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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

Franz läßt den Korb umgestülpt zur Erde fallen.

"Wieviel kommen dann drauf?"

"Vier sin genug! Allons, eil dich e Bißje un hol noch drei. Ich tu den
cuveil Syrene."

"Wart, ich hol dir e Gawwel, Vater!"

"Laß nur, ich nehm die Schipp!"

Er sticht einen Spaten Mist auf und streut ihn in schüttelnder Bewegung
auseinander.

Der Bub geht wieder hinunter in den Hof. Schon auf der Treppe hört
er die ärgerliche Stimme der Mutter, und es legt sich ein Schatten in seine Freude.

Die Mutter schimpft, weil der Vater bei schmutzigem Wetter die Hosen
nicht besser aufkrempelt und sie bis hoch hinauf bespritzt.

"Was liegt dem dran. Ich bin ja gut für sei Dienstmagd. Für was
anners hat der mich ja doch net geHeirat. Widerwärtiger, ekliger Kerl der!"

Ein Zorn springt in das Kind. Sie schimpft den Vater. Mit einem
Male läßt es unbewußt von der für fein Alter erstaunlichen, kühl abwägenden
Beobachtung, die das größere Unrecht auf feiten des Vaters erkennt. Des
Vaters Wohltat liegt noch zu nahe. Sie deckt alles Vergangene zu. Die
Dankbarkeit quillt in Franz. Er wird es dem Vater sagen, was die Mutter
geschimpft hat.

Als er den zweiten Korb mit Mist oben hat, zögert er doch und schweigt.
Auch beim dritten. Denn hat die Mutter nicht auch "Bub" zu ihm gesagt?
Aber sie Hütte es sicher nicht getan, wenn nicht der Vater zuvor "Franz"
gerufen hätte. -

Immer wieder quirlen bei diesen Erwägungen Zweifel in ihm auf. Aber
sie steigen nicht so hoch, um seine Erkenntnis zu klären. Die übervolle Kindes¬
seele muß sich öffnen, muß die Wucht ihrer Gefühle ausströmen, denn diese ist
zu groß, um den Knaben zur Einsicht gelangen zu lassen, daß Schweigen hier
das beste wäre.

Als Franz zum viertenmal hinauf in den Garten kommt und den im
goldenen Licht der scheidenden Sonne still und emsig schaffenden Mann sieht,
für den er eine große Dankbarkeit wegen einer kleinen Wohltat im Herzen hat,
da überwältigt ihn das Gefühl.

"Babba," wendet er sich an den Vater, "die Mutter hat gesagt, du wärst
en eklige, widerwärtige Kerl."

Da sieht er, wie die Wut des Vaters Gesicht verzerrt, und nun erkennt
er zu spät das Verkehrte seines Handelns.

Der zornige Mann stößt den Spaten in den Boden und eilt auf die
Treppe zu. Das Kind ahnt, was das bedeutet, wirft seinen Korb ab und
rennt dem Vater nach. Kurz vor der Treppe holt er ihn ein, springt an seiner
Seite empor und umklammert mit beiden Händen seinen Arm. Die Füße um-


Grenzboten I 1912 V8
Franz Weilers Martyrium

Franz läßt den Korb umgestülpt zur Erde fallen.

„Wieviel kommen dann drauf?"

„Vier sin genug! Allons, eil dich e Bißje un hol noch drei. Ich tu den
cuveil Syrene."

„Wart, ich hol dir e Gawwel, Vater!"

„Laß nur, ich nehm die Schipp!"

Er sticht einen Spaten Mist auf und streut ihn in schüttelnder Bewegung
auseinander.

Der Bub geht wieder hinunter in den Hof. Schon auf der Treppe hört
er die ärgerliche Stimme der Mutter, und es legt sich ein Schatten in seine Freude.

Die Mutter schimpft, weil der Vater bei schmutzigem Wetter die Hosen
nicht besser aufkrempelt und sie bis hoch hinauf bespritzt.

„Was liegt dem dran. Ich bin ja gut für sei Dienstmagd. Für was
anners hat der mich ja doch net geHeirat. Widerwärtiger, ekliger Kerl der!"

Ein Zorn springt in das Kind. Sie schimpft den Vater. Mit einem
Male läßt es unbewußt von der für fein Alter erstaunlichen, kühl abwägenden
Beobachtung, die das größere Unrecht auf feiten des Vaters erkennt. Des
Vaters Wohltat liegt noch zu nahe. Sie deckt alles Vergangene zu. Die
Dankbarkeit quillt in Franz. Er wird es dem Vater sagen, was die Mutter
geschimpft hat.

Als er den zweiten Korb mit Mist oben hat, zögert er doch und schweigt.
Auch beim dritten. Denn hat die Mutter nicht auch „Bub" zu ihm gesagt?
Aber sie Hütte es sicher nicht getan, wenn nicht der Vater zuvor „Franz"
gerufen hätte. -

Immer wieder quirlen bei diesen Erwägungen Zweifel in ihm auf. Aber
sie steigen nicht so hoch, um seine Erkenntnis zu klären. Die übervolle Kindes¬
seele muß sich öffnen, muß die Wucht ihrer Gefühle ausströmen, denn diese ist
zu groß, um den Knaben zur Einsicht gelangen zu lassen, daß Schweigen hier
das beste wäre.

Als Franz zum viertenmal hinauf in den Garten kommt und den im
goldenen Licht der scheidenden Sonne still und emsig schaffenden Mann sieht,
für den er eine große Dankbarkeit wegen einer kleinen Wohltat im Herzen hat,
da überwältigt ihn das Gefühl.

„Babba," wendet er sich an den Vater, „die Mutter hat gesagt, du wärst
en eklige, widerwärtige Kerl."

Da sieht er, wie die Wut des Vaters Gesicht verzerrt, und nun erkennt
er zu spät das Verkehrte seines Handelns.

Der zornige Mann stößt den Spaten in den Boden und eilt auf die
Treppe zu. Das Kind ahnt, was das bedeutet, wirft seinen Korb ab und
rennt dem Vater nach. Kurz vor der Treppe holt er ihn ein, springt an seiner
Seite empor und umklammert mit beiden Händen seinen Arm. Die Füße um-


Grenzboten I 1912 V8
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[0541] Franz Weilers Martyrium Franz läßt den Korb umgestülpt zur Erde fallen. „Wieviel kommen dann drauf?" „Vier sin genug! Allons, eil dich e Bißje un hol noch drei. Ich tu den cuveil Syrene." „Wart, ich hol dir e Gawwel, Vater!" „Laß nur, ich nehm die Schipp!" Er sticht einen Spaten Mist auf und streut ihn in schüttelnder Bewegung auseinander. Der Bub geht wieder hinunter in den Hof. Schon auf der Treppe hört er die ärgerliche Stimme der Mutter, und es legt sich ein Schatten in seine Freude. Die Mutter schimpft, weil der Vater bei schmutzigem Wetter die Hosen nicht besser aufkrempelt und sie bis hoch hinauf bespritzt. „Was liegt dem dran. Ich bin ja gut für sei Dienstmagd. Für was anners hat der mich ja doch net geHeirat. Widerwärtiger, ekliger Kerl der!" Ein Zorn springt in das Kind. Sie schimpft den Vater. Mit einem Male läßt es unbewußt von der für fein Alter erstaunlichen, kühl abwägenden Beobachtung, die das größere Unrecht auf feiten des Vaters erkennt. Des Vaters Wohltat liegt noch zu nahe. Sie deckt alles Vergangene zu. Die Dankbarkeit quillt in Franz. Er wird es dem Vater sagen, was die Mutter geschimpft hat. Als er den zweiten Korb mit Mist oben hat, zögert er doch und schweigt. Auch beim dritten. Denn hat die Mutter nicht auch „Bub" zu ihm gesagt? Aber sie Hütte es sicher nicht getan, wenn nicht der Vater zuvor „Franz" gerufen hätte. - Immer wieder quirlen bei diesen Erwägungen Zweifel in ihm auf. Aber sie steigen nicht so hoch, um seine Erkenntnis zu klären. Die übervolle Kindes¬ seele muß sich öffnen, muß die Wucht ihrer Gefühle ausströmen, denn diese ist zu groß, um den Knaben zur Einsicht gelangen zu lassen, daß Schweigen hier das beste wäre. Als Franz zum viertenmal hinauf in den Garten kommt und den im goldenen Licht der scheidenden Sonne still und emsig schaffenden Mann sieht, für den er eine große Dankbarkeit wegen einer kleinen Wohltat im Herzen hat, da überwältigt ihn das Gefühl. „Babba," wendet er sich an den Vater, „die Mutter hat gesagt, du wärst en eklige, widerwärtige Kerl." Da sieht er, wie die Wut des Vaters Gesicht verzerrt, und nun erkennt er zu spät das Verkehrte seines Handelns. Der zornige Mann stößt den Spaten in den Boden und eilt auf die Treppe zu. Das Kind ahnt, was das bedeutet, wirft seinen Korb ab und rennt dem Vater nach. Kurz vor der Treppe holt er ihn ein, springt an seiner Seite empor und umklammert mit beiden Händen seinen Arm. Die Füße um- Grenzboten I 1912 V8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/541>, abgerufen am 27.09.2024.