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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Fritz von Abbe ist der Bedeutendere von ihnen, nicht nur um seiner religiösen
Themen willen: diese gehören zwar untrennbar zu seiner ganzen Natur, die sich
inbrünstig mystisch auszudrücken strebt, aber sie könnten fast aus dem Bilde
dieses feinen Künstlers verschwinden, ohne es sonderlich zu verändern. Abtes
Bedeutung liegt ähnlich wie bei dem Berliner Meister selbst in der Treue und
Energie, mit der er das Prinzip der Luftmalerei abgewandelt hat. Das
protestantisch-religiöse Gefühl seiner Christusbilder deckt sich bisweilen in den besten
mit dem Hymnus, den seine Farbe auf das Licht singt; aber es scheidet sich öfter
von seiner realistischen Ausdrucksweise, und niemals erreicht er, auch in seinen
profanen Gemälden, die entschiedenere, weil kühlere Wahrheit Liebermanns.
Leopold Graf Kalckreuth beschränkt sich freilich darauf, das Sichtbare der Dinge
zu malen, und wo er gute Stunden hat, kann er hinreißend liebenswürdig sein:
so in seinen frühen kühltonig-grauen Bildnissen, in seinen späten Heideland¬
schaften. Aber er ist seines Talentes nicht recht sicher und vergreift sich mitunter
in wesentlichen Dingen; so fehlt seiner künstlerischen Persönlichkeit zwar das
Einseitige, aber mit dem individuellen Stil auch die Entschiedenheit.

Der Nachwuchs des entschiedenen Impressionismus in Süddeutschland ist
nicht groß; er beschränkt sich fast auf die Sonnen- und Wassermaler Groeber
und Landenberger. Man kann überhaupt die Bemerkung machen, daß den
alten Führern des Impressionismus kein gleichwertiger Nachwuchs mit selbständigem
Rückgrat zur Seite steht. Denn die begabtesten unter den Jüngeren wollen
überhaupt nichts mehr von dieser Kunstform wissen, oder sie stehen, wie Beckmann,
in entschiedener Opposition zu den impressionistischen Führern.

Max Beckmann zeigt, gerade weil er unter den jüngeren Deutschen wohl
dies stärkste Kunstwollen besitzt, und weil er bei den Mitteln des Impressionismus
stehen bleiben will, den beginnenden Zerfall des Auflösungsprinzips. Über
Corinths und Liebermanns Figurenkompositionen drängt er ungestüm hinaus.
Er ersetzt wieder das Zufallsmäßige und Unorganische der naturalistischen
Komposition durch geschlossenen Elemente; wenigstens scheint seine Entwicklung
auf die größere Bestimmtheit der Figur hinzuarbeiten. Das Bemerkenswerteste
aber ist, daß bei seinen religiösen wie mythologischen oder realistischen Kompositionen
das ideale Moment siegreich durchbricht. Nicht mehr die belanglose Statisten¬
figur, das Modell spielt auf seiner Bühne, sondern es handelt sich hier um
wahre Gestalten, um innerlich erlebte, wenn man will "erdichtete" dramatische
Personen und um das Drama menschlicher Charaktere selber. Vielleicht ist das
ein Wiederaufnehmen von Problemen Feuerbachs und Hans von Marsch.
Und nun in der Form ein heftiges Ringen um die Verschmelzung zweier fast
unvereinbarer Welten: der großen Barockbewegung von Rubens und Rembrandts
mystisches Licht und Kolorit! Erschwert diese Häufung von Hindernissen schon
außerordentlich das Werk, so kommt als Seltsamstes, erschütternd und das
Verständnis des Künstlers aufs äußerste erschwerend, hinzu, daß diese Absichten
mit der Form der zerlegten und trüb gemachten Farbe und des unscharfen


Die deutsche Malerei der Gegenwart

Fritz von Abbe ist der Bedeutendere von ihnen, nicht nur um seiner religiösen
Themen willen: diese gehören zwar untrennbar zu seiner ganzen Natur, die sich
inbrünstig mystisch auszudrücken strebt, aber sie könnten fast aus dem Bilde
dieses feinen Künstlers verschwinden, ohne es sonderlich zu verändern. Abtes
Bedeutung liegt ähnlich wie bei dem Berliner Meister selbst in der Treue und
Energie, mit der er das Prinzip der Luftmalerei abgewandelt hat. Das
protestantisch-religiöse Gefühl seiner Christusbilder deckt sich bisweilen in den besten
mit dem Hymnus, den seine Farbe auf das Licht singt; aber es scheidet sich öfter
von seiner realistischen Ausdrucksweise, und niemals erreicht er, auch in seinen
profanen Gemälden, die entschiedenere, weil kühlere Wahrheit Liebermanns.
Leopold Graf Kalckreuth beschränkt sich freilich darauf, das Sichtbare der Dinge
zu malen, und wo er gute Stunden hat, kann er hinreißend liebenswürdig sein:
so in seinen frühen kühltonig-grauen Bildnissen, in seinen späten Heideland¬
schaften. Aber er ist seines Talentes nicht recht sicher und vergreift sich mitunter
in wesentlichen Dingen; so fehlt seiner künstlerischen Persönlichkeit zwar das
Einseitige, aber mit dem individuellen Stil auch die Entschiedenheit.

Der Nachwuchs des entschiedenen Impressionismus in Süddeutschland ist
nicht groß; er beschränkt sich fast auf die Sonnen- und Wassermaler Groeber
und Landenberger. Man kann überhaupt die Bemerkung machen, daß den
alten Führern des Impressionismus kein gleichwertiger Nachwuchs mit selbständigem
Rückgrat zur Seite steht. Denn die begabtesten unter den Jüngeren wollen
überhaupt nichts mehr von dieser Kunstform wissen, oder sie stehen, wie Beckmann,
in entschiedener Opposition zu den impressionistischen Führern.

Max Beckmann zeigt, gerade weil er unter den jüngeren Deutschen wohl
dies stärkste Kunstwollen besitzt, und weil er bei den Mitteln des Impressionismus
stehen bleiben will, den beginnenden Zerfall des Auflösungsprinzips. Über
Corinths und Liebermanns Figurenkompositionen drängt er ungestüm hinaus.
Er ersetzt wieder das Zufallsmäßige und Unorganische der naturalistischen
Komposition durch geschlossenen Elemente; wenigstens scheint seine Entwicklung
auf die größere Bestimmtheit der Figur hinzuarbeiten. Das Bemerkenswerteste
aber ist, daß bei seinen religiösen wie mythologischen oder realistischen Kompositionen
das ideale Moment siegreich durchbricht. Nicht mehr die belanglose Statisten¬
figur, das Modell spielt auf seiner Bühne, sondern es handelt sich hier um
wahre Gestalten, um innerlich erlebte, wenn man will „erdichtete" dramatische
Personen und um das Drama menschlicher Charaktere selber. Vielleicht ist das
ein Wiederaufnehmen von Problemen Feuerbachs und Hans von Marsch.
Und nun in der Form ein heftiges Ringen um die Verschmelzung zweier fast
unvereinbarer Welten: der großen Barockbewegung von Rubens und Rembrandts
mystisches Licht und Kolorit! Erschwert diese Häufung von Hindernissen schon
außerordentlich das Werk, so kommt als Seltsamstes, erschütternd und das
Verständnis des Künstlers aufs äußerste erschwerend, hinzu, daß diese Absichten
mit der Form der zerlegten und trüb gemachten Farbe und des unscharfen


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[0568] Die deutsche Malerei der Gegenwart Fritz von Abbe ist der Bedeutendere von ihnen, nicht nur um seiner religiösen Themen willen: diese gehören zwar untrennbar zu seiner ganzen Natur, die sich inbrünstig mystisch auszudrücken strebt, aber sie könnten fast aus dem Bilde dieses feinen Künstlers verschwinden, ohne es sonderlich zu verändern. Abtes Bedeutung liegt ähnlich wie bei dem Berliner Meister selbst in der Treue und Energie, mit der er das Prinzip der Luftmalerei abgewandelt hat. Das protestantisch-religiöse Gefühl seiner Christusbilder deckt sich bisweilen in den besten mit dem Hymnus, den seine Farbe auf das Licht singt; aber es scheidet sich öfter von seiner realistischen Ausdrucksweise, und niemals erreicht er, auch in seinen profanen Gemälden, die entschiedenere, weil kühlere Wahrheit Liebermanns. Leopold Graf Kalckreuth beschränkt sich freilich darauf, das Sichtbare der Dinge zu malen, und wo er gute Stunden hat, kann er hinreißend liebenswürdig sein: so in seinen frühen kühltonig-grauen Bildnissen, in seinen späten Heideland¬ schaften. Aber er ist seines Talentes nicht recht sicher und vergreift sich mitunter in wesentlichen Dingen; so fehlt seiner künstlerischen Persönlichkeit zwar das Einseitige, aber mit dem individuellen Stil auch die Entschiedenheit. Der Nachwuchs des entschiedenen Impressionismus in Süddeutschland ist nicht groß; er beschränkt sich fast auf die Sonnen- und Wassermaler Groeber und Landenberger. Man kann überhaupt die Bemerkung machen, daß den alten Führern des Impressionismus kein gleichwertiger Nachwuchs mit selbständigem Rückgrat zur Seite steht. Denn die begabtesten unter den Jüngeren wollen überhaupt nichts mehr von dieser Kunstform wissen, oder sie stehen, wie Beckmann, in entschiedener Opposition zu den impressionistischen Führern. Max Beckmann zeigt, gerade weil er unter den jüngeren Deutschen wohl dies stärkste Kunstwollen besitzt, und weil er bei den Mitteln des Impressionismus stehen bleiben will, den beginnenden Zerfall des Auflösungsprinzips. Über Corinths und Liebermanns Figurenkompositionen drängt er ungestüm hinaus. Er ersetzt wieder das Zufallsmäßige und Unorganische der naturalistischen Komposition durch geschlossenen Elemente; wenigstens scheint seine Entwicklung auf die größere Bestimmtheit der Figur hinzuarbeiten. Das Bemerkenswerteste aber ist, daß bei seinen religiösen wie mythologischen oder realistischen Kompositionen das ideale Moment siegreich durchbricht. Nicht mehr die belanglose Statisten¬ figur, das Modell spielt auf seiner Bühne, sondern es handelt sich hier um wahre Gestalten, um innerlich erlebte, wenn man will „erdichtete" dramatische Personen und um das Drama menschlicher Charaktere selber. Vielleicht ist das ein Wiederaufnehmen von Problemen Feuerbachs und Hans von Marsch. Und nun in der Form ein heftiges Ringen um die Verschmelzung zweier fast unvereinbarer Welten: der großen Barockbewegung von Rubens und Rembrandts mystisches Licht und Kolorit! Erschwert diese Häufung von Hindernissen schon außerordentlich das Werk, so kommt als Seltsamstes, erschütternd und das Verständnis des Künstlers aufs äußerste erschwerend, hinzu, daß diese Absichten mit der Form der zerlegten und trüb gemachten Farbe und des unscharfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/568>, abgerufen am 04.01.2025.