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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Welt umspannende Phantasie und Symbolik wohl am meisten der Anregung
Böcklins zu verdanken.

Auch die heutige Landschaftsmalerei, soweit sie nicht eigenwillige Wege
wandelt und neuere Errungenschaften mit Konzessionen an den allgemeinen
Geschmack sür harmonische Ausgleichung verbindet, geht auf Münchner Ahnen
zurück. Es war namentlich Eduard Schleich, der durch seinen Anschluß an
Constable und die Maler von Barbizon die Verbindung der süddeutschen Land¬
schaftsmalerei mit der allgemein europäischen Kunst herstellte, und wie er taten
Stabil u. a. In seinem Geiste, wenn auch nicht von ihm beeinflußt, haben
sich namentlich drei Gruppen von Landschaftern entwickelt, deren Gemeinsames
man nicht anders als mit dem bereits etwas abgegriffenem Worte "Heimatkunst"
umschreiben kann. Denn Heimatkunst, künstlerische Verherrlichung eines bestimmten
Gebietes in deutschen Gauen, ist in der Tat das Gemeinsame der München-
Dachauer, Karlsruher und Worpsweder; und gemeinsam ist ihnen auch die
Abneigung gegen die radikale Ausprägung neuerer Stilformen, vor allem des
Impressionismus, von dessen Resultaten sie nur so viel entnehmen, als sie für
ihre Zwecke brauchen. Die reine impressionistische Tendenz der Farbenzerlegung
und Lichtbeobachtung paßt allerdings nicht für ihre Absicht, die Schönheit einer
spezifischen Landschaft in heimatlich anmutender Weise zu schildern. So ver¬
schieden nun auch die Bilder dieser Maler aussehen, künstlerisch bedeuten sie
ungefähr das gleiche, nimmt man etwa die stilisierten grau-grünen Moorbilder
von Dill, die stärker bewegten Probleme des Hochgebirges bei Baer und die
überzierlichen Biedcrmeierfiguren Vogelers aus. So kann man von den Münchnern
als typisch nennen: Franz Hoch, R. Kaiser. Lehmann; von den Karlsruhern
Volkmann, Schönleber. Grethe; von den Worpswedern Binnen und Overbeck;
wozu dann noch viele einzelne im Lande kommen, die ein bestimmtes Stück des
deutschen Landes lieben und malen: I. Werth, der Schilderer der Halligen,
Th. Hagen in Weimar, Bcmtzer, dessen hessische Bauerngemälde zum besten dieser
Art zählen, Otto H. Engel u. a. in.

Ihnen stehen die Landschaftsmaler gegenüber, die sich einen persönlichen
Stil gebildet haben und eine klare Form der bloßen Naturempfindung vorziehen.
Es zeigt sich bei ihnen freilich, daß gerade um der entschiedenen Form willen
auch die Empfindung der Natur stärker, weil persönlicher ausgedrückt ist, so daß
wir Ursache haben, ihre Werke meist höher zu werten als die der Heimatkünstler.
Auch hier läßt sich eine kleine Gruppe Münchner Maler von Vier und Stabil
aus erklären. Toni Stadler, Emil Lugo und Karl Halber stehen selbständig
nebeneinander, in verschiedenem Maße die Linie, die plastische Struktur der
Landschaft betonend und den Charakter der Natur erhöhend. Während Lugos
viel zu wenig bekannte Gemälde die friedsame Stille sommerlicher Idyllen
atmen, gibt Karl Halber in seinen Berg- und Waldbildern eine stärkere Essenz
deutscher Landschaft als die Heimatkünstler. In seiner harten linearen Form
ist er ein letzter Nachkomme der nazarenischen Landschafter, ein moderner


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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Welt umspannende Phantasie und Symbolik wohl am meisten der Anregung
Böcklins zu verdanken.

Auch die heutige Landschaftsmalerei, soweit sie nicht eigenwillige Wege
wandelt und neuere Errungenschaften mit Konzessionen an den allgemeinen
Geschmack sür harmonische Ausgleichung verbindet, geht auf Münchner Ahnen
zurück. Es war namentlich Eduard Schleich, der durch seinen Anschluß an
Constable und die Maler von Barbizon die Verbindung der süddeutschen Land¬
schaftsmalerei mit der allgemein europäischen Kunst herstellte, und wie er taten
Stabil u. a. In seinem Geiste, wenn auch nicht von ihm beeinflußt, haben
sich namentlich drei Gruppen von Landschaftern entwickelt, deren Gemeinsames
man nicht anders als mit dem bereits etwas abgegriffenem Worte „Heimatkunst"
umschreiben kann. Denn Heimatkunst, künstlerische Verherrlichung eines bestimmten
Gebietes in deutschen Gauen, ist in der Tat das Gemeinsame der München-
Dachauer, Karlsruher und Worpsweder; und gemeinsam ist ihnen auch die
Abneigung gegen die radikale Ausprägung neuerer Stilformen, vor allem des
Impressionismus, von dessen Resultaten sie nur so viel entnehmen, als sie für
ihre Zwecke brauchen. Die reine impressionistische Tendenz der Farbenzerlegung
und Lichtbeobachtung paßt allerdings nicht für ihre Absicht, die Schönheit einer
spezifischen Landschaft in heimatlich anmutender Weise zu schildern. So ver¬
schieden nun auch die Bilder dieser Maler aussehen, künstlerisch bedeuten sie
ungefähr das gleiche, nimmt man etwa die stilisierten grau-grünen Moorbilder
von Dill, die stärker bewegten Probleme des Hochgebirges bei Baer und die
überzierlichen Biedcrmeierfiguren Vogelers aus. So kann man von den Münchnern
als typisch nennen: Franz Hoch, R. Kaiser. Lehmann; von den Karlsruhern
Volkmann, Schönleber. Grethe; von den Worpswedern Binnen und Overbeck;
wozu dann noch viele einzelne im Lande kommen, die ein bestimmtes Stück des
deutschen Landes lieben und malen: I. Werth, der Schilderer der Halligen,
Th. Hagen in Weimar, Bcmtzer, dessen hessische Bauerngemälde zum besten dieser
Art zählen, Otto H. Engel u. a. in.

Ihnen stehen die Landschaftsmaler gegenüber, die sich einen persönlichen
Stil gebildet haben und eine klare Form der bloßen Naturempfindung vorziehen.
Es zeigt sich bei ihnen freilich, daß gerade um der entschiedenen Form willen
auch die Empfindung der Natur stärker, weil persönlicher ausgedrückt ist, so daß
wir Ursache haben, ihre Werke meist höher zu werten als die der Heimatkünstler.
Auch hier läßt sich eine kleine Gruppe Münchner Maler von Vier und Stabil
aus erklären. Toni Stadler, Emil Lugo und Karl Halber stehen selbständig
nebeneinander, in verschiedenem Maße die Linie, die plastische Struktur der
Landschaft betonend und den Charakter der Natur erhöhend. Während Lugos
viel zu wenig bekannte Gemälde die friedsame Stille sommerlicher Idyllen
atmen, gibt Karl Halber in seinen Berg- und Waldbildern eine stärkere Essenz
deutscher Landschaft als die Heimatkünstler. In seiner harten linearen Form
ist er ein letzter Nachkomme der nazarenischen Landschafter, ein moderner


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[0525] Die deutsche Malerei der Gegenwart Welt umspannende Phantasie und Symbolik wohl am meisten der Anregung Böcklins zu verdanken. Auch die heutige Landschaftsmalerei, soweit sie nicht eigenwillige Wege wandelt und neuere Errungenschaften mit Konzessionen an den allgemeinen Geschmack sür harmonische Ausgleichung verbindet, geht auf Münchner Ahnen zurück. Es war namentlich Eduard Schleich, der durch seinen Anschluß an Constable und die Maler von Barbizon die Verbindung der süddeutschen Land¬ schaftsmalerei mit der allgemein europäischen Kunst herstellte, und wie er taten Stabil u. a. In seinem Geiste, wenn auch nicht von ihm beeinflußt, haben sich namentlich drei Gruppen von Landschaftern entwickelt, deren Gemeinsames man nicht anders als mit dem bereits etwas abgegriffenem Worte „Heimatkunst" umschreiben kann. Denn Heimatkunst, künstlerische Verherrlichung eines bestimmten Gebietes in deutschen Gauen, ist in der Tat das Gemeinsame der München- Dachauer, Karlsruher und Worpsweder; und gemeinsam ist ihnen auch die Abneigung gegen die radikale Ausprägung neuerer Stilformen, vor allem des Impressionismus, von dessen Resultaten sie nur so viel entnehmen, als sie für ihre Zwecke brauchen. Die reine impressionistische Tendenz der Farbenzerlegung und Lichtbeobachtung paßt allerdings nicht für ihre Absicht, die Schönheit einer spezifischen Landschaft in heimatlich anmutender Weise zu schildern. So ver¬ schieden nun auch die Bilder dieser Maler aussehen, künstlerisch bedeuten sie ungefähr das gleiche, nimmt man etwa die stilisierten grau-grünen Moorbilder von Dill, die stärker bewegten Probleme des Hochgebirges bei Baer und die überzierlichen Biedcrmeierfiguren Vogelers aus. So kann man von den Münchnern als typisch nennen: Franz Hoch, R. Kaiser. Lehmann; von den Karlsruhern Volkmann, Schönleber. Grethe; von den Worpswedern Binnen und Overbeck; wozu dann noch viele einzelne im Lande kommen, die ein bestimmtes Stück des deutschen Landes lieben und malen: I. Werth, der Schilderer der Halligen, Th. Hagen in Weimar, Bcmtzer, dessen hessische Bauerngemälde zum besten dieser Art zählen, Otto H. Engel u. a. in. Ihnen stehen die Landschaftsmaler gegenüber, die sich einen persönlichen Stil gebildet haben und eine klare Form der bloßen Naturempfindung vorziehen. Es zeigt sich bei ihnen freilich, daß gerade um der entschiedenen Form willen auch die Empfindung der Natur stärker, weil persönlicher ausgedrückt ist, so daß wir Ursache haben, ihre Werke meist höher zu werten als die der Heimatkünstler. Auch hier läßt sich eine kleine Gruppe Münchner Maler von Vier und Stabil aus erklären. Toni Stadler, Emil Lugo und Karl Halber stehen selbständig nebeneinander, in verschiedenem Maße die Linie, die plastische Struktur der Landschaft betonend und den Charakter der Natur erhöhend. Während Lugos viel zu wenig bekannte Gemälde die friedsame Stille sommerlicher Idyllen atmen, gibt Karl Halber in seinen Berg- und Waldbildern eine stärkere Essenz deutscher Landschaft als die Heimatkünstler. In seiner harten linearen Form ist er ein letzter Nachkomme der nazarenischen Landschafter, ein moderner Grenzbote>i I 1912 6«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/525>, abgerufen am 27.09.2024.