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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

die man liebt. Aber sie bedeuten künstlerisch nichts, weil sie nur das aus
Böcklin kopieren, was theatralisch und effektvoll ist. Eine schlechte Kopie aber
ist noch viel weniger wert als ein schlechtes selbständiges Bild.

Einer der bekanntesten deutschen Künstler ist bisher noch nicht genannt
worden: Lenbach. Er ist in gewissem Sinne das Schicksal der Münchner
Malerei geworden; oder besser: er ist ihr persönlichster und temperamentvollster
Typus, wie er sich seit Cornelius und Kaulbach herausgebildet hatte. In seiner
Jugend (in Italien!) war er von einer mit Thoma und Leiht verwandten
kraftvollen Selbständigkeit in der malerischen Wiedergabe der Natur; der berühmte
"Hirtenjunge" der Schackgalerie und viele unbekanntere Gemälde zeugen dasür.
Aber das Studium der alten Meister, vor allein Tintorettos und Rembrandts,
brachten ihn völlig von seinem ursprünglichen Wege ab, und er wurde der
geistvolle und hochgefeierte Porträtist der europäischen Berühmtheiten, die er in
der Art jener alten Meister gemalt hat. Der "schummerige Atelierton" und
die "braune Sauce" sind die allbekannten Rezepte, die er der Münchner Malerei
hinterließ, eine geistvoll spielende Freude an der Pinseltechnik, die malerische
Qualitäten besitzt, aber nicht frei ist von koketter Absichtlichkeit. Sie tritt in
Reinkultur auf bei Hugo von Habermann, der nicht müde wird, kapriziöse
Frauengestalten mit einer elegant geschlängelten Pinselführung in braunen Tönen
zu umschreiben, die bisweilen bis zum Rosa hinauf und bis zum Schwarz
hinabklettern. Hier ist eine Kunst, der das Malen so sehr Selbstzweck wird,
daß darüber sogar der Zweck des Malens, das Bild, vergessen wird.

Direkte Schule von Lenbachs Porträtkunst findet sich, um nur die hervor¬
ragendsten zu nennen, bei Leo Samberger und Fritz August von Kaulbach, dem
Neffen des berühmten Wilhelm Kaulbach. Samberger kennt nur die eine der
vielen Gesten bei Lenbach: das Düster-Prächtige einer pathetischen Auffassung,
die am liebsten Profile und schwarz in schwarz darstellt. Man glaubt immer
derselben Person zu begegnen. Ist es bei Samberger der bärtige Mann, so
ist es bei Kaulbach die schöne Frau und das liebreizende Kind. Auch dieses
Erbe Lenbachs wird von Kaulbach mit einer liebevollen Ausschließlichkeit gepflegt,
die ihn zu dem geschätztesten Bildnismaler für Damen gemacht hat. In seinen
Spuren finden wir manches angenehme, sozusagen gesellschaftsfähige Talent,
sogar außerhalb Münchens, wie Sabine Lepsius in Berlin, von einem ebenso
liebenswürdigen Temperamente wie die Münchener Fortsetzer der Lenbachschen
Tradition. Es ist der feinere und mit süddeutscher Sinnlichkeit gesättigte
Akademismus Münchens, der vor allem in der Luitpoldgruppe seine Vertreter
hat: die Brüder Georg und Raffael Schuster-Woldan und Karl Marr, die in
der Darstellung weiblicher Reize oft bezaubern, mitunter auch banal werden
können. Wie denn überhaupt an der Verherrlichung femininer Schönheit nur
eine haarfeine Grenze gegen das Banate steht: Beliebte Allerweltsmaler von
dem Zuschnitt Kaspar Ritters und Hirzl-Deroncos sind warnende Beispiele dafür,
in welche unkünstlerischen Plattheiten solches Lobpreisen auslaufen kann.


Die deutsche Malerei der Gegenwart

die man liebt. Aber sie bedeuten künstlerisch nichts, weil sie nur das aus
Böcklin kopieren, was theatralisch und effektvoll ist. Eine schlechte Kopie aber
ist noch viel weniger wert als ein schlechtes selbständiges Bild.

Einer der bekanntesten deutschen Künstler ist bisher noch nicht genannt
worden: Lenbach. Er ist in gewissem Sinne das Schicksal der Münchner
Malerei geworden; oder besser: er ist ihr persönlichster und temperamentvollster
Typus, wie er sich seit Cornelius und Kaulbach herausgebildet hatte. In seiner
Jugend (in Italien!) war er von einer mit Thoma und Leiht verwandten
kraftvollen Selbständigkeit in der malerischen Wiedergabe der Natur; der berühmte
„Hirtenjunge" der Schackgalerie und viele unbekanntere Gemälde zeugen dasür.
Aber das Studium der alten Meister, vor allein Tintorettos und Rembrandts,
brachten ihn völlig von seinem ursprünglichen Wege ab, und er wurde der
geistvolle und hochgefeierte Porträtist der europäischen Berühmtheiten, die er in
der Art jener alten Meister gemalt hat. Der „schummerige Atelierton" und
die „braune Sauce" sind die allbekannten Rezepte, die er der Münchner Malerei
hinterließ, eine geistvoll spielende Freude an der Pinseltechnik, die malerische
Qualitäten besitzt, aber nicht frei ist von koketter Absichtlichkeit. Sie tritt in
Reinkultur auf bei Hugo von Habermann, der nicht müde wird, kapriziöse
Frauengestalten mit einer elegant geschlängelten Pinselführung in braunen Tönen
zu umschreiben, die bisweilen bis zum Rosa hinauf und bis zum Schwarz
hinabklettern. Hier ist eine Kunst, der das Malen so sehr Selbstzweck wird,
daß darüber sogar der Zweck des Malens, das Bild, vergessen wird.

Direkte Schule von Lenbachs Porträtkunst findet sich, um nur die hervor¬
ragendsten zu nennen, bei Leo Samberger und Fritz August von Kaulbach, dem
Neffen des berühmten Wilhelm Kaulbach. Samberger kennt nur die eine der
vielen Gesten bei Lenbach: das Düster-Prächtige einer pathetischen Auffassung,
die am liebsten Profile und schwarz in schwarz darstellt. Man glaubt immer
derselben Person zu begegnen. Ist es bei Samberger der bärtige Mann, so
ist es bei Kaulbach die schöne Frau und das liebreizende Kind. Auch dieses
Erbe Lenbachs wird von Kaulbach mit einer liebevollen Ausschließlichkeit gepflegt,
die ihn zu dem geschätztesten Bildnismaler für Damen gemacht hat. In seinen
Spuren finden wir manches angenehme, sozusagen gesellschaftsfähige Talent,
sogar außerhalb Münchens, wie Sabine Lepsius in Berlin, von einem ebenso
liebenswürdigen Temperamente wie die Münchener Fortsetzer der Lenbachschen
Tradition. Es ist der feinere und mit süddeutscher Sinnlichkeit gesättigte
Akademismus Münchens, der vor allem in der Luitpoldgruppe seine Vertreter
hat: die Brüder Georg und Raffael Schuster-Woldan und Karl Marr, die in
der Darstellung weiblicher Reize oft bezaubern, mitunter auch banal werden
können. Wie denn überhaupt an der Verherrlichung femininer Schönheit nur
eine haarfeine Grenze gegen das Banate steht: Beliebte Allerweltsmaler von
dem Zuschnitt Kaspar Ritters und Hirzl-Deroncos sind warnende Beispiele dafür,
in welche unkünstlerischen Plattheiten solches Lobpreisen auslaufen kann.


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[0523] Die deutsche Malerei der Gegenwart die man liebt. Aber sie bedeuten künstlerisch nichts, weil sie nur das aus Böcklin kopieren, was theatralisch und effektvoll ist. Eine schlechte Kopie aber ist noch viel weniger wert als ein schlechtes selbständiges Bild. Einer der bekanntesten deutschen Künstler ist bisher noch nicht genannt worden: Lenbach. Er ist in gewissem Sinne das Schicksal der Münchner Malerei geworden; oder besser: er ist ihr persönlichster und temperamentvollster Typus, wie er sich seit Cornelius und Kaulbach herausgebildet hatte. In seiner Jugend (in Italien!) war er von einer mit Thoma und Leiht verwandten kraftvollen Selbständigkeit in der malerischen Wiedergabe der Natur; der berühmte „Hirtenjunge" der Schackgalerie und viele unbekanntere Gemälde zeugen dasür. Aber das Studium der alten Meister, vor allein Tintorettos und Rembrandts, brachten ihn völlig von seinem ursprünglichen Wege ab, und er wurde der geistvolle und hochgefeierte Porträtist der europäischen Berühmtheiten, die er in der Art jener alten Meister gemalt hat. Der „schummerige Atelierton" und die „braune Sauce" sind die allbekannten Rezepte, die er der Münchner Malerei hinterließ, eine geistvoll spielende Freude an der Pinseltechnik, die malerische Qualitäten besitzt, aber nicht frei ist von koketter Absichtlichkeit. Sie tritt in Reinkultur auf bei Hugo von Habermann, der nicht müde wird, kapriziöse Frauengestalten mit einer elegant geschlängelten Pinselführung in braunen Tönen zu umschreiben, die bisweilen bis zum Rosa hinauf und bis zum Schwarz hinabklettern. Hier ist eine Kunst, der das Malen so sehr Selbstzweck wird, daß darüber sogar der Zweck des Malens, das Bild, vergessen wird. Direkte Schule von Lenbachs Porträtkunst findet sich, um nur die hervor¬ ragendsten zu nennen, bei Leo Samberger und Fritz August von Kaulbach, dem Neffen des berühmten Wilhelm Kaulbach. Samberger kennt nur die eine der vielen Gesten bei Lenbach: das Düster-Prächtige einer pathetischen Auffassung, die am liebsten Profile und schwarz in schwarz darstellt. Man glaubt immer derselben Person zu begegnen. Ist es bei Samberger der bärtige Mann, so ist es bei Kaulbach die schöne Frau und das liebreizende Kind. Auch dieses Erbe Lenbachs wird von Kaulbach mit einer liebevollen Ausschließlichkeit gepflegt, die ihn zu dem geschätztesten Bildnismaler für Damen gemacht hat. In seinen Spuren finden wir manches angenehme, sozusagen gesellschaftsfähige Talent, sogar außerhalb Münchens, wie Sabine Lepsius in Berlin, von einem ebenso liebenswürdigen Temperamente wie die Münchener Fortsetzer der Lenbachschen Tradition. Es ist der feinere und mit süddeutscher Sinnlichkeit gesättigte Akademismus Münchens, der vor allem in der Luitpoldgruppe seine Vertreter hat: die Brüder Georg und Raffael Schuster-Woldan und Karl Marr, die in der Darstellung weiblicher Reize oft bezaubern, mitunter auch banal werden können. Wie denn überhaupt an der Verherrlichung femininer Schönheit nur eine haarfeine Grenze gegen das Banate steht: Beliebte Allerweltsmaler von dem Zuschnitt Kaspar Ritters und Hirzl-Deroncos sind warnende Beispiele dafür, in welche unkünstlerischen Plattheiten solches Lobpreisen auslaufen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/523>, abgerufen am 27.09.2024.