Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Die deutsche Malerei der Gegenwart Aber seine oft kühnen, stets selbständigen Absichten förderten selten die Qualität Bei Corinth wiederum überwiegt die Note einer spezifischen Ölmalerei Als Schüler der Bewegung kann man Talente von der zurückhaltender Die deutsche Malerei der Gegenwart Aber seine oft kühnen, stets selbständigen Absichten förderten selten die Qualität Bei Corinth wiederum überwiegt die Note einer spezifischen Ölmalerei Als Schüler der Bewegung kann man Talente von der zurückhaltender <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320984"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Malerei der Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_2523" prev="#ID_2522"> Aber seine oft kühnen, stets selbständigen Absichten förderten selten die Qualität<lb/> seiner Malerei; während Liebermann nichts als gute Bilder malte, gibt es<lb/> kaum ein einwandfreies, bis ins Letzte einheitliches Gemälde von Slevogt.<lb/> Der Grund dazu scheint vor allem in der geringen Sorgfalt oder in der<lb/> mangelnden Begabung für das Räumliche zu liegen. Farbig und dramatisch<lb/> sind seine Bilder reizvoll; und das skizzenhaft Geniale seiner Natur offenbart<lb/> sich am schönsten in Lithographien und Illustrationen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2524"> Bei Corinth wiederum überwiegt die Note einer spezifischen Ölmalerei<lb/> Geist und Temperament. Das Sonderbare ist, daß sich der Maler des fetten<lb/> Fleisches unausgesetzt zu religiösen und mythologischen Stoffen hingezogen fühlt.<lb/> Die Verbindung solcher dick auftragenden Fleischliebhaberei mit tragischen Stoffen<lb/> ist selten erquicklich; an Stelle der asketischen Dürftigkeit Liebermanns erleben<lb/> wir hier das Schauspiel einer Brutalisierung des Geistes durch das Fleisch.<lb/> Da aber nun einmal der Gehalt, wenn er in ein Malwerk gelegt wird, auch<lb/> nicht willkürlich ausgeschaltet werden kann, so ist es schon erlaubt zu gestehen,<lb/> daß die gute Malerei Corinths nur in seinen Studien und unhistorischen Bildern<lb/> zu genießen ist, und auch da nur in Auswahl — immer aber mit Respekt vor<lb/> seinem großen Talente und dessen Urwüchsigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2525"> Als Schüler der Bewegung kann man Talente von der zurückhaltender<lb/> Art etwa Kardorffs zählen. Sie hätten ohne Liebermann und Corinth wohl<lb/> nicht ihren Weg so unbedenklich gefunden. Aber sie gaben der impressionistischen<lb/> Bewegung Fülle und Gewicht. Denn es sind eine Anzahl nicht unbedeutender<lb/> Talente, die in diesem Sinne zur Gefolgschaft Liebermanns gehören. In Berlin<lb/> selbst vor allem Leo von König, dessen geschlossene, auf farbige und innerlich<lb/> geistvolle Lösungen ausgehende Komposition allen anderen überlegen ist und ihn<lb/> in eine Reihe mit Beckmann bringt. Theo von Brockhusen schwankt bereits<lb/> zwischen den Einflüssen Liebermanns, van Goghs und Röslers; vielleicht leitet<lb/> ihn seine Begabung zu eigener Form. Philipp Franck ist bereits so etwas wie<lb/> Liebermannscher Epigone, während Ulrich Hübners Fluß- und Schiffbilder eine<lb/> stärkere Eigenbeobachtung verraten. Ohne starken französischen Zusatz (Renoir<lb/> und Carriöre) ist wieder Dora Hitz nicht zu denken. Otto H. Engel gehört mit<lb/> Dettmann und Bischoff-Culm zu einer kleinen Gruppe. In dieser äußert sich<lb/> der Impressionismus aber bereits in einer akademischen Manier, nicht viel anders,<lb/> aber weniger sinnenfreudig als bei Putz und Eichler. Eine sympathischere<lb/> und strengere Kolonie hat der Impressionismus am Rhein: in Frankfurt der<lb/> Landschafter I. Nußbaum, in Düsseldorf-Köln die Gründer des „Sonderbundes"<lb/> Clarenbach und Westendorp — Deusser, einer der temperamentvollsten und glück¬<lb/> lichsten Schüler Liebermanns, hat sich freilich zu den Expressionisten bekehrt.<lb/> In Dresden ist Gotthard Kuehl zu den Führern des Impressionismus zu rechnen,<lb/> wenn auch seine Blütezeit schon vorüber zu sein scheint; und in Süddeutschland<lb/> sind es zwei der bekanntesten deutschen Künstler, die ein persönliches Element<lb/> in das allgemeine Niveau bringen: Kalckreuth und Abbe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0567]
Die deutsche Malerei der Gegenwart
Aber seine oft kühnen, stets selbständigen Absichten förderten selten die Qualität
seiner Malerei; während Liebermann nichts als gute Bilder malte, gibt es
kaum ein einwandfreies, bis ins Letzte einheitliches Gemälde von Slevogt.
Der Grund dazu scheint vor allem in der geringen Sorgfalt oder in der
mangelnden Begabung für das Räumliche zu liegen. Farbig und dramatisch
sind seine Bilder reizvoll; und das skizzenhaft Geniale seiner Natur offenbart
sich am schönsten in Lithographien und Illustrationen.
Bei Corinth wiederum überwiegt die Note einer spezifischen Ölmalerei
Geist und Temperament. Das Sonderbare ist, daß sich der Maler des fetten
Fleisches unausgesetzt zu religiösen und mythologischen Stoffen hingezogen fühlt.
Die Verbindung solcher dick auftragenden Fleischliebhaberei mit tragischen Stoffen
ist selten erquicklich; an Stelle der asketischen Dürftigkeit Liebermanns erleben
wir hier das Schauspiel einer Brutalisierung des Geistes durch das Fleisch.
Da aber nun einmal der Gehalt, wenn er in ein Malwerk gelegt wird, auch
nicht willkürlich ausgeschaltet werden kann, so ist es schon erlaubt zu gestehen,
daß die gute Malerei Corinths nur in seinen Studien und unhistorischen Bildern
zu genießen ist, und auch da nur in Auswahl — immer aber mit Respekt vor
seinem großen Talente und dessen Urwüchsigkeit.
Als Schüler der Bewegung kann man Talente von der zurückhaltender
Art etwa Kardorffs zählen. Sie hätten ohne Liebermann und Corinth wohl
nicht ihren Weg so unbedenklich gefunden. Aber sie gaben der impressionistischen
Bewegung Fülle und Gewicht. Denn es sind eine Anzahl nicht unbedeutender
Talente, die in diesem Sinne zur Gefolgschaft Liebermanns gehören. In Berlin
selbst vor allem Leo von König, dessen geschlossene, auf farbige und innerlich
geistvolle Lösungen ausgehende Komposition allen anderen überlegen ist und ihn
in eine Reihe mit Beckmann bringt. Theo von Brockhusen schwankt bereits
zwischen den Einflüssen Liebermanns, van Goghs und Röslers; vielleicht leitet
ihn seine Begabung zu eigener Form. Philipp Franck ist bereits so etwas wie
Liebermannscher Epigone, während Ulrich Hübners Fluß- und Schiffbilder eine
stärkere Eigenbeobachtung verraten. Ohne starken französischen Zusatz (Renoir
und Carriöre) ist wieder Dora Hitz nicht zu denken. Otto H. Engel gehört mit
Dettmann und Bischoff-Culm zu einer kleinen Gruppe. In dieser äußert sich
der Impressionismus aber bereits in einer akademischen Manier, nicht viel anders,
aber weniger sinnenfreudig als bei Putz und Eichler. Eine sympathischere
und strengere Kolonie hat der Impressionismus am Rhein: in Frankfurt der
Landschafter I. Nußbaum, in Düsseldorf-Köln die Gründer des „Sonderbundes"
Clarenbach und Westendorp — Deusser, einer der temperamentvollsten und glück¬
lichsten Schüler Liebermanns, hat sich freilich zu den Expressionisten bekehrt.
In Dresden ist Gotthard Kuehl zu den Führern des Impressionismus zu rechnen,
wenn auch seine Blütezeit schon vorüber zu sein scheint; und in Süddeutschland
sind es zwei der bekanntesten deutschen Künstler, die ein persönliches Element
in das allgemeine Niveau bringen: Kalckreuth und Abbe.
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