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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Olivier. Pietzsch, den Maler des Jsartals, kann man als seinen einzigen Schüler
bezeichnen.

Die Schwaben Reiniger und Pleuer nähern sich mit malerischen Tendenzen
mehr der süddeutschen Heimatkunst. Doch ragt namentlich Pleuer über sie hinaus
durch den Ernst und die Kraft in seiner Darstellung, mit der er das Leben
der Bahnhöfe für die Malerei erobert hat.

Die persönlichste Erscheinung unter unseren Landschaftern ist sicherlich Leistitow.
Nicht, daß er die Schönheit eines bis dahin verachteten Landes, der Mark Branden¬
burg, entdeckt hat, macht seine Bedeutung aus (Blechen hatte lange vor ihm
märkischen Wald und Sand gemalt), sondern daß er sich einen eigenen Stil
dafür gesucht hat, halb realistisch, halb streng in der Form wie Halber. Die
Poesie seiner starken, auf einheitliche Töne gebrachten Farben, die Rhythmik
seiner großen reinen Linien heben ihn weit über allen Naturalismus bei Im¬
pressionisten wie bei Heimatkünstlern heraus. Seine Bedeutung tritt klar hervor,
wenn man ihn mit einen: Landschafter wie Eugen Bracht vergleicht, dessen
Pathos und dessen Lichteffekte fast so theaterhaft sind, wie es die Figurenbilder
Wilhelm Kaulbachs waren.

Der Geist des seinerzeit so berühmten Kaulbach (gemeint ist der Historien¬
maler und Illustrator) geht in manchen eigentümlichen Erscheinungen auch noch
heute um. Zwar ist die große Schule der Geschichtsmalerei, wie sie von
Cornelius ausging und in Kaulbach und Pilotn gipfelte, nicht verschwunden,
aber doch in andere Bahnen gelenkt worden, auf denen sie künstlerisch reinere Werke
hervorbringt als zur Zeit der Pilotvschen Theatereffekte. Schon der Nachfolger
Pilotys, Wilhelm von Diez, legte starkes Gewicht auf einen soliden malerischen
Realismus, so daß seine Bilder oft mehr wie gute Malerei denn als Geschichts¬
illustrationen wirken. Und bei den Malern, die direkt oder mittelbar als seine
Schüler zu bezeichnen sind -- er war ein sehr guter Lehrer --, denkt man
wesentlich nur an die gute, aus dem Impressionismus resultierende malerische
Form: bei N. Hangs grünlich-grautönigen Bildern aus dem Befreiungskriege,
bei Angelo Janks frisch bewegten Reiterbildern, bei Julius Exters Phantasie¬
szenen voll derben realistischen Einschlags. Exter hat freilich nicht gehalten, was
er versprach, seine Art ist ins Rohe und Flüchtige umgeschlagen; und der ihm
sonst nah verwandte Diezschüler Slevogt zeigt den Weg, den ein solches Talent
in günstigerer Umgebung aufwärts beschreiten kann.

Aber die Kaulbachsche Schule hat doch auch direkter nachgewirkt, in Wien
und München. Hier erzeugte sie auf dem Wege über Pilotn und Böcklin einen
Dekorateur großen Stiles in Franz Stuck, dessen inhaltlich auffallende und
aufregende Gemälde von modernen Bestrebungen so weit entfernt sind, als sie
sich dein Theaterpathos Kaulbachs nähern. Ein Zusatz starknerviger Brutalität
vermehrt ihre stoffliche Wirkung (man denke an den "Krieg", "Sünde", "Das
böse Gewissen"); aber es sind außer der Böcklinschen Phantastik nur primitive
und rohe Dekorationsmittel, die einen so durchschlagenden Effekt erzielen. In


Die deutsche Malerei der Gegenwart

Olivier. Pietzsch, den Maler des Jsartals, kann man als seinen einzigen Schüler
bezeichnen.

Die Schwaben Reiniger und Pleuer nähern sich mit malerischen Tendenzen
mehr der süddeutschen Heimatkunst. Doch ragt namentlich Pleuer über sie hinaus
durch den Ernst und die Kraft in seiner Darstellung, mit der er das Leben
der Bahnhöfe für die Malerei erobert hat.

Die persönlichste Erscheinung unter unseren Landschaftern ist sicherlich Leistitow.
Nicht, daß er die Schönheit eines bis dahin verachteten Landes, der Mark Branden¬
burg, entdeckt hat, macht seine Bedeutung aus (Blechen hatte lange vor ihm
märkischen Wald und Sand gemalt), sondern daß er sich einen eigenen Stil
dafür gesucht hat, halb realistisch, halb streng in der Form wie Halber. Die
Poesie seiner starken, auf einheitliche Töne gebrachten Farben, die Rhythmik
seiner großen reinen Linien heben ihn weit über allen Naturalismus bei Im¬
pressionisten wie bei Heimatkünstlern heraus. Seine Bedeutung tritt klar hervor,
wenn man ihn mit einen: Landschafter wie Eugen Bracht vergleicht, dessen
Pathos und dessen Lichteffekte fast so theaterhaft sind, wie es die Figurenbilder
Wilhelm Kaulbachs waren.

Der Geist des seinerzeit so berühmten Kaulbach (gemeint ist der Historien¬
maler und Illustrator) geht in manchen eigentümlichen Erscheinungen auch noch
heute um. Zwar ist die große Schule der Geschichtsmalerei, wie sie von
Cornelius ausging und in Kaulbach und Pilotn gipfelte, nicht verschwunden,
aber doch in andere Bahnen gelenkt worden, auf denen sie künstlerisch reinere Werke
hervorbringt als zur Zeit der Pilotvschen Theatereffekte. Schon der Nachfolger
Pilotys, Wilhelm von Diez, legte starkes Gewicht auf einen soliden malerischen
Realismus, so daß seine Bilder oft mehr wie gute Malerei denn als Geschichts¬
illustrationen wirken. Und bei den Malern, die direkt oder mittelbar als seine
Schüler zu bezeichnen sind — er war ein sehr guter Lehrer —, denkt man
wesentlich nur an die gute, aus dem Impressionismus resultierende malerische
Form: bei N. Hangs grünlich-grautönigen Bildern aus dem Befreiungskriege,
bei Angelo Janks frisch bewegten Reiterbildern, bei Julius Exters Phantasie¬
szenen voll derben realistischen Einschlags. Exter hat freilich nicht gehalten, was
er versprach, seine Art ist ins Rohe und Flüchtige umgeschlagen; und der ihm
sonst nah verwandte Diezschüler Slevogt zeigt den Weg, den ein solches Talent
in günstigerer Umgebung aufwärts beschreiten kann.

Aber die Kaulbachsche Schule hat doch auch direkter nachgewirkt, in Wien
und München. Hier erzeugte sie auf dem Wege über Pilotn und Böcklin einen
Dekorateur großen Stiles in Franz Stuck, dessen inhaltlich auffallende und
aufregende Gemälde von modernen Bestrebungen so weit entfernt sind, als sie
sich dein Theaterpathos Kaulbachs nähern. Ein Zusatz starknerviger Brutalität
vermehrt ihre stoffliche Wirkung (man denke an den „Krieg", „Sünde", „Das
böse Gewissen"); aber es sind außer der Böcklinschen Phantastik nur primitive
und rohe Dekorationsmittel, die einen so durchschlagenden Effekt erzielen. In


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[0526] Die deutsche Malerei der Gegenwart Olivier. Pietzsch, den Maler des Jsartals, kann man als seinen einzigen Schüler bezeichnen. Die Schwaben Reiniger und Pleuer nähern sich mit malerischen Tendenzen mehr der süddeutschen Heimatkunst. Doch ragt namentlich Pleuer über sie hinaus durch den Ernst und die Kraft in seiner Darstellung, mit der er das Leben der Bahnhöfe für die Malerei erobert hat. Die persönlichste Erscheinung unter unseren Landschaftern ist sicherlich Leistitow. Nicht, daß er die Schönheit eines bis dahin verachteten Landes, der Mark Branden¬ burg, entdeckt hat, macht seine Bedeutung aus (Blechen hatte lange vor ihm märkischen Wald und Sand gemalt), sondern daß er sich einen eigenen Stil dafür gesucht hat, halb realistisch, halb streng in der Form wie Halber. Die Poesie seiner starken, auf einheitliche Töne gebrachten Farben, die Rhythmik seiner großen reinen Linien heben ihn weit über allen Naturalismus bei Im¬ pressionisten wie bei Heimatkünstlern heraus. Seine Bedeutung tritt klar hervor, wenn man ihn mit einen: Landschafter wie Eugen Bracht vergleicht, dessen Pathos und dessen Lichteffekte fast so theaterhaft sind, wie es die Figurenbilder Wilhelm Kaulbachs waren. Der Geist des seinerzeit so berühmten Kaulbach (gemeint ist der Historien¬ maler und Illustrator) geht in manchen eigentümlichen Erscheinungen auch noch heute um. Zwar ist die große Schule der Geschichtsmalerei, wie sie von Cornelius ausging und in Kaulbach und Pilotn gipfelte, nicht verschwunden, aber doch in andere Bahnen gelenkt worden, auf denen sie künstlerisch reinere Werke hervorbringt als zur Zeit der Pilotvschen Theatereffekte. Schon der Nachfolger Pilotys, Wilhelm von Diez, legte starkes Gewicht auf einen soliden malerischen Realismus, so daß seine Bilder oft mehr wie gute Malerei denn als Geschichts¬ illustrationen wirken. Und bei den Malern, die direkt oder mittelbar als seine Schüler zu bezeichnen sind — er war ein sehr guter Lehrer —, denkt man wesentlich nur an die gute, aus dem Impressionismus resultierende malerische Form: bei N. Hangs grünlich-grautönigen Bildern aus dem Befreiungskriege, bei Angelo Janks frisch bewegten Reiterbildern, bei Julius Exters Phantasie¬ szenen voll derben realistischen Einschlags. Exter hat freilich nicht gehalten, was er versprach, seine Art ist ins Rohe und Flüchtige umgeschlagen; und der ihm sonst nah verwandte Diezschüler Slevogt zeigt den Weg, den ein solches Talent in günstigerer Umgebung aufwärts beschreiten kann. Aber die Kaulbachsche Schule hat doch auch direkter nachgewirkt, in Wien und München. Hier erzeugte sie auf dem Wege über Pilotn und Böcklin einen Dekorateur großen Stiles in Franz Stuck, dessen inhaltlich auffallende und aufregende Gemälde von modernen Bestrebungen so weit entfernt sind, als sie sich dein Theaterpathos Kaulbachs nähern. Ein Zusatz starknerviger Brutalität vermehrt ihre stoffliche Wirkung (man denke an den „Krieg", „Sünde", „Das böse Gewissen"); aber es sind außer der Böcklinschen Phantastik nur primitive und rohe Dekorationsmittel, die einen so durchschlagenden Effekt erzielen. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/526>, abgerufen am 29.12.2024.