Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franz Meilers Martyrium

Menschenseele, wenn in die Schlucht des Leids, darin sie schauert, ein Morgen¬
rotes Glück auf sie niederschwebt.

Warum ist Franz so glücklich?

Sein Vater hat ihn beim Vornamen gerufen. Endlich, endlich wieder
einmal! Wann war's zum letztenmal? Darauf besinnt man sich nicht, so lange
ist es schon her!

Darum steht Franz in stillem Glück, als des Vaters Stimme seinen Namen
aus dem Garten trägt. Darum springt er zu seiner Mutter, die eben mit
einem Arm voll Kleidern zum Ausklopfen und Ausbürsten aus der Haustür in
den Hof tritt, und ruft voller Freude:

"Mama, eben hat de Babba ja Franz zu mir gesagt!"

In die Mutter zieht ein Widerschein von dem Sonnenglanz. Die Fciltchen
um ihren Mund, die ihrem Gesicht einen verbissenen Zug geben, glätten sich
ein wenig, und sie sagt freundlich:

"Jetzt guck mal da, wie froh der Bub is, weil sein Vater .Franz'
gerufe hat."

Sie denkt nichts weiter dabei, sonst wäre ihr diese Erkenntnis zugleich eine
Selbstanklage.

Aber das Kindesherz schluchzt vor Glück. Nun hat die Mutter gar noch
"Bub" gesagt! Das ist ein so liebes weiches Wort, in dessen Klang eine tröst¬
liche Melodie fließt, in dem ganz kleinen Wörtchen: Bub!

Da ruft der Vater wieder von oben:

"Franz, hörschte!? Du sollscht mir Mist bringe."

"Ja, Vater, ja gleich!" antwortet Franz. schwingt seine Last über sich und
trägt sie mit stemmenden Armen in eine kühle Ecke des Schuppens. Dort breitet
er das Futter auseinander, damit es nicht heiß wird und stickig schmeckt, denn
die Geißen sind im Fressen ein empfindliches, heikliges Viehzeug.

Dann wühlt er unter den Gartengeräten eine Mistgabel hervor, spießt
einen halbhohen, unten komisch zugeflochtenen. zweihenkeligen Korb daran auf,
schleudert ihn fröhlich hinunter in die nur halb gefüllte Dunggrube, und er
selbst springt nach.

"Also gut verfaulte Mist," murmelt er vor sich hin, deckt die oberste, von
der Sonne ausgedörrte Schicht hinweg und gabelt den tiefer unten sitzenden,
zusammengepreßten, feuchten schwarzen Dung, der hie und da von silbrigen
Schimmel überzogen ist. aufhäufend in den Korb. Nachdem er bis zum Rande
gefüllt ist, schwingt er ihn auf die fußhoch über die Hofebene ragende Mailer¬
brüstung der Grube, klettert hinauf, nimmt den Korb auf die linke Achsel, den
Arm wie eine Stütze in die Hüfte stemmend, und trägt ihn die Treppe hinauf
in den Garten.

Auf dem Beete deutet der Vater ihm mit der Schippe auf den Boden
und sagt:

"Dahin!"


Franz Meilers Martyrium

Menschenseele, wenn in die Schlucht des Leids, darin sie schauert, ein Morgen¬
rotes Glück auf sie niederschwebt.

Warum ist Franz so glücklich?

Sein Vater hat ihn beim Vornamen gerufen. Endlich, endlich wieder
einmal! Wann war's zum letztenmal? Darauf besinnt man sich nicht, so lange
ist es schon her!

Darum steht Franz in stillem Glück, als des Vaters Stimme seinen Namen
aus dem Garten trägt. Darum springt er zu seiner Mutter, die eben mit
einem Arm voll Kleidern zum Ausklopfen und Ausbürsten aus der Haustür in
den Hof tritt, und ruft voller Freude:

„Mama, eben hat de Babba ja Franz zu mir gesagt!"

In die Mutter zieht ein Widerschein von dem Sonnenglanz. Die Fciltchen
um ihren Mund, die ihrem Gesicht einen verbissenen Zug geben, glätten sich
ein wenig, und sie sagt freundlich:

„Jetzt guck mal da, wie froh der Bub is, weil sein Vater .Franz'
gerufe hat."

Sie denkt nichts weiter dabei, sonst wäre ihr diese Erkenntnis zugleich eine
Selbstanklage.

Aber das Kindesherz schluchzt vor Glück. Nun hat die Mutter gar noch
„Bub" gesagt! Das ist ein so liebes weiches Wort, in dessen Klang eine tröst¬
liche Melodie fließt, in dem ganz kleinen Wörtchen: Bub!

Da ruft der Vater wieder von oben:

„Franz, hörschte!? Du sollscht mir Mist bringe."

„Ja, Vater, ja gleich!" antwortet Franz. schwingt seine Last über sich und
trägt sie mit stemmenden Armen in eine kühle Ecke des Schuppens. Dort breitet
er das Futter auseinander, damit es nicht heiß wird und stickig schmeckt, denn
die Geißen sind im Fressen ein empfindliches, heikliges Viehzeug.

Dann wühlt er unter den Gartengeräten eine Mistgabel hervor, spießt
einen halbhohen, unten komisch zugeflochtenen. zweihenkeligen Korb daran auf,
schleudert ihn fröhlich hinunter in die nur halb gefüllte Dunggrube, und er
selbst springt nach.

„Also gut verfaulte Mist," murmelt er vor sich hin, deckt die oberste, von
der Sonne ausgedörrte Schicht hinweg und gabelt den tiefer unten sitzenden,
zusammengepreßten, feuchten schwarzen Dung, der hie und da von silbrigen
Schimmel überzogen ist. aufhäufend in den Korb. Nachdem er bis zum Rande
gefüllt ist, schwingt er ihn auf die fußhoch über die Hofebene ragende Mailer¬
brüstung der Grube, klettert hinauf, nimmt den Korb auf die linke Achsel, den
Arm wie eine Stütze in die Hüfte stemmend, und trägt ihn die Treppe hinauf
in den Garten.

Auf dem Beete deutet der Vater ihm mit der Schippe auf den Boden
und sagt:

„Dahin!"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320957"/>
          <fw type="header" place="top"> Franz Meilers Martyrium</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2356" prev="#ID_2355"> Menschenseele, wenn in die Schlucht des Leids, darin sie schauert, ein Morgen¬<lb/>
rotes Glück auf sie niederschwebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2357"> Warum ist Franz so glücklich?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2358"> Sein Vater hat ihn beim Vornamen gerufen. Endlich, endlich wieder<lb/>
einmal! Wann war's zum letztenmal? Darauf besinnt man sich nicht, so lange<lb/>
ist es schon her!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2359"> Darum steht Franz in stillem Glück, als des Vaters Stimme seinen Namen<lb/>
aus dem Garten trägt. Darum springt er zu seiner Mutter, die eben mit<lb/>
einem Arm voll Kleidern zum Ausklopfen und Ausbürsten aus der Haustür in<lb/>
den Hof tritt, und ruft voller Freude:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2360"> &#x201E;Mama, eben hat de Babba ja Franz zu mir gesagt!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2361"> In die Mutter zieht ein Widerschein von dem Sonnenglanz. Die Fciltchen<lb/>
um ihren Mund, die ihrem Gesicht einen verbissenen Zug geben, glätten sich<lb/>
ein wenig, und sie sagt freundlich:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2362"> &#x201E;Jetzt guck mal da, wie froh der Bub is, weil sein Vater .Franz'<lb/>
gerufe hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2363"> Sie denkt nichts weiter dabei, sonst wäre ihr diese Erkenntnis zugleich eine<lb/>
Selbstanklage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2364"> Aber das Kindesherz schluchzt vor Glück. Nun hat die Mutter gar noch<lb/>
&#x201E;Bub" gesagt! Das ist ein so liebes weiches Wort, in dessen Klang eine tröst¬<lb/>
liche Melodie fließt, in dem ganz kleinen Wörtchen: Bub!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2365"> Da ruft der Vater wieder von oben:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2366"> &#x201E;Franz, hörschte!? Du sollscht mir Mist bringe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2367"> &#x201E;Ja, Vater, ja gleich!" antwortet Franz. schwingt seine Last über sich und<lb/>
trägt sie mit stemmenden Armen in eine kühle Ecke des Schuppens. Dort breitet<lb/>
er das Futter auseinander, damit es nicht heiß wird und stickig schmeckt, denn<lb/>
die Geißen sind im Fressen ein empfindliches, heikliges Viehzeug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2368"> Dann wühlt er unter den Gartengeräten eine Mistgabel hervor, spießt<lb/>
einen halbhohen, unten komisch zugeflochtenen. zweihenkeligen Korb daran auf,<lb/>
schleudert ihn fröhlich hinunter in die nur halb gefüllte Dunggrube, und er<lb/>
selbst springt nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2369"> &#x201E;Also gut verfaulte Mist," murmelt er vor sich hin, deckt die oberste, von<lb/>
der Sonne ausgedörrte Schicht hinweg und gabelt den tiefer unten sitzenden,<lb/>
zusammengepreßten, feuchten schwarzen Dung, der hie und da von silbrigen<lb/>
Schimmel überzogen ist. aufhäufend in den Korb. Nachdem er bis zum Rande<lb/>
gefüllt ist, schwingt er ihn auf die fußhoch über die Hofebene ragende Mailer¬<lb/>
brüstung der Grube, klettert hinauf, nimmt den Korb auf die linke Achsel, den<lb/>
Arm wie eine Stütze in die Hüfte stemmend, und trägt ihn die Treppe hinauf<lb/>
in den Garten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2370"> Auf dem Beete deutet der Vater ihm mit der Schippe auf den Boden<lb/>
und sagt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2371"> &#x201E;Dahin!"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0540] Franz Meilers Martyrium Menschenseele, wenn in die Schlucht des Leids, darin sie schauert, ein Morgen¬ rotes Glück auf sie niederschwebt. Warum ist Franz so glücklich? Sein Vater hat ihn beim Vornamen gerufen. Endlich, endlich wieder einmal! Wann war's zum letztenmal? Darauf besinnt man sich nicht, so lange ist es schon her! Darum steht Franz in stillem Glück, als des Vaters Stimme seinen Namen aus dem Garten trägt. Darum springt er zu seiner Mutter, die eben mit einem Arm voll Kleidern zum Ausklopfen und Ausbürsten aus der Haustür in den Hof tritt, und ruft voller Freude: „Mama, eben hat de Babba ja Franz zu mir gesagt!" In die Mutter zieht ein Widerschein von dem Sonnenglanz. Die Fciltchen um ihren Mund, die ihrem Gesicht einen verbissenen Zug geben, glätten sich ein wenig, und sie sagt freundlich: „Jetzt guck mal da, wie froh der Bub is, weil sein Vater .Franz' gerufe hat." Sie denkt nichts weiter dabei, sonst wäre ihr diese Erkenntnis zugleich eine Selbstanklage. Aber das Kindesherz schluchzt vor Glück. Nun hat die Mutter gar noch „Bub" gesagt! Das ist ein so liebes weiches Wort, in dessen Klang eine tröst¬ liche Melodie fließt, in dem ganz kleinen Wörtchen: Bub! Da ruft der Vater wieder von oben: „Franz, hörschte!? Du sollscht mir Mist bringe." „Ja, Vater, ja gleich!" antwortet Franz. schwingt seine Last über sich und trägt sie mit stemmenden Armen in eine kühle Ecke des Schuppens. Dort breitet er das Futter auseinander, damit es nicht heiß wird und stickig schmeckt, denn die Geißen sind im Fressen ein empfindliches, heikliges Viehzeug. Dann wühlt er unter den Gartengeräten eine Mistgabel hervor, spießt einen halbhohen, unten komisch zugeflochtenen. zweihenkeligen Korb daran auf, schleudert ihn fröhlich hinunter in die nur halb gefüllte Dunggrube, und er selbst springt nach. „Also gut verfaulte Mist," murmelt er vor sich hin, deckt die oberste, von der Sonne ausgedörrte Schicht hinweg und gabelt den tiefer unten sitzenden, zusammengepreßten, feuchten schwarzen Dung, der hie und da von silbrigen Schimmel überzogen ist. aufhäufend in den Korb. Nachdem er bis zum Rande gefüllt ist, schwingt er ihn auf die fußhoch über die Hofebene ragende Mailer¬ brüstung der Grube, klettert hinauf, nimmt den Korb auf die linke Achsel, den Arm wie eine Stütze in die Hüfte stemmend, und trägt ihn die Treppe hinauf in den Garten. Auf dem Beete deutet der Vater ihm mit der Schippe auf den Boden und sagt: „Dahin!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/540
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/540>, abgerufen am 27.09.2024.