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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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T>le deutsche Umlerei der Gegenwart

Konturs erreicht werden wollen. Es ist kein Wunder, wenn das ungewöhnliche
Wollen Beckmanns zwar erkannt, aber nicht verstanden und gewürdigt wird.
Mag die Zukunft ihm eine andere Lösung bringen, als er sie jetzt erstrebt;
klar ist das eine, daß ,er innerlich dem naturalistischen Impressionismus (selbst
in seinen kraftvollen Landschaften) völlig entwachsen ist und einer neuen
unbekannten Jdealkunst zustrebt. Dieses Neue, dessen Form noch nicht geklärt
ist, verhindert, daß seine großen Bilder in der Nachbarschaft der andern
Sezessionisten ihre richtige Wirkung ausüben können.

Einige jüngere Künstler in seiner Nähe verfolgen ähnliche Gedanken,
besonders Waldemar Rösler in seinen biblischen Szenen, etwas ferner Leo
von König.

Eine besondere Gruppe der Impressionisten bilden die sogenannten Neo-
Impressionisten, die dein Prinzip der Farbenauflösung bis in seine letzte Folgerung
nachgehen und mit starkfarbigen Tupfen lichte Wirkungen erreichen: letzten Endes
eine Umkehrung des Impressionismus in eine dekorative und stillebenhafte
Geschmackskunst. Paul Baum und Kurt Herrmann, vorläufig wohl auch Ophey
gehören ihm von Deutschen an.

Einen radikalen Bruch mit dem herrschenden Impressionismus vollzog aber
erst eine kleine Gruppe begabter Maler, die nach französischem Beispiel "Ex¬
pressionisten" genannt werden, weil sie nicht mehr den momentanen "Eindruck"
eines beliebigen Naturausschnittcs geben wollten, sondern eine farbige Ideali¬
sierung, eine Umprägung des Natureindrucks zu einer rein optischen Bildeinheit
mit möglichst starkem "Ausdruck". Der Bruch mit der Tradition war allerdings
nur in Deutschland so heftig und unerwartet. In Frankreich, dein führenden
Lande der Malerei, war der neue Grundsatz folgerecht aus dem impressionistischen
herausentwickelt worden. Die letzten großen Maler Cezanne, Gauguin und van
Gogh waren dort zu ganz anderen, einfacheren Lösungen gekommen, die Flächen
und Konturen nicht auflösten, sondern stärker zusammenfaßten. Auf ihnen bauten
Matisse und seine Schüler weiter. Die Deutschen aber hatten fast die ganze
Entwicklung seit Monet nicht mitgemacht, bis endlich das Empfinden der Zeit
in einigen Malern, am frühesten wohl bei Rotte und Nohlfs, durchbrach und
sie sogleich zu den letzten Ausläufern der Richtung führte. Noch handelt es sich
um eine junge Bewegung in den ersten Anfängen bei uns. Aber alle hoffnungs¬
vollen Talente strömen ihnen zu: Pechstein, Raum, Deußer, Bolz und manche,
deren Namen man sich bald wird merken müssen. Es handelt sich hier nicht
um eine Modeströmung, sondern um einen Ausdruck unseres Zeitwollens, der
sich wieder zur reinen, ausdrucksvollen Form und Farbe sammeln will, nicht
um ein willkürliches Ausschalten aller bisher geltenden Kunstgesetze, sondern um
eine Rückkehr zu den starken Wirkungen des rein Künstlerischen, die in alleil
großen Kunstepochen bestimmend waren, und um eine lebendige Fortentwicklung
unserer Malerei, die mit dem Impressionismus nicht mehr recht vorwärts
kommt.


T>le deutsche Umlerei der Gegenwart

Konturs erreicht werden wollen. Es ist kein Wunder, wenn das ungewöhnliche
Wollen Beckmanns zwar erkannt, aber nicht verstanden und gewürdigt wird.
Mag die Zukunft ihm eine andere Lösung bringen, als er sie jetzt erstrebt;
klar ist das eine, daß ,er innerlich dem naturalistischen Impressionismus (selbst
in seinen kraftvollen Landschaften) völlig entwachsen ist und einer neuen
unbekannten Jdealkunst zustrebt. Dieses Neue, dessen Form noch nicht geklärt
ist, verhindert, daß seine großen Bilder in der Nachbarschaft der andern
Sezessionisten ihre richtige Wirkung ausüben können.

Einige jüngere Künstler in seiner Nähe verfolgen ähnliche Gedanken,
besonders Waldemar Rösler in seinen biblischen Szenen, etwas ferner Leo
von König.

Eine besondere Gruppe der Impressionisten bilden die sogenannten Neo-
Impressionisten, die dein Prinzip der Farbenauflösung bis in seine letzte Folgerung
nachgehen und mit starkfarbigen Tupfen lichte Wirkungen erreichen: letzten Endes
eine Umkehrung des Impressionismus in eine dekorative und stillebenhafte
Geschmackskunst. Paul Baum und Kurt Herrmann, vorläufig wohl auch Ophey
gehören ihm von Deutschen an.

Einen radikalen Bruch mit dem herrschenden Impressionismus vollzog aber
erst eine kleine Gruppe begabter Maler, die nach französischem Beispiel „Ex¬
pressionisten" genannt werden, weil sie nicht mehr den momentanen „Eindruck"
eines beliebigen Naturausschnittcs geben wollten, sondern eine farbige Ideali¬
sierung, eine Umprägung des Natureindrucks zu einer rein optischen Bildeinheit
mit möglichst starkem „Ausdruck". Der Bruch mit der Tradition war allerdings
nur in Deutschland so heftig und unerwartet. In Frankreich, dein führenden
Lande der Malerei, war der neue Grundsatz folgerecht aus dem impressionistischen
herausentwickelt worden. Die letzten großen Maler Cezanne, Gauguin und van
Gogh waren dort zu ganz anderen, einfacheren Lösungen gekommen, die Flächen
und Konturen nicht auflösten, sondern stärker zusammenfaßten. Auf ihnen bauten
Matisse und seine Schüler weiter. Die Deutschen aber hatten fast die ganze
Entwicklung seit Monet nicht mitgemacht, bis endlich das Empfinden der Zeit
in einigen Malern, am frühesten wohl bei Rotte und Nohlfs, durchbrach und
sie sogleich zu den letzten Ausläufern der Richtung führte. Noch handelt es sich
um eine junge Bewegung in den ersten Anfängen bei uns. Aber alle hoffnungs¬
vollen Talente strömen ihnen zu: Pechstein, Raum, Deußer, Bolz und manche,
deren Namen man sich bald wird merken müssen. Es handelt sich hier nicht
um eine Modeströmung, sondern um einen Ausdruck unseres Zeitwollens, der
sich wieder zur reinen, ausdrucksvollen Form und Farbe sammeln will, nicht
um ein willkürliches Ausschalten aller bisher geltenden Kunstgesetze, sondern um
eine Rückkehr zu den starken Wirkungen des rein Künstlerischen, die in alleil
großen Kunstepochen bestimmend waren, und um eine lebendige Fortentwicklung
unserer Malerei, die mit dem Impressionismus nicht mehr recht vorwärts
kommt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/569>, abgerufen am 27.09.2024.