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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Beichtvater eines Amserpaares

Von dem für Texas viel wichtigeren Englisch kannte er zuerst aber noch kaum
die Anfangsgründe. Obwohl aber gerade die deutsche Kolonie Neu-Braunfels
wohl der ungeeignetste Ort war -- und es eigentlich auch noch heute ist --,
um Englisch zu lernen, dauerte es doch kaum ein Jahr, bis er die offizielle
Landessprache in Wort und Schrift mit einer Meisterschaft beherrschte, die selbst
dem spottlustigsten Ungko-Amerikaner Erstaunen und Anerkennung abnötigte.
In der gleichen Zeit hatte er sich aber noch die für alle praktischen Bedürfnisse
ausreichende Kenntnis des Spanischen angeeignet, die ja für dies an Mexiko
angrenzende Gebiet ebenfalls von Wichtigkeit ist. Das alles lernte er ganz
nebenbei, da er doch völlig mittellos war und wohl oder übel für seinen Lebens¬
unterhalt arbeiten mußte, wo und wie sich gerade Gelegenheit bot.

Sehr sympathisch war Fischer, den die Neu-Braunfelser für einen ver¬
bummelten Studenten hielten, wobei sie auch wohl kaum fehlgriffen, die harte
körperliche Arbeit offenbar nicht. Sobald er daher die sprachlichen Klippen
überwunden hatte, "hing er seinen ZliinZIs heraus", das heißt: er befestigte
an der Tür zu seiner Wohnung ein Blechschild, das der Mitwelt zu verkünden
hatte, daß er nunmehr als "I^an^er", als Advokat, als Rechtsanwalt und
Notar der händelsüchtigen und Rechtshilfe suchenden Menschheit beizustehen
gewillt sei! Das ging damals in Texas noch sehr leicht. Auch heute noch ist's
nicht allzu umständlich. Ich entsinne mich, den Namen eines jungen Mannes,
der mir noch vor einem halben Jahre als VulLdc-r-Do^, d. h. als Schlächter¬
geselle allmorgentlich das Fleisch ins Haus gebracht hatte, auf solch einem
Advokatenschilde prangen gesehen zu haben.

Also aus dem verbummelten Studenten und Farmarbeiter war nunmehr
der "I^w^er" Fischer geworden!

Knapp ein Jahr nach seiner Ankunft in Amerika konnte er es bereits wagen,
vor Gericht in englischer Sprache zu plädieren, und zwar mit bestem Erfolge.
Gleich seinen ersten Prozeß, einen Ehescheidungsprozeß, welcher in Ermangelung
eines Gerichtsgebäudes in Neu-Braunfels merkwürdigerweise in der protestantischen
Kirche abgehalten wurde, gewann er glänzend!

Sollte dies sein erstes öffentliches Auftreten in einer Kirche eine Art von
Vorbedeutung für die weitere Entwicklung des seltsamen Mannes sein?

Fischer hatte sich gelegentlich selbst als Protestanten oder doch als "pro¬
testantisch getauft" bezeichnet, versäumte jedoch keine Gelegenheit, sich als Frei¬
denker radikalster Richtung aufzuspielen.

War er schon als armer Schlucker ein lustiger Geselle gewesen, so genoß
er jetzt, da ihm infolge seiner gutgehenden Advokatenpraxis die Mittel reichlich
zuflössen, das Leben in den vollsten Zügen. Alte, würdige Bürger von Neu-
Braunfels, die ich Jahrzehnte später gesprochen und die damals auch noch jung
und übermütig gewesen waren, wurden geradezu begeistert, wenn sie in ihren
Schilderungen aus vergangenen Tagen auf jene Zeit und auf Fischer zu sprechen
kamen, besonders darauf, "wie kolossal der I^w^ör Fischer zechen konnte"!


Der Beichtvater eines Amserpaares

Von dem für Texas viel wichtigeren Englisch kannte er zuerst aber noch kaum
die Anfangsgründe. Obwohl aber gerade die deutsche Kolonie Neu-Braunfels
wohl der ungeeignetste Ort war — und es eigentlich auch noch heute ist —,
um Englisch zu lernen, dauerte es doch kaum ein Jahr, bis er die offizielle
Landessprache in Wort und Schrift mit einer Meisterschaft beherrschte, die selbst
dem spottlustigsten Ungko-Amerikaner Erstaunen und Anerkennung abnötigte.
In der gleichen Zeit hatte er sich aber noch die für alle praktischen Bedürfnisse
ausreichende Kenntnis des Spanischen angeeignet, die ja für dies an Mexiko
angrenzende Gebiet ebenfalls von Wichtigkeit ist. Das alles lernte er ganz
nebenbei, da er doch völlig mittellos war und wohl oder übel für seinen Lebens¬
unterhalt arbeiten mußte, wo und wie sich gerade Gelegenheit bot.

Sehr sympathisch war Fischer, den die Neu-Braunfelser für einen ver¬
bummelten Studenten hielten, wobei sie auch wohl kaum fehlgriffen, die harte
körperliche Arbeit offenbar nicht. Sobald er daher die sprachlichen Klippen
überwunden hatte, „hing er seinen ZliinZIs heraus", das heißt: er befestigte
an der Tür zu seiner Wohnung ein Blechschild, das der Mitwelt zu verkünden
hatte, daß er nunmehr als „I^an^er", als Advokat, als Rechtsanwalt und
Notar der händelsüchtigen und Rechtshilfe suchenden Menschheit beizustehen
gewillt sei! Das ging damals in Texas noch sehr leicht. Auch heute noch ist's
nicht allzu umständlich. Ich entsinne mich, den Namen eines jungen Mannes,
der mir noch vor einem halben Jahre als VulLdc-r-Do^, d. h. als Schlächter¬
geselle allmorgentlich das Fleisch ins Haus gebracht hatte, auf solch einem
Advokatenschilde prangen gesehen zu haben.

Also aus dem verbummelten Studenten und Farmarbeiter war nunmehr
der „I^w^er" Fischer geworden!

Knapp ein Jahr nach seiner Ankunft in Amerika konnte er es bereits wagen,
vor Gericht in englischer Sprache zu plädieren, und zwar mit bestem Erfolge.
Gleich seinen ersten Prozeß, einen Ehescheidungsprozeß, welcher in Ermangelung
eines Gerichtsgebäudes in Neu-Braunfels merkwürdigerweise in der protestantischen
Kirche abgehalten wurde, gewann er glänzend!

Sollte dies sein erstes öffentliches Auftreten in einer Kirche eine Art von
Vorbedeutung für die weitere Entwicklung des seltsamen Mannes sein?

Fischer hatte sich gelegentlich selbst als Protestanten oder doch als „pro¬
testantisch getauft" bezeichnet, versäumte jedoch keine Gelegenheit, sich als Frei¬
denker radikalster Richtung aufzuspielen.

War er schon als armer Schlucker ein lustiger Geselle gewesen, so genoß
er jetzt, da ihm infolge seiner gutgehenden Advokatenpraxis die Mittel reichlich
zuflössen, das Leben in den vollsten Zügen. Alte, würdige Bürger von Neu-
Braunfels, die ich Jahrzehnte später gesprochen und die damals auch noch jung
und übermütig gewesen waren, wurden geradezu begeistert, wenn sie in ihren
Schilderungen aus vergangenen Tagen auf jene Zeit und auf Fischer zu sprechen
kamen, besonders darauf, „wie kolossal der I^w^ör Fischer zechen konnte"!


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[0044] Der Beichtvater eines Amserpaares Von dem für Texas viel wichtigeren Englisch kannte er zuerst aber noch kaum die Anfangsgründe. Obwohl aber gerade die deutsche Kolonie Neu-Braunfels wohl der ungeeignetste Ort war — und es eigentlich auch noch heute ist —, um Englisch zu lernen, dauerte es doch kaum ein Jahr, bis er die offizielle Landessprache in Wort und Schrift mit einer Meisterschaft beherrschte, die selbst dem spottlustigsten Ungko-Amerikaner Erstaunen und Anerkennung abnötigte. In der gleichen Zeit hatte er sich aber noch die für alle praktischen Bedürfnisse ausreichende Kenntnis des Spanischen angeeignet, die ja für dies an Mexiko angrenzende Gebiet ebenfalls von Wichtigkeit ist. Das alles lernte er ganz nebenbei, da er doch völlig mittellos war und wohl oder übel für seinen Lebens¬ unterhalt arbeiten mußte, wo und wie sich gerade Gelegenheit bot. Sehr sympathisch war Fischer, den die Neu-Braunfelser für einen ver¬ bummelten Studenten hielten, wobei sie auch wohl kaum fehlgriffen, die harte körperliche Arbeit offenbar nicht. Sobald er daher die sprachlichen Klippen überwunden hatte, „hing er seinen ZliinZIs heraus", das heißt: er befestigte an der Tür zu seiner Wohnung ein Blechschild, das der Mitwelt zu verkünden hatte, daß er nunmehr als „I^an^er", als Advokat, als Rechtsanwalt und Notar der händelsüchtigen und Rechtshilfe suchenden Menschheit beizustehen gewillt sei! Das ging damals in Texas noch sehr leicht. Auch heute noch ist's nicht allzu umständlich. Ich entsinne mich, den Namen eines jungen Mannes, der mir noch vor einem halben Jahre als VulLdc-r-Do^, d. h. als Schlächter¬ geselle allmorgentlich das Fleisch ins Haus gebracht hatte, auf solch einem Advokatenschilde prangen gesehen zu haben. Also aus dem verbummelten Studenten und Farmarbeiter war nunmehr der „I^w^er" Fischer geworden! Knapp ein Jahr nach seiner Ankunft in Amerika konnte er es bereits wagen, vor Gericht in englischer Sprache zu plädieren, und zwar mit bestem Erfolge. Gleich seinen ersten Prozeß, einen Ehescheidungsprozeß, welcher in Ermangelung eines Gerichtsgebäudes in Neu-Braunfels merkwürdigerweise in der protestantischen Kirche abgehalten wurde, gewann er glänzend! Sollte dies sein erstes öffentliches Auftreten in einer Kirche eine Art von Vorbedeutung für die weitere Entwicklung des seltsamen Mannes sein? Fischer hatte sich gelegentlich selbst als Protestanten oder doch als „pro¬ testantisch getauft" bezeichnet, versäumte jedoch keine Gelegenheit, sich als Frei¬ denker radikalster Richtung aufzuspielen. War er schon als armer Schlucker ein lustiger Geselle gewesen, so genoß er jetzt, da ihm infolge seiner gutgehenden Advokatenpraxis die Mittel reichlich zuflössen, das Leben in den vollsten Zügen. Alte, würdige Bürger von Neu- Braunfels, die ich Jahrzehnte später gesprochen und die damals auch noch jung und übermütig gewesen waren, wurden geradezu begeistert, wenn sie in ihren Schilderungen aus vergangenen Tagen auf jene Zeit und auf Fischer zu sprechen kamen, besonders darauf, „wie kolossal der I^w^ör Fischer zechen konnte"!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/44>, abgerufen am 29.12.2024.