Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Malerei der Gegenwart

Einen künstlerisch viel nachhaltigerem Einfluß hat ein anderer echter Münchner
bis in unsere Tage ausgeübt; er ist allerdings einer der Älteren, aber er steht
in der großen europäischen Traditionslinie: es ist Karl Spitzweg, den man als
Maler heiteren Biedermeier-Genres kennt und liebt. Er hat Einflüsse von
der Barbizonschule (Diaz) und den Holländern aufs glücklichste mit seinen:
romantisch fäbuliereuden Naturell verschr. olzen und eine qualitativ sehr hoch¬
stehende Malerei als erster in München gepflegt. Da er aber "nur" Genremaler
in einer die große Historie schätzenden Zeit war, so blieb sein unmittelbarer
Einfluß sehr bescheiden. Erst die neuere Münchner Genrekunst im engen und
weiteren Sinne hat ihn wieder zu Ehren gebracht, oft vielleicht mehr unbewußt.
Aber man kann sich Wilhelm Busch, dessen Anfänge der Malerei galten, und
Oberländer kaum ohne tiefe Kenntnis von Spitzweg vorstellen. In ihn: wurzelt
ihr Humor, nur das malerische Element haben sie nicht übernommen, und so
zielt auch ihre Nachfolge einseitig aufs Zeichnerische und schließlich Manieristische.
In Engen Kirchners kolorierten Witzchen erkennt man unschwer Oberländer
wieder; Th. Th. Heine, der Simplizissimuszeichner, verschärft seine Art zum
Sarkasmus und Julius Diaz zur Anekdote: beide bleiben auch als Maler
Konturisten, denen die Farbe nur zum Unterstreichen ihrer Manier dient, und
sind als Zeichner in ihrem echten Element. Von ähnlichen: Geiste erfüllt ist
Strathmann in Berlin, der ganz im Ornamentalen aufgeht. Diesen Künstlern
ist der Mangel an malerischem Empfinden zum zeichnerischen Manierismus
geworden: um nicht in akademische Korrektheit zu verfallen, griffen sie zu gesuchten
Stilisierungen in der Linie und zum witzigen Einfall in: Stoff.

Eine unmittelbare Vergröberung des Spitzwegschen Genres bedeutete die
Fliegende Blätter-Kunst (in: Goldrahmen natürlich) der Defregger, Grützner
und Harburger. Hier spielen noch andere Einflüsse mit, wie bei den Düssel¬
dorfern Kraus und Vautier: gemeinsam mit ihrem künstlerischen Ahn ist ihnen
eigentlich nur, daß ihre Bilder eine anekdotische Pointe haben, die den naiven,
d. h. in diesem Falle künstlerisch nicht geschulten Betrachter zur Neugier, zum
Interesse am Inhalt, zum Lachen oder zur Rührung zwingt. Höhere Malerei
wollen sie gar nicht mehr geben.

Doch gibt es eine ganze Gruppe neuerer Künstler in München, die es
verstehen, das gegenständlich Anmutende mit einer liebenswürdigen malerischen
.Kultur zu umkleiden und darin wirklich Spitzweg näher kommen als andere.
Hcngeler und sein Schüler Zumbusch rechnen so gut dazu wie Amandus Faure und
Fr. Febr, wenn auch diese nur in weiterem Sinne, da sie einen stärkeren Nach¬
druck auf rein malerische Form legen (freilich eine etwas dunkeltonige Form, die
nicht in der Linie unserer Entwicklung liegt); stärker wieder Jnterieurmaler,
"mit Staffage", wie Claus Meyer und der liebenswürdige Borchardt. Bei
ihnen mag unmittelbar freilich die große Jnterieurkunst der Holländer Vermeer
van Delft und Pieter de Hooch eingewirkt haben. Albert Welti endlich, einer
unserer originellste!: Köpfe, hat sein bestes Teil, die buntfarbige, die ganze


Die deutsche Malerei der Gegenwart

Einen künstlerisch viel nachhaltigerem Einfluß hat ein anderer echter Münchner
bis in unsere Tage ausgeübt; er ist allerdings einer der Älteren, aber er steht
in der großen europäischen Traditionslinie: es ist Karl Spitzweg, den man als
Maler heiteren Biedermeier-Genres kennt und liebt. Er hat Einflüsse von
der Barbizonschule (Diaz) und den Holländern aufs glücklichste mit seinen:
romantisch fäbuliereuden Naturell verschr. olzen und eine qualitativ sehr hoch¬
stehende Malerei als erster in München gepflegt. Da er aber „nur" Genremaler
in einer die große Historie schätzenden Zeit war, so blieb sein unmittelbarer
Einfluß sehr bescheiden. Erst die neuere Münchner Genrekunst im engen und
weiteren Sinne hat ihn wieder zu Ehren gebracht, oft vielleicht mehr unbewußt.
Aber man kann sich Wilhelm Busch, dessen Anfänge der Malerei galten, und
Oberländer kaum ohne tiefe Kenntnis von Spitzweg vorstellen. In ihn: wurzelt
ihr Humor, nur das malerische Element haben sie nicht übernommen, und so
zielt auch ihre Nachfolge einseitig aufs Zeichnerische und schließlich Manieristische.
In Engen Kirchners kolorierten Witzchen erkennt man unschwer Oberländer
wieder; Th. Th. Heine, der Simplizissimuszeichner, verschärft seine Art zum
Sarkasmus und Julius Diaz zur Anekdote: beide bleiben auch als Maler
Konturisten, denen die Farbe nur zum Unterstreichen ihrer Manier dient, und
sind als Zeichner in ihrem echten Element. Von ähnlichen: Geiste erfüllt ist
Strathmann in Berlin, der ganz im Ornamentalen aufgeht. Diesen Künstlern
ist der Mangel an malerischem Empfinden zum zeichnerischen Manierismus
geworden: um nicht in akademische Korrektheit zu verfallen, griffen sie zu gesuchten
Stilisierungen in der Linie und zum witzigen Einfall in: Stoff.

Eine unmittelbare Vergröberung des Spitzwegschen Genres bedeutete die
Fliegende Blätter-Kunst (in: Goldrahmen natürlich) der Defregger, Grützner
und Harburger. Hier spielen noch andere Einflüsse mit, wie bei den Düssel¬
dorfern Kraus und Vautier: gemeinsam mit ihrem künstlerischen Ahn ist ihnen
eigentlich nur, daß ihre Bilder eine anekdotische Pointe haben, die den naiven,
d. h. in diesem Falle künstlerisch nicht geschulten Betrachter zur Neugier, zum
Interesse am Inhalt, zum Lachen oder zur Rührung zwingt. Höhere Malerei
wollen sie gar nicht mehr geben.

Doch gibt es eine ganze Gruppe neuerer Künstler in München, die es
verstehen, das gegenständlich Anmutende mit einer liebenswürdigen malerischen
.Kultur zu umkleiden und darin wirklich Spitzweg näher kommen als andere.
Hcngeler und sein Schüler Zumbusch rechnen so gut dazu wie Amandus Faure und
Fr. Febr, wenn auch diese nur in weiterem Sinne, da sie einen stärkeren Nach¬
druck auf rein malerische Form legen (freilich eine etwas dunkeltonige Form, die
nicht in der Linie unserer Entwicklung liegt); stärker wieder Jnterieurmaler,
„mit Staffage", wie Claus Meyer und der liebenswürdige Borchardt. Bei
ihnen mag unmittelbar freilich die große Jnterieurkunst der Holländer Vermeer
van Delft und Pieter de Hooch eingewirkt haben. Albert Welti endlich, einer
unserer originellste!: Köpfe, hat sein bestes Teil, die buntfarbige, die ganze


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320941"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Malerei der Gegenwart</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2242"> Einen künstlerisch viel nachhaltigerem Einfluß hat ein anderer echter Münchner<lb/>
bis in unsere Tage ausgeübt; er ist allerdings einer der Älteren, aber er steht<lb/>
in der großen europäischen Traditionslinie: es ist Karl Spitzweg, den man als<lb/>
Maler heiteren Biedermeier-Genres kennt und liebt. Er hat Einflüsse von<lb/>
der Barbizonschule (Diaz) und den Holländern aufs glücklichste mit seinen:<lb/>
romantisch fäbuliereuden Naturell verschr. olzen und eine qualitativ sehr hoch¬<lb/>
stehende Malerei als erster in München gepflegt. Da er aber &#x201E;nur" Genremaler<lb/>
in einer die große Historie schätzenden Zeit war, so blieb sein unmittelbarer<lb/>
Einfluß sehr bescheiden. Erst die neuere Münchner Genrekunst im engen und<lb/>
weiteren Sinne hat ihn wieder zu Ehren gebracht, oft vielleicht mehr unbewußt.<lb/>
Aber man kann sich Wilhelm Busch, dessen Anfänge der Malerei galten, und<lb/>
Oberländer kaum ohne tiefe Kenntnis von Spitzweg vorstellen. In ihn: wurzelt<lb/>
ihr Humor, nur das malerische Element haben sie nicht übernommen, und so<lb/>
zielt auch ihre Nachfolge einseitig aufs Zeichnerische und schließlich Manieristische.<lb/>
In Engen Kirchners kolorierten Witzchen erkennt man unschwer Oberländer<lb/>
wieder; Th. Th. Heine, der Simplizissimuszeichner, verschärft seine Art zum<lb/>
Sarkasmus und Julius Diaz zur Anekdote: beide bleiben auch als Maler<lb/>
Konturisten, denen die Farbe nur zum Unterstreichen ihrer Manier dient, und<lb/>
sind als Zeichner in ihrem echten Element. Von ähnlichen: Geiste erfüllt ist<lb/>
Strathmann in Berlin, der ganz im Ornamentalen aufgeht. Diesen Künstlern<lb/>
ist der Mangel an malerischem Empfinden zum zeichnerischen Manierismus<lb/>
geworden: um nicht in akademische Korrektheit zu verfallen, griffen sie zu gesuchten<lb/>
Stilisierungen in der Linie und zum witzigen Einfall in: Stoff.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2243"> Eine unmittelbare Vergröberung des Spitzwegschen Genres bedeutete die<lb/>
Fliegende Blätter-Kunst (in: Goldrahmen natürlich) der Defregger, Grützner<lb/>
und Harburger. Hier spielen noch andere Einflüsse mit, wie bei den Düssel¬<lb/>
dorfern Kraus und Vautier: gemeinsam mit ihrem künstlerischen Ahn ist ihnen<lb/>
eigentlich nur, daß ihre Bilder eine anekdotische Pointe haben, die den naiven,<lb/>
d. h. in diesem Falle künstlerisch nicht geschulten Betrachter zur Neugier, zum<lb/>
Interesse am Inhalt, zum Lachen oder zur Rührung zwingt. Höhere Malerei<lb/>
wollen sie gar nicht mehr geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2244" next="#ID_2245"> Doch gibt es eine ganze Gruppe neuerer Künstler in München, die es<lb/>
verstehen, das gegenständlich Anmutende mit einer liebenswürdigen malerischen<lb/>
.Kultur zu umkleiden und darin wirklich Spitzweg näher kommen als andere.<lb/>
Hcngeler und sein Schüler Zumbusch rechnen so gut dazu wie Amandus Faure und<lb/>
Fr. Febr, wenn auch diese nur in weiterem Sinne, da sie einen stärkeren Nach¬<lb/>
druck auf rein malerische Form legen (freilich eine etwas dunkeltonige Form, die<lb/>
nicht in der Linie unserer Entwicklung liegt); stärker wieder Jnterieurmaler,<lb/>
&#x201E;mit Staffage", wie Claus Meyer und der liebenswürdige Borchardt. Bei<lb/>
ihnen mag unmittelbar freilich die große Jnterieurkunst der Holländer Vermeer<lb/>
van Delft und Pieter de Hooch eingewirkt haben. Albert Welti endlich, einer<lb/>
unserer originellste!: Köpfe, hat sein bestes Teil, die buntfarbige, die ganze</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Die deutsche Malerei der Gegenwart Einen künstlerisch viel nachhaltigerem Einfluß hat ein anderer echter Münchner bis in unsere Tage ausgeübt; er ist allerdings einer der Älteren, aber er steht in der großen europäischen Traditionslinie: es ist Karl Spitzweg, den man als Maler heiteren Biedermeier-Genres kennt und liebt. Er hat Einflüsse von der Barbizonschule (Diaz) und den Holländern aufs glücklichste mit seinen: romantisch fäbuliereuden Naturell verschr. olzen und eine qualitativ sehr hoch¬ stehende Malerei als erster in München gepflegt. Da er aber „nur" Genremaler in einer die große Historie schätzenden Zeit war, so blieb sein unmittelbarer Einfluß sehr bescheiden. Erst die neuere Münchner Genrekunst im engen und weiteren Sinne hat ihn wieder zu Ehren gebracht, oft vielleicht mehr unbewußt. Aber man kann sich Wilhelm Busch, dessen Anfänge der Malerei galten, und Oberländer kaum ohne tiefe Kenntnis von Spitzweg vorstellen. In ihn: wurzelt ihr Humor, nur das malerische Element haben sie nicht übernommen, und so zielt auch ihre Nachfolge einseitig aufs Zeichnerische und schließlich Manieristische. In Engen Kirchners kolorierten Witzchen erkennt man unschwer Oberländer wieder; Th. Th. Heine, der Simplizissimuszeichner, verschärft seine Art zum Sarkasmus und Julius Diaz zur Anekdote: beide bleiben auch als Maler Konturisten, denen die Farbe nur zum Unterstreichen ihrer Manier dient, und sind als Zeichner in ihrem echten Element. Von ähnlichen: Geiste erfüllt ist Strathmann in Berlin, der ganz im Ornamentalen aufgeht. Diesen Künstlern ist der Mangel an malerischem Empfinden zum zeichnerischen Manierismus geworden: um nicht in akademische Korrektheit zu verfallen, griffen sie zu gesuchten Stilisierungen in der Linie und zum witzigen Einfall in: Stoff. Eine unmittelbare Vergröberung des Spitzwegschen Genres bedeutete die Fliegende Blätter-Kunst (in: Goldrahmen natürlich) der Defregger, Grützner und Harburger. Hier spielen noch andere Einflüsse mit, wie bei den Düssel¬ dorfern Kraus und Vautier: gemeinsam mit ihrem künstlerischen Ahn ist ihnen eigentlich nur, daß ihre Bilder eine anekdotische Pointe haben, die den naiven, d. h. in diesem Falle künstlerisch nicht geschulten Betrachter zur Neugier, zum Interesse am Inhalt, zum Lachen oder zur Rührung zwingt. Höhere Malerei wollen sie gar nicht mehr geben. Doch gibt es eine ganze Gruppe neuerer Künstler in München, die es verstehen, das gegenständlich Anmutende mit einer liebenswürdigen malerischen .Kultur zu umkleiden und darin wirklich Spitzweg näher kommen als andere. Hcngeler und sein Schüler Zumbusch rechnen so gut dazu wie Amandus Faure und Fr. Febr, wenn auch diese nur in weiterem Sinne, da sie einen stärkeren Nach¬ druck auf rein malerische Form legen (freilich eine etwas dunkeltonige Form, die nicht in der Linie unserer Entwicklung liegt); stärker wieder Jnterieurmaler, „mit Staffage", wie Claus Meyer und der liebenswürdige Borchardt. Bei ihnen mag unmittelbar freilich die große Jnterieurkunst der Holländer Vermeer van Delft und Pieter de Hooch eingewirkt haben. Albert Welti endlich, einer unserer originellste!: Köpfe, hat sein bestes Teil, die buntfarbige, die ganze

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/524>, abgerufen am 27.09.2024.