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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Weg zur Eroberung der Gstmark

der Arbeitskraft, zwischen Industrie und Landwirtschaft mit all ihren Begleit¬
erscheinungen, die zu scheinbar unlösbaren Konflikten führen. Es gab früher
scheinbar auch keinen Ausweg zwischen dem Verlangen nach Gewissens- und
Bekenntnisfreiheit und der inneren Forderung einer scharf umgrenzten religiösen
Weltanschauung. So ist auch heute die soziale Frage die moderne Sphinx, die
den verschlingen wird, der ihr Rätsel nicht löst. Die Lösung des orthodoxen
Marxismus: der Kommunismus, muß notwendig dahin führen, wohin die
Lösung früherer Glaubenskämpfe, die Inquisition, die Völker führte, nämlich in
die Barbarei und zuletzt in den Tod der Kultur.

Dies alles kann nur gestreift werden, um zuletzt zu der Feststellung zu
kommen, daß alle Einrichtungen sich auf Willensmächte lebendiger Menschen
zurückführen und auch von solchen ausgehen müssen. Wir haben heute keine
Salzburger und Hugenotten anzusetzen, um die Menschenkräfte deutscher Land¬
schaften aufzufrischen, wir brauchen es auch gar nicht, da heute das Problem
nicht das ist: woher nehmen wir Menschenkräfte, sondern: wie verteilen
wir den Überschuß der Städte und Jndustriegegenden, die diese an
Menschenkräften bergen?

Es handelt sich um eine Niesen aufgäbe: dem Industriearbeiter wieder ein
eigen Heim zu geben, die Großstädte aus Steinwüsten in Gartenstädte, ja in
Gartenprovinzen zu verwandeln, trotzdem aber alle die Vorteile beizubehalten,
die die moderne Entwicklung gezeitigt hat. Das sind Ziele, die von Millionen
heute mit der Sehnsucht vorgestellt werden, die früher sich in religiösen Be¬
wegungen kundtat. Hier sind Kräfte aufgespeichert, die je nach der Richtung,
die sie nehmen werden, revolutionäre Katastrophen oder Phasen neuer sozialer
Kultur verursachen müssen.

Die Ostmark ist der Boden, wo die Probe aufs Exempel gemacht
werden kann. Hier sind die weiten Flächen, wo Hunderttausende aus den
Städten und volkreichen Jndustriegegenden das finden können, was ihr Herz
begehrt. Es würde damit ein großer Teil der Unzufriedenheit behoben werden, die
nicht aus der materiellen Lage der Volksmassen allein bedingt wird, sondern
den: Gefühl der Heimatlosigkeit, dein Gefühl ein "Proletarier" zu sein, entspringt.
Erfahrungen, die mit den Ansiedlern in dieser Richtung gemacht wurden, sprechen
für diese Behauptung.

Würde man derartig eine gewaltig elementare Kraft, wie sie gerade in
den "unruhigsten Elementen" am intensivsten aufgespeichert ist, gewissermaßen
auffangen und verwenden, um menschenreiche deutsche Kolonien in den Ostmarken
zu schaffen, viel volksreichere als das bisher möglich war, so würde man den
homogenen Charakter des Polentums schon bedeutend vermindern. Hat man so
den guten Willen sich zu verständigen und geht man davon aus, daß durch
soziale Organisationen der Satz aufgehoben wird, der Vorteil des einen bedinge
notwendig den Nachteil des andern, da ja vielmehr der Vorteil des einen durch
den Vorteil des andern am besten gewährleistet ist, so wird man auch die


Der Weg zur Eroberung der Gstmark

der Arbeitskraft, zwischen Industrie und Landwirtschaft mit all ihren Begleit¬
erscheinungen, die zu scheinbar unlösbaren Konflikten führen. Es gab früher
scheinbar auch keinen Ausweg zwischen dem Verlangen nach Gewissens- und
Bekenntnisfreiheit und der inneren Forderung einer scharf umgrenzten religiösen
Weltanschauung. So ist auch heute die soziale Frage die moderne Sphinx, die
den verschlingen wird, der ihr Rätsel nicht löst. Die Lösung des orthodoxen
Marxismus: der Kommunismus, muß notwendig dahin führen, wohin die
Lösung früherer Glaubenskämpfe, die Inquisition, die Völker führte, nämlich in
die Barbarei und zuletzt in den Tod der Kultur.

Dies alles kann nur gestreift werden, um zuletzt zu der Feststellung zu
kommen, daß alle Einrichtungen sich auf Willensmächte lebendiger Menschen
zurückführen und auch von solchen ausgehen müssen. Wir haben heute keine
Salzburger und Hugenotten anzusetzen, um die Menschenkräfte deutscher Land¬
schaften aufzufrischen, wir brauchen es auch gar nicht, da heute das Problem
nicht das ist: woher nehmen wir Menschenkräfte, sondern: wie verteilen
wir den Überschuß der Städte und Jndustriegegenden, die diese an
Menschenkräften bergen?

Es handelt sich um eine Niesen aufgäbe: dem Industriearbeiter wieder ein
eigen Heim zu geben, die Großstädte aus Steinwüsten in Gartenstädte, ja in
Gartenprovinzen zu verwandeln, trotzdem aber alle die Vorteile beizubehalten,
die die moderne Entwicklung gezeitigt hat. Das sind Ziele, die von Millionen
heute mit der Sehnsucht vorgestellt werden, die früher sich in religiösen Be¬
wegungen kundtat. Hier sind Kräfte aufgespeichert, die je nach der Richtung,
die sie nehmen werden, revolutionäre Katastrophen oder Phasen neuer sozialer
Kultur verursachen müssen.

Die Ostmark ist der Boden, wo die Probe aufs Exempel gemacht
werden kann. Hier sind die weiten Flächen, wo Hunderttausende aus den
Städten und volkreichen Jndustriegegenden das finden können, was ihr Herz
begehrt. Es würde damit ein großer Teil der Unzufriedenheit behoben werden, die
nicht aus der materiellen Lage der Volksmassen allein bedingt wird, sondern
den: Gefühl der Heimatlosigkeit, dein Gefühl ein „Proletarier" zu sein, entspringt.
Erfahrungen, die mit den Ansiedlern in dieser Richtung gemacht wurden, sprechen
für diese Behauptung.

Würde man derartig eine gewaltig elementare Kraft, wie sie gerade in
den „unruhigsten Elementen" am intensivsten aufgespeichert ist, gewissermaßen
auffangen und verwenden, um menschenreiche deutsche Kolonien in den Ostmarken
zu schaffen, viel volksreichere als das bisher möglich war, so würde man den
homogenen Charakter des Polentums schon bedeutend vermindern. Hat man so
den guten Willen sich zu verständigen und geht man davon aus, daß durch
soziale Organisationen der Satz aufgehoben wird, der Vorteil des einen bedinge
notwendig den Nachteil des andern, da ja vielmehr der Vorteil des einen durch
den Vorteil des andern am besten gewährleistet ist, so wird man auch die


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[0561] Der Weg zur Eroberung der Gstmark der Arbeitskraft, zwischen Industrie und Landwirtschaft mit all ihren Begleit¬ erscheinungen, die zu scheinbar unlösbaren Konflikten führen. Es gab früher scheinbar auch keinen Ausweg zwischen dem Verlangen nach Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und der inneren Forderung einer scharf umgrenzten religiösen Weltanschauung. So ist auch heute die soziale Frage die moderne Sphinx, die den verschlingen wird, der ihr Rätsel nicht löst. Die Lösung des orthodoxen Marxismus: der Kommunismus, muß notwendig dahin führen, wohin die Lösung früherer Glaubenskämpfe, die Inquisition, die Völker führte, nämlich in die Barbarei und zuletzt in den Tod der Kultur. Dies alles kann nur gestreift werden, um zuletzt zu der Feststellung zu kommen, daß alle Einrichtungen sich auf Willensmächte lebendiger Menschen zurückführen und auch von solchen ausgehen müssen. Wir haben heute keine Salzburger und Hugenotten anzusetzen, um die Menschenkräfte deutscher Land¬ schaften aufzufrischen, wir brauchen es auch gar nicht, da heute das Problem nicht das ist: woher nehmen wir Menschenkräfte, sondern: wie verteilen wir den Überschuß der Städte und Jndustriegegenden, die diese an Menschenkräften bergen? Es handelt sich um eine Niesen aufgäbe: dem Industriearbeiter wieder ein eigen Heim zu geben, die Großstädte aus Steinwüsten in Gartenstädte, ja in Gartenprovinzen zu verwandeln, trotzdem aber alle die Vorteile beizubehalten, die die moderne Entwicklung gezeitigt hat. Das sind Ziele, die von Millionen heute mit der Sehnsucht vorgestellt werden, die früher sich in religiösen Be¬ wegungen kundtat. Hier sind Kräfte aufgespeichert, die je nach der Richtung, die sie nehmen werden, revolutionäre Katastrophen oder Phasen neuer sozialer Kultur verursachen müssen. Die Ostmark ist der Boden, wo die Probe aufs Exempel gemacht werden kann. Hier sind die weiten Flächen, wo Hunderttausende aus den Städten und volkreichen Jndustriegegenden das finden können, was ihr Herz begehrt. Es würde damit ein großer Teil der Unzufriedenheit behoben werden, die nicht aus der materiellen Lage der Volksmassen allein bedingt wird, sondern den: Gefühl der Heimatlosigkeit, dein Gefühl ein „Proletarier" zu sein, entspringt. Erfahrungen, die mit den Ansiedlern in dieser Richtung gemacht wurden, sprechen für diese Behauptung. Würde man derartig eine gewaltig elementare Kraft, wie sie gerade in den „unruhigsten Elementen" am intensivsten aufgespeichert ist, gewissermaßen auffangen und verwenden, um menschenreiche deutsche Kolonien in den Ostmarken zu schaffen, viel volksreichere als das bisher möglich war, so würde man den homogenen Charakter des Polentums schon bedeutend vermindern. Hat man so den guten Willen sich zu verständigen und geht man davon aus, daß durch soziale Organisationen der Satz aufgehoben wird, der Vorteil des einen bedinge notwendig den Nachteil des andern, da ja vielmehr der Vorteil des einen durch den Vorteil des andern am besten gewährleistet ist, so wird man auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/561>, abgerufen am 27.09.2024.