Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franz Meilers Martyrium

schließen wie eine Kletterstange des Alten Bein, und die wehgebrochene Kinder¬
stimme wimmert:

"Babba, net, Babba, net! 's gibt wieder Streit zwische euch! Babba,
net! 's gibt Streit!"

Und danach erst:

"Babba, liewer Babba, net! Sie schlägt mich!"

Der aufgebrachte Mann schüttelt das Kind ab, haftet in Sätzen die Treppe
hinab zu der dürstenden Frau, knufft der ihm den Rücken Zukehrenden mit der
Faust an den Arm und zischt:

"Was hascht du miserabeles Mensch gesagt, du verfluchtes?"

Seine wütenden Blicke bohren in sie, der Atem geht heiß über die Lippen
wie die Stichflamme aus dem Mund einer Lötlampe, die geballte Faust
zuckt zurück.

Die Frau sagt spöttisch gelassen, indem sie einen Schritt auf ihn zumacht:

"Nur drauf! Na, nur drauf!"

Er packt sie bei der Brust, zerrt sie zu sich her und schleudert sie wider den
hölzernen Pumpenstock, an dem die Kleider zum Reinigen aufgehängt sind.

Dann geht er wieder in den Garten.

Hier liegt einer an der Mauer auf den Knien und drückt das Gesicht auf
die Brüstung.

Er hat alles gesehen.

Als der Vater oben ist, richtet der Bub sich aus die Knie und wendet seine
wehen braunen Blicke auf ihn.

Der Vater sieht ihn an, seine Siedewut ist verkühle. Er fragt ruhigen Tones

"Gell, jetzt haschte Angscht vor deiner nowele Mutter?"

Der Kleine haucht nur:

"Babba. Babba!"

"Allo, komm, du hilfscht mir noch e bißje, daß mer fertig werrn, eh's
dunkel werd. Die werd sich hüte, daß se dir was macht!"

Das sagt er nicht, weil er sein Kind schützen will, sondern weil er seine
Frau haßt und Anlaß sucht, sie zu knuten.

Franz stellt sich ganz auf und folgt seinem Vater.

"Was soll ich helfe?"

"Hol dir die Mistgawwel un mach den übrige Mist auseinanner. Ich
fang aweil owwe an, zu grawe."

Der Bub geht zitternd in den Hof. Die Mutter steht am Brunnen,
feuchtet eine Kompresse, legt sie seitlich von dem Haarnest auf den Hinterkopf,
der ihr heftig an den Pumpenstock gefahren war, und bindet noch ein handbreit
gefaltetes Tuch darüber.

Franz steht es und möchte abbitten. Er räuspert sich, aber die Mutter
wendet sich nicht um.


Franz Meilers Martyrium

schließen wie eine Kletterstange des Alten Bein, und die wehgebrochene Kinder¬
stimme wimmert:

„Babba, net, Babba, net! 's gibt wieder Streit zwische euch! Babba,
net! 's gibt Streit!"

Und danach erst:

„Babba, liewer Babba, net! Sie schlägt mich!"

Der aufgebrachte Mann schüttelt das Kind ab, haftet in Sätzen die Treppe
hinab zu der dürstenden Frau, knufft der ihm den Rücken Zukehrenden mit der
Faust an den Arm und zischt:

„Was hascht du miserabeles Mensch gesagt, du verfluchtes?"

Seine wütenden Blicke bohren in sie, der Atem geht heiß über die Lippen
wie die Stichflamme aus dem Mund einer Lötlampe, die geballte Faust
zuckt zurück.

Die Frau sagt spöttisch gelassen, indem sie einen Schritt auf ihn zumacht:

„Nur drauf! Na, nur drauf!"

Er packt sie bei der Brust, zerrt sie zu sich her und schleudert sie wider den
hölzernen Pumpenstock, an dem die Kleider zum Reinigen aufgehängt sind.

Dann geht er wieder in den Garten.

Hier liegt einer an der Mauer auf den Knien und drückt das Gesicht auf
die Brüstung.

Er hat alles gesehen.

Als der Vater oben ist, richtet der Bub sich aus die Knie und wendet seine
wehen braunen Blicke auf ihn.

Der Vater sieht ihn an, seine Siedewut ist verkühle. Er fragt ruhigen Tones

„Gell, jetzt haschte Angscht vor deiner nowele Mutter?"

Der Kleine haucht nur:

„Babba. Babba!"

„Allo, komm, du hilfscht mir noch e bißje, daß mer fertig werrn, eh's
dunkel werd. Die werd sich hüte, daß se dir was macht!"

Das sagt er nicht, weil er sein Kind schützen will, sondern weil er seine
Frau haßt und Anlaß sucht, sie zu knuten.

Franz stellt sich ganz auf und folgt seinem Vater.

„Was soll ich helfe?"

„Hol dir die Mistgawwel un mach den übrige Mist auseinanner. Ich
fang aweil owwe an, zu grawe."

Der Bub geht zitternd in den Hof. Die Mutter steht am Brunnen,
feuchtet eine Kompresse, legt sie seitlich von dem Haarnest auf den Hinterkopf,
der ihr heftig an den Pumpenstock gefahren war, und bindet noch ein handbreit
gefaltetes Tuch darüber.

Franz steht es und möchte abbitten. Er räuspert sich, aber die Mutter
wendet sich nicht um.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320959"/>
          <fw type="header" place="top"> Franz Meilers Martyrium</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2388" prev="#ID_2387"> schließen wie eine Kletterstange des Alten Bein, und die wehgebrochene Kinder¬<lb/>
stimme wimmert:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2389"> &#x201E;Babba, net, Babba, net!  's gibt wieder Streit zwische euch! Babba,<lb/>
net! 's gibt Streit!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2390"> Und danach erst:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2391"> &#x201E;Babba, liewer Babba, net! Sie schlägt mich!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2392"> Der aufgebrachte Mann schüttelt das Kind ab, haftet in Sätzen die Treppe<lb/>
hinab zu der dürstenden Frau, knufft der ihm den Rücken Zukehrenden mit der<lb/>
Faust an den Arm und zischt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2393"> &#x201E;Was hascht du miserabeles Mensch gesagt, du verfluchtes?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2394"> Seine wütenden Blicke bohren in sie, der Atem geht heiß über die Lippen<lb/>
wie die Stichflamme aus dem Mund einer Lötlampe, die geballte Faust<lb/>
zuckt zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2395"> Die Frau sagt spöttisch gelassen, indem sie einen Schritt auf ihn zumacht:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2396"> &#x201E;Nur drauf! Na, nur drauf!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2397"> Er packt sie bei der Brust, zerrt sie zu sich her und schleudert sie wider den<lb/>
hölzernen Pumpenstock, an dem die Kleider zum Reinigen aufgehängt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2398"> Dann geht er wieder in den Garten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2399"> Hier liegt einer an der Mauer auf den Knien und drückt das Gesicht auf<lb/>
die Brüstung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2400"> Er hat alles gesehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2401"> Als der Vater oben ist, richtet der Bub sich aus die Knie und wendet seine<lb/>
wehen braunen Blicke auf ihn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2402"> Der Vater sieht ihn an, seine Siedewut ist verkühle. Er fragt ruhigen Tones</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2403"> &#x201E;Gell, jetzt haschte Angscht vor deiner nowele Mutter?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2404"> Der Kleine haucht nur:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2405"> &#x201E;Babba. Babba!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2406"> &#x201E;Allo, komm, du hilfscht mir noch e bißje, daß mer fertig werrn, eh's<lb/>
dunkel werd.  Die werd sich hüte, daß se dir was macht!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2407"> Das sagt er nicht, weil er sein Kind schützen will, sondern weil er seine<lb/>
Frau haßt und Anlaß sucht, sie zu knuten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2408"> Franz stellt sich ganz auf und folgt seinem Vater.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2409"> &#x201E;Was soll ich helfe?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2410"> &#x201E;Hol dir die Mistgawwel un mach den übrige Mist auseinanner. Ich<lb/>
fang aweil owwe an, zu grawe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2411"> Der Bub geht zitternd in den Hof. Die Mutter steht am Brunnen,<lb/>
feuchtet eine Kompresse, legt sie seitlich von dem Haarnest auf den Hinterkopf,<lb/>
der ihr heftig an den Pumpenstock gefahren war, und bindet noch ein handbreit<lb/>
gefaltetes Tuch darüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2412"> Franz steht es und möchte abbitten. Er räuspert sich, aber die Mutter<lb/>
wendet sich nicht um.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0542] Franz Meilers Martyrium schließen wie eine Kletterstange des Alten Bein, und die wehgebrochene Kinder¬ stimme wimmert: „Babba, net, Babba, net! 's gibt wieder Streit zwische euch! Babba, net! 's gibt Streit!" Und danach erst: „Babba, liewer Babba, net! Sie schlägt mich!" Der aufgebrachte Mann schüttelt das Kind ab, haftet in Sätzen die Treppe hinab zu der dürstenden Frau, knufft der ihm den Rücken Zukehrenden mit der Faust an den Arm und zischt: „Was hascht du miserabeles Mensch gesagt, du verfluchtes?" Seine wütenden Blicke bohren in sie, der Atem geht heiß über die Lippen wie die Stichflamme aus dem Mund einer Lötlampe, die geballte Faust zuckt zurück. Die Frau sagt spöttisch gelassen, indem sie einen Schritt auf ihn zumacht: „Nur drauf! Na, nur drauf!" Er packt sie bei der Brust, zerrt sie zu sich her und schleudert sie wider den hölzernen Pumpenstock, an dem die Kleider zum Reinigen aufgehängt sind. Dann geht er wieder in den Garten. Hier liegt einer an der Mauer auf den Knien und drückt das Gesicht auf die Brüstung. Er hat alles gesehen. Als der Vater oben ist, richtet der Bub sich aus die Knie und wendet seine wehen braunen Blicke auf ihn. Der Vater sieht ihn an, seine Siedewut ist verkühle. Er fragt ruhigen Tones „Gell, jetzt haschte Angscht vor deiner nowele Mutter?" Der Kleine haucht nur: „Babba. Babba!" „Allo, komm, du hilfscht mir noch e bißje, daß mer fertig werrn, eh's dunkel werd. Die werd sich hüte, daß se dir was macht!" Das sagt er nicht, weil er sein Kind schützen will, sondern weil er seine Frau haßt und Anlaß sucht, sie zu knuten. Franz stellt sich ganz auf und folgt seinem Vater. „Was soll ich helfe?" „Hol dir die Mistgawwel un mach den übrige Mist auseinanner. Ich fang aweil owwe an, zu grawe." Der Bub geht zitternd in den Hof. Die Mutter steht am Brunnen, feuchtet eine Kompresse, legt sie seitlich von dem Haarnest auf den Hinterkopf, der ihr heftig an den Pumpenstock gefahren war, und bindet noch ein handbreit gefaltetes Tuch darüber. Franz steht es und möchte abbitten. Er räuspert sich, aber die Mutter wendet sich nicht um.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/542
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/542>, abgerufen am 27.09.2024.