Zukunft gesehen, war es Bismarck gelungen, das so gefürchtete Österreich als Bundesgenossen zu gewinnen. Daneben konnte er sich auf die Freundschaft Rußlands und Frankreichs verlassen. Napoleon hatte, besorgt über den ehrgeizigen Vorstoß der österreichischen Politik, den er in der Berufung des Fürstenkongresses zu erkennen glaubte, die kühle Behandlung Preußens wegen seiner Haltung beim polnischen Aufstand mit liebenswürdigen: Entgegenkommen vertauscht. Im Laufe eines Jahres hatte sich Bismarck ein gediegenes Fundament geschaffen, auf dem er weiter bauen konnte. So gehört das Jahr 1862/63 zu den entscheidendsten in seinem politischen Leben. In späteren Jahren sind die Erfolge sichtbarer hervorgetreten; aber ohne das besonnene und energische Handeln, ohne das zähe und mutige Aushalten Bismarcks in seinem ersten Ministerjahr hätten sie nie reifen können. Feinde waren ja auf der ganzen Linie: Die Majorität des Abgeordnetenhauses, die Königin, das kronprinzliche Paar und die öffentliche Meinung. Dabei der Gegensatz Englands und der scharfe Vorstoß der österreichischen Politik zur Wiedergewinnung der ersten Stelle in Deutschland. Seine Anhänger im eigenen Lande waren zu zählen; unter den Großmächten konnte er sich bis in den Herbst 1863 hinein nur auf Rußland verlassen, dessen Kräfte durch den polnischen Aufstand in Anspruch genommen waren. Und dennoch kein Schwanken! Inmitten der leidenschaftlichen Angriffe, der drohenden Gefahren eine eiserne Ruhe, ein entschlossenes Handeln! Doch fast möchte man fragen, ob nicht der König in diesem wichtigen Jahre noch größer erscheint. Die eigene Gattin, der eigene Sohn, die früheren politischen Freunde stehen im anderen Lager. Die Mehrheit seines Volles haßt die von ihm eingesetzte und gestützte Regierung, und doch hält er seinem Minister, dem er persönliche Sym¬ pathien nicht entgegengebracht hat, die Treue, nur aus dem Grunde, weil er ein Aushalten für nötig hält im Interesse Preußens. Wilhelm der Erste hat es also nicht nur verstanden, die richtigen Männer an den richtigen Platz zu setzen. Er hat selbst mitgestritten, und besonders schwere Seelenkämpfe sind ihm zugemutet worden. An dem endgültigen Sieg hat er den reichsten Anteil. Nicht bloß in diesem Jahre, sondern bis an fein Lebensende hat er treu zu seinem Minister gestanden. Weniger treu sind Bismarck die fürstlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/620>, abgerufen am 27.09.2024.