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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Weg zur Eroberung der Dstmark

So vorzüglich die Arbeit der Anstedlungskommission auch sein mag, sie
findet ihre natürlichen Grenzen. Ihre ganze Organisation läßt es im allgemeinen
nicht zu, Ansiedler anzunehmen, die nicht mindestens 2500 Mark Ersparnisse
vorzulegen haben. Es gibt auch Landarbeiterstellen, wo nur 500 Mark An¬
zahlung notwendig sind, aber gerade darüber hinaus versagt das Ansiedlungs-
werk. Zwar ist die Nachfrage nach Ansiedlerstellen weitaus größer als das
mögliche Angebot. Trotzdem ist die Nachfrage aber nicht eine solche, daß sie
mit der elementaren Gewalt einer kleinen Völkerwanderung auf die Ostmark
einstürmt, mit derselben elementaren Gewalt, die umgekehrt eine ausgedehnte
polnische Volksstamminsel mitten im deutschesten Lande, in Westfalen, geschaffen
hat. Im Gegenteil, Fürst Bülow sagte: "Trotz der Tüchtigkeit der Anstedlungs¬
kommission sind weit mehr Grundstücke aus deutschen Händen in die der Polen
übergegangen, als umgekehrt."

Daß aber eine solche deutsch-nationale Bewegung einmal möglich war,
beweist die Geschichte der Rückeroberung des Ostens durch das Deutschtum im
zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Karl Lamprecht hat die germanisierende
Rückeroberung des Ostens, der Wiege des neuen Deutschen Reiches, geschildert.

Diese Rückeroberung ist auf dem halben Wege stecken geblieben. Es gilt,
sie mit modernen Mitteln zu vollenden.




Die bisherige Ansiedlungspolitik hat diese Aufgabe nicht erfüllt. Der
gute Wille der Anstedlungskommission soll nicht in Abrede gestellt werden.
Ich habe selbst beobachtet und darüber berichtet, wie ein Beamter der
Posener Zentrale so ganz und gar nicht "preußisch-bureaukratisch" mit den An-
siedlungsbewerbern verkehrte. Die Grenzen des Ansiedlungswerks liegen in
seinem Grundplan. Man will hauptsächlich deutsche Bauerndörfer schaffen.
Hierzu fehlt es an Areal, um der Gesamtaktion den genügend großen Radius
zu geben. Und selbst wenn die Enteignung angewandt würde, so würde immer
wieder die natürliche Spannung zwischen der kräftigeren polnischen Ansiedlungs-
tätigkeit und der deutschen die Verhältnisse zu Ungunsten der letzteren verstärken.

Jeder Pole ist Soldat seiner Idee. Auch für den wirtschaftlich-nationalen
Kampf gilt Napoleons Wort, daß der moralische Faktor im Kriege dreimal
gewichtiger ist als der materielle. In Nationalitätsfragen wird aber der Stamm,
der an der Krippe der Macht sitzt, im allgemeinen immer lässiger sein, diesen
Platz zu verteidigen, als seine Bedränger, diesen Platz zu erobern. Daher wird
man auch mit einem Appell an das deutsche Gewissen, sich so für das Deutschtum
einzusetzen, wie es das Polentum sür seine Ziele tut, schwerlich mehr erreichen
als bisher.

So muß man versuchen, eine andere mit Leidenschaft von weiten Volks¬
kreisen erfaßte Bewegung auszunutzen. Der Grundsatz muß festgehalten werden,
daß seelische Kräfte nur durch seelische Kräfte bekämpft werden können. Eine


Der Weg zur Eroberung der Dstmark

So vorzüglich die Arbeit der Anstedlungskommission auch sein mag, sie
findet ihre natürlichen Grenzen. Ihre ganze Organisation läßt es im allgemeinen
nicht zu, Ansiedler anzunehmen, die nicht mindestens 2500 Mark Ersparnisse
vorzulegen haben. Es gibt auch Landarbeiterstellen, wo nur 500 Mark An¬
zahlung notwendig sind, aber gerade darüber hinaus versagt das Ansiedlungs-
werk. Zwar ist die Nachfrage nach Ansiedlerstellen weitaus größer als das
mögliche Angebot. Trotzdem ist die Nachfrage aber nicht eine solche, daß sie
mit der elementaren Gewalt einer kleinen Völkerwanderung auf die Ostmark
einstürmt, mit derselben elementaren Gewalt, die umgekehrt eine ausgedehnte
polnische Volksstamminsel mitten im deutschesten Lande, in Westfalen, geschaffen
hat. Im Gegenteil, Fürst Bülow sagte: „Trotz der Tüchtigkeit der Anstedlungs¬
kommission sind weit mehr Grundstücke aus deutschen Händen in die der Polen
übergegangen, als umgekehrt."

Daß aber eine solche deutsch-nationale Bewegung einmal möglich war,
beweist die Geschichte der Rückeroberung des Ostens durch das Deutschtum im
zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Karl Lamprecht hat die germanisierende
Rückeroberung des Ostens, der Wiege des neuen Deutschen Reiches, geschildert.

Diese Rückeroberung ist auf dem halben Wege stecken geblieben. Es gilt,
sie mit modernen Mitteln zu vollenden.




Die bisherige Ansiedlungspolitik hat diese Aufgabe nicht erfüllt. Der
gute Wille der Anstedlungskommission soll nicht in Abrede gestellt werden.
Ich habe selbst beobachtet und darüber berichtet, wie ein Beamter der
Posener Zentrale so ganz und gar nicht „preußisch-bureaukratisch" mit den An-
siedlungsbewerbern verkehrte. Die Grenzen des Ansiedlungswerks liegen in
seinem Grundplan. Man will hauptsächlich deutsche Bauerndörfer schaffen.
Hierzu fehlt es an Areal, um der Gesamtaktion den genügend großen Radius
zu geben. Und selbst wenn die Enteignung angewandt würde, so würde immer
wieder die natürliche Spannung zwischen der kräftigeren polnischen Ansiedlungs-
tätigkeit und der deutschen die Verhältnisse zu Ungunsten der letzteren verstärken.

Jeder Pole ist Soldat seiner Idee. Auch für den wirtschaftlich-nationalen
Kampf gilt Napoleons Wort, daß der moralische Faktor im Kriege dreimal
gewichtiger ist als der materielle. In Nationalitätsfragen wird aber der Stamm,
der an der Krippe der Macht sitzt, im allgemeinen immer lässiger sein, diesen
Platz zu verteidigen, als seine Bedränger, diesen Platz zu erobern. Daher wird
man auch mit einem Appell an das deutsche Gewissen, sich so für das Deutschtum
einzusetzen, wie es das Polentum sür seine Ziele tut, schwerlich mehr erreichen
als bisher.

So muß man versuchen, eine andere mit Leidenschaft von weiten Volks¬
kreisen erfaßte Bewegung auszunutzen. Der Grundsatz muß festgehalten werden,
daß seelische Kräfte nur durch seelische Kräfte bekämpft werden können. Eine


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[0559] Der Weg zur Eroberung der Dstmark So vorzüglich die Arbeit der Anstedlungskommission auch sein mag, sie findet ihre natürlichen Grenzen. Ihre ganze Organisation läßt es im allgemeinen nicht zu, Ansiedler anzunehmen, die nicht mindestens 2500 Mark Ersparnisse vorzulegen haben. Es gibt auch Landarbeiterstellen, wo nur 500 Mark An¬ zahlung notwendig sind, aber gerade darüber hinaus versagt das Ansiedlungs- werk. Zwar ist die Nachfrage nach Ansiedlerstellen weitaus größer als das mögliche Angebot. Trotzdem ist die Nachfrage aber nicht eine solche, daß sie mit der elementaren Gewalt einer kleinen Völkerwanderung auf die Ostmark einstürmt, mit derselben elementaren Gewalt, die umgekehrt eine ausgedehnte polnische Volksstamminsel mitten im deutschesten Lande, in Westfalen, geschaffen hat. Im Gegenteil, Fürst Bülow sagte: „Trotz der Tüchtigkeit der Anstedlungs¬ kommission sind weit mehr Grundstücke aus deutschen Händen in die der Polen übergegangen, als umgekehrt." Daß aber eine solche deutsch-nationale Bewegung einmal möglich war, beweist die Geschichte der Rückeroberung des Ostens durch das Deutschtum im zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Karl Lamprecht hat die germanisierende Rückeroberung des Ostens, der Wiege des neuen Deutschen Reiches, geschildert. Diese Rückeroberung ist auf dem halben Wege stecken geblieben. Es gilt, sie mit modernen Mitteln zu vollenden. Die bisherige Ansiedlungspolitik hat diese Aufgabe nicht erfüllt. Der gute Wille der Anstedlungskommission soll nicht in Abrede gestellt werden. Ich habe selbst beobachtet und darüber berichtet, wie ein Beamter der Posener Zentrale so ganz und gar nicht „preußisch-bureaukratisch" mit den An- siedlungsbewerbern verkehrte. Die Grenzen des Ansiedlungswerks liegen in seinem Grundplan. Man will hauptsächlich deutsche Bauerndörfer schaffen. Hierzu fehlt es an Areal, um der Gesamtaktion den genügend großen Radius zu geben. Und selbst wenn die Enteignung angewandt würde, so würde immer wieder die natürliche Spannung zwischen der kräftigeren polnischen Ansiedlungs- tätigkeit und der deutschen die Verhältnisse zu Ungunsten der letzteren verstärken. Jeder Pole ist Soldat seiner Idee. Auch für den wirtschaftlich-nationalen Kampf gilt Napoleons Wort, daß der moralische Faktor im Kriege dreimal gewichtiger ist als der materielle. In Nationalitätsfragen wird aber der Stamm, der an der Krippe der Macht sitzt, im allgemeinen immer lässiger sein, diesen Platz zu verteidigen, als seine Bedränger, diesen Platz zu erobern. Daher wird man auch mit einem Appell an das deutsche Gewissen, sich so für das Deutschtum einzusetzen, wie es das Polentum sür seine Ziele tut, schwerlich mehr erreichen als bisher. So muß man versuchen, eine andere mit Leidenschaft von weiten Volks¬ kreisen erfaßte Bewegung auszunutzen. Der Grundsatz muß festgehalten werden, daß seelische Kräfte nur durch seelische Kräfte bekämpft werden können. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/559>, abgerufen am 20.10.2024.