Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Weg zur Eroberung der Gstmark

Verwaltung, die den Ehrgeiz besitzt, Staatskunst zu treiben und nicht bloß die
Maschine der Bureaukratie in Ordnung zu halten, kann die Initiative besitzen,
solche Bewegung zu entdecken, sie zu verwerten, aber sie vermag einer solchen
Bewegung nicht zu entraten. "Es ist der Geist, der sich den Körper baut."

Der freikonservative Abg. Freiherr v. Zedlitz hat einmal von dem "ungeheuren
Bildungshunger der jungen Arbeiter" gesprochen. Nicht nur der Bildungshunger
verlangt nach Nahrung, sondern überhaupt alle jene Instinkte, aus deren Be°
tätigung das hervorgeht, was allein den Reichtum eines Volkes bildet: gesunde,
fröhliche und wehrhafte Menschen.

Hierin liegt für eine wirkliche Staatskunst ein Weg und ein Ziel: Es gälte,
die immer mehr in die Städte drängenden Massen und die in Städten selbst
nach Boden und Luft hungernden Massen abzuziehen und alle ihre Triebkräfte
darauf zu richten, daß sie auf den weiten Flächen der Ostmark diesen Hunger
nach einem eigenen Heim, nach sozialer Selbständigkeit befriedigen können. Man
macht den in den Großstädten und Industriebezirken zusammengepferchten Massen
oft mit so viel Selbstgefälligkeit den Vorwurf, sie besäßen kein Heimgefühl.
Wie ungerecht sind solche Vorwürfe. Man sehe sich nur einmal die Lauben¬
kolonien bei Berlin an, die jetzt auch bei anderen Städten entstehen, man beobachte,
wie sich die Instinkte der Massen regen, um Feldwirtschaft und Viehzucht im
Kleinen zu treiben. Sogar eine rührig beschickte Ausstellung haben die Lauben¬
kolonisten im vorigen Jahre veranstaltet.

Unsere Verwaltungsbehörden haben nur sehr schwach entwickelte innere
Wahrnehmungsorgane dafür, wie es im "Volke" aussieht. Man behandelt die
Massen bestenfalls als unmündige Kinder, denen man jeden Schritt vorschreiben
und beim Gehen noch ein Bein vor das andere setzen muß. Man neigt
dann auch bald dazu, diese Unmündigen sogar als Bösewichte anzusehen, und
gibt sich gern das Recht, sie als böswillige Verderbte zu behandeln, zu "bestrafen".
Und doch stecken oft in den Heißspornen die besten Kulturelemente, und in ihrer
Sehnsucht nach bürgerlich-friedfertigen Leben begehen sie den allerdings sehr
menschlichen Fehler, ihre sozialen Antipoden mehr verantwortlich für die allgemeine
Misere zu machen, als sie es im letzten Grunde genommen sind.

Einst zogen die Hohenzollern intelligente und charaktervolle, um ihres Glaubens
willen vertriebene Waldenser. Hugenotten, Salzburger in das durch Kriege verwüstete
Deutschland.

Wie einflußreich diese Zuwanderungen rein quantitativ waren, zeigt der
Umstand, daß unter dem Großen Kurfürsten eine Zeitlang jeder dritte Ein¬
wohner Berlins ein retuM war. Qualitativ läßt sich dieser Einfluß in keine
Formel bringen. Aber es steht fest, daß die drei Fürsten, die die Geschichte
als die Schöpfer Preußens legitimiert hat, auf die um ihres Glaubens willen
vertriebenen Flüchtlinge einen sehr großen Wert gelegt haben.

Die inneren Konflikte und Spannungen der Völker haben sich seitdem
verschoben. Es sind heute die Gegensätze zwischen Kapitalismus und Wertung


Der Weg zur Eroberung der Gstmark

Verwaltung, die den Ehrgeiz besitzt, Staatskunst zu treiben und nicht bloß die
Maschine der Bureaukratie in Ordnung zu halten, kann die Initiative besitzen,
solche Bewegung zu entdecken, sie zu verwerten, aber sie vermag einer solchen
Bewegung nicht zu entraten. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut."

Der freikonservative Abg. Freiherr v. Zedlitz hat einmal von dem „ungeheuren
Bildungshunger der jungen Arbeiter" gesprochen. Nicht nur der Bildungshunger
verlangt nach Nahrung, sondern überhaupt alle jene Instinkte, aus deren Be°
tätigung das hervorgeht, was allein den Reichtum eines Volkes bildet: gesunde,
fröhliche und wehrhafte Menschen.

Hierin liegt für eine wirkliche Staatskunst ein Weg und ein Ziel: Es gälte,
die immer mehr in die Städte drängenden Massen und die in Städten selbst
nach Boden und Luft hungernden Massen abzuziehen und alle ihre Triebkräfte
darauf zu richten, daß sie auf den weiten Flächen der Ostmark diesen Hunger
nach einem eigenen Heim, nach sozialer Selbständigkeit befriedigen können. Man
macht den in den Großstädten und Industriebezirken zusammengepferchten Massen
oft mit so viel Selbstgefälligkeit den Vorwurf, sie besäßen kein Heimgefühl.
Wie ungerecht sind solche Vorwürfe. Man sehe sich nur einmal die Lauben¬
kolonien bei Berlin an, die jetzt auch bei anderen Städten entstehen, man beobachte,
wie sich die Instinkte der Massen regen, um Feldwirtschaft und Viehzucht im
Kleinen zu treiben. Sogar eine rührig beschickte Ausstellung haben die Lauben¬
kolonisten im vorigen Jahre veranstaltet.

Unsere Verwaltungsbehörden haben nur sehr schwach entwickelte innere
Wahrnehmungsorgane dafür, wie es im „Volke" aussieht. Man behandelt die
Massen bestenfalls als unmündige Kinder, denen man jeden Schritt vorschreiben
und beim Gehen noch ein Bein vor das andere setzen muß. Man neigt
dann auch bald dazu, diese Unmündigen sogar als Bösewichte anzusehen, und
gibt sich gern das Recht, sie als böswillige Verderbte zu behandeln, zu „bestrafen".
Und doch stecken oft in den Heißspornen die besten Kulturelemente, und in ihrer
Sehnsucht nach bürgerlich-friedfertigen Leben begehen sie den allerdings sehr
menschlichen Fehler, ihre sozialen Antipoden mehr verantwortlich für die allgemeine
Misere zu machen, als sie es im letzten Grunde genommen sind.

Einst zogen die Hohenzollern intelligente und charaktervolle, um ihres Glaubens
willen vertriebene Waldenser. Hugenotten, Salzburger in das durch Kriege verwüstete
Deutschland.

Wie einflußreich diese Zuwanderungen rein quantitativ waren, zeigt der
Umstand, daß unter dem Großen Kurfürsten eine Zeitlang jeder dritte Ein¬
wohner Berlins ein retuM war. Qualitativ läßt sich dieser Einfluß in keine
Formel bringen. Aber es steht fest, daß die drei Fürsten, die die Geschichte
als die Schöpfer Preußens legitimiert hat, auf die um ihres Glaubens willen
vertriebenen Flüchtlinge einen sehr großen Wert gelegt haben.

Die inneren Konflikte und Spannungen der Völker haben sich seitdem
verschoben. Es sind heute die Gegensätze zwischen Kapitalismus und Wertung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0560" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320977"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Weg zur Eroberung der Gstmark</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2493" prev="#ID_2492"> Verwaltung, die den Ehrgeiz besitzt, Staatskunst zu treiben und nicht bloß die<lb/>
Maschine der Bureaukratie in Ordnung zu halten, kann die Initiative besitzen,<lb/>
solche Bewegung zu entdecken, sie zu verwerten, aber sie vermag einer solchen<lb/>
Bewegung nicht zu entraten.  &#x201E;Es ist der Geist, der sich den Körper baut."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2494"> Der freikonservative Abg. Freiherr v. Zedlitz hat einmal von dem &#x201E;ungeheuren<lb/>
Bildungshunger der jungen Arbeiter" gesprochen. Nicht nur der Bildungshunger<lb/>
verlangt nach Nahrung, sondern überhaupt alle jene Instinkte, aus deren Be°<lb/>
tätigung das hervorgeht, was allein den Reichtum eines Volkes bildet: gesunde,<lb/>
fröhliche und wehrhafte Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2495"> Hierin liegt für eine wirkliche Staatskunst ein Weg und ein Ziel: Es gälte,<lb/>
die immer mehr in die Städte drängenden Massen und die in Städten selbst<lb/>
nach Boden und Luft hungernden Massen abzuziehen und alle ihre Triebkräfte<lb/>
darauf zu richten, daß sie auf den weiten Flächen der Ostmark diesen Hunger<lb/>
nach einem eigenen Heim, nach sozialer Selbständigkeit befriedigen können. Man<lb/>
macht den in den Großstädten und Industriebezirken zusammengepferchten Massen<lb/>
oft mit so viel Selbstgefälligkeit den Vorwurf, sie besäßen kein Heimgefühl.<lb/>
Wie ungerecht sind solche Vorwürfe. Man sehe sich nur einmal die Lauben¬<lb/>
kolonien bei Berlin an, die jetzt auch bei anderen Städten entstehen, man beobachte,<lb/>
wie sich die Instinkte der Massen regen, um Feldwirtschaft und Viehzucht im<lb/>
Kleinen zu treiben. Sogar eine rührig beschickte Ausstellung haben die Lauben¬<lb/>
kolonisten im vorigen Jahre veranstaltet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2496"> Unsere Verwaltungsbehörden haben nur sehr schwach entwickelte innere<lb/>
Wahrnehmungsorgane dafür, wie es im &#x201E;Volke" aussieht. Man behandelt die<lb/>
Massen bestenfalls als unmündige Kinder, denen man jeden Schritt vorschreiben<lb/>
und beim Gehen noch ein Bein vor das andere setzen muß. Man neigt<lb/>
dann auch bald dazu, diese Unmündigen sogar als Bösewichte anzusehen, und<lb/>
gibt sich gern das Recht, sie als böswillige Verderbte zu behandeln, zu &#x201E;bestrafen".<lb/>
Und doch stecken oft in den Heißspornen die besten Kulturelemente, und in ihrer<lb/>
Sehnsucht nach bürgerlich-friedfertigen Leben begehen sie den allerdings sehr<lb/>
menschlichen Fehler, ihre sozialen Antipoden mehr verantwortlich für die allgemeine<lb/>
Misere zu machen, als sie es im letzten Grunde genommen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2497"> Einst zogen die Hohenzollern intelligente und charaktervolle, um ihres Glaubens<lb/>
willen vertriebene Waldenser. Hugenotten, Salzburger in das durch Kriege verwüstete<lb/>
Deutschland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2498"> Wie einflußreich diese Zuwanderungen rein quantitativ waren, zeigt der<lb/>
Umstand, daß unter dem Großen Kurfürsten eine Zeitlang jeder dritte Ein¬<lb/>
wohner Berlins ein retuM war. Qualitativ läßt sich dieser Einfluß in keine<lb/>
Formel bringen. Aber es steht fest, daß die drei Fürsten, die die Geschichte<lb/>
als die Schöpfer Preußens legitimiert hat, auf die um ihres Glaubens willen<lb/>
vertriebenen Flüchtlinge einen sehr großen Wert gelegt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2499" next="#ID_2500"> Die inneren Konflikte und Spannungen der Völker haben sich seitdem<lb/>
verschoben.  Es sind heute die Gegensätze zwischen Kapitalismus und Wertung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0560] Der Weg zur Eroberung der Gstmark Verwaltung, die den Ehrgeiz besitzt, Staatskunst zu treiben und nicht bloß die Maschine der Bureaukratie in Ordnung zu halten, kann die Initiative besitzen, solche Bewegung zu entdecken, sie zu verwerten, aber sie vermag einer solchen Bewegung nicht zu entraten. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut." Der freikonservative Abg. Freiherr v. Zedlitz hat einmal von dem „ungeheuren Bildungshunger der jungen Arbeiter" gesprochen. Nicht nur der Bildungshunger verlangt nach Nahrung, sondern überhaupt alle jene Instinkte, aus deren Be° tätigung das hervorgeht, was allein den Reichtum eines Volkes bildet: gesunde, fröhliche und wehrhafte Menschen. Hierin liegt für eine wirkliche Staatskunst ein Weg und ein Ziel: Es gälte, die immer mehr in die Städte drängenden Massen und die in Städten selbst nach Boden und Luft hungernden Massen abzuziehen und alle ihre Triebkräfte darauf zu richten, daß sie auf den weiten Flächen der Ostmark diesen Hunger nach einem eigenen Heim, nach sozialer Selbständigkeit befriedigen können. Man macht den in den Großstädten und Industriebezirken zusammengepferchten Massen oft mit so viel Selbstgefälligkeit den Vorwurf, sie besäßen kein Heimgefühl. Wie ungerecht sind solche Vorwürfe. Man sehe sich nur einmal die Lauben¬ kolonien bei Berlin an, die jetzt auch bei anderen Städten entstehen, man beobachte, wie sich die Instinkte der Massen regen, um Feldwirtschaft und Viehzucht im Kleinen zu treiben. Sogar eine rührig beschickte Ausstellung haben die Lauben¬ kolonisten im vorigen Jahre veranstaltet. Unsere Verwaltungsbehörden haben nur sehr schwach entwickelte innere Wahrnehmungsorgane dafür, wie es im „Volke" aussieht. Man behandelt die Massen bestenfalls als unmündige Kinder, denen man jeden Schritt vorschreiben und beim Gehen noch ein Bein vor das andere setzen muß. Man neigt dann auch bald dazu, diese Unmündigen sogar als Bösewichte anzusehen, und gibt sich gern das Recht, sie als böswillige Verderbte zu behandeln, zu „bestrafen". Und doch stecken oft in den Heißspornen die besten Kulturelemente, und in ihrer Sehnsucht nach bürgerlich-friedfertigen Leben begehen sie den allerdings sehr menschlichen Fehler, ihre sozialen Antipoden mehr verantwortlich für die allgemeine Misere zu machen, als sie es im letzten Grunde genommen sind. Einst zogen die Hohenzollern intelligente und charaktervolle, um ihres Glaubens willen vertriebene Waldenser. Hugenotten, Salzburger in das durch Kriege verwüstete Deutschland. Wie einflußreich diese Zuwanderungen rein quantitativ waren, zeigt der Umstand, daß unter dem Großen Kurfürsten eine Zeitlang jeder dritte Ein¬ wohner Berlins ein retuM war. Qualitativ läßt sich dieser Einfluß in keine Formel bringen. Aber es steht fest, daß die drei Fürsten, die die Geschichte als die Schöpfer Preußens legitimiert hat, auf die um ihres Glaubens willen vertriebenen Flüchtlinge einen sehr großen Wert gelegt haben. Die inneren Konflikte und Spannungen der Völker haben sich seitdem verschoben. Es sind heute die Gegensätze zwischen Kapitalismus und Wertung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/560
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/560>, abgerufen am 20.10.2024.