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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Beichtvater eines Kmserpaarcs

Praxis erwies sich da gar manches anders, als es sich die jungen Brauseköpfe
vorgestellt hatten. Besonders hart kam den meisten der an harte körperliche
Arbeit durchaus nicht gewöhnten jungen Leute die bittere Notwendigkeit an,
selbst mit zuzugreifen -- trotz der barbarischen subtropischen Sonnenglut und
trotz der Schwielen, die den an Glacehandschuhe gewohnten Händen nicht
erspart blieben I

Aber trotz aller Schmierigkeiten, Mühen und Plagen entwickelten sich die
Kolonien auf das prächtigste, auch wenn sich die ursprünglichen Pläne der
Gründer, die höchstwahrscheinlich auf die Errichtung eines deutschen Pufferstaates
zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten abzielten, bald als unausführbar
erwiesen und in Vergessenheit gerieten.

Und auch noch, als sich der Adelsverein als solcher infolge des Scheiterns
jener Pläne aufgelöst hatte, hörte der Zuzug aus der deutschen Heimat nicht
auf. Viele tüchtige und arbeitslustige deutsche Bauern kamen nach, aber es
fehlte auch nicht an allerlei jungen Abenteurern, welche der Ruf der "lateinischen
Farmer" in Texas angelockt hatte.

Es mag gegen das Ende des Jahres 1848 gewesen sein, da langte eines
Tages in Neu-Braunfels ein herkulisch gebauter junger Mann von etwa vier¬
undzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren an, der sich kurzweg "Fischer" nannte.
Was er bisher gewesen war und was er getrieben hatte, oder woher er kam --
darüber sprach er nicht gern. Aber das sind Fragen, die gar manchem drüben
Neueinwandernden unbequem sind und die man daher auch zumeist wohlmeinend
unterläßt. Seinem Dialekte nach schien Fischers Wiege im Schwabenlande gestanden
zu haben. Später tauchte dann das Gerücht auf, er sei ein "natürlicher Sohn"
des Königs von Württemberg. Wie das Gerücht entstanden, läßt sich nicht ermitteln.
Vielleicht hatte er es selbst in Umlauf gesetzt, vielleicht auch nicht -- jedenfalls
hielt er es auch nicht für nötig, es energisch in Abrede zu stellen.

Daß er ein Mann von akademischer Bildung war. merkte jeder der "Lateiner",
mit denen Fischer sich nur ein paar Minuten unterhielt, sofort. Aber er war
nicht nur ein klassisch gebildeter junger Mann, sondern er erwies sich auch, was
unter den dort obwaltenden Umständen weit wesentlicher und wichtiger war,
als außerordentlich vielseitiger, gewandter, anstelliger und anpassungsfähiger
Mensch von zäher Ausdauer und stark entwickeltem Selbstbewußtsein im Auf¬
treten -- alles Eigenschaften, die in Amerika auch heute noch ungleich schwerer
in die Wagschale fallen, als alle mit Stempeln und Siegeln versehenen erst¬
klassiger Nachweise über akademische Bildung. Wieviel mehr noch damals an
der Jndianergrenze!

Es dauerte nicht lange, so wurde Fischer der allgemeine Liebling der Neu-
Braunfelser, besonders der jungen Leute, und da wieder speziell des -- weib¬
lichen Teiles derselben.

Allgemeines Aufsehen erregte er durch sein Sprachtalent. Außer seiner
Muttersprache beherrschte er schon bei seiner Ankunft das Französische vollkommen.


Der Beichtvater eines Kmserpaarcs

Praxis erwies sich da gar manches anders, als es sich die jungen Brauseköpfe
vorgestellt hatten. Besonders hart kam den meisten der an harte körperliche
Arbeit durchaus nicht gewöhnten jungen Leute die bittere Notwendigkeit an,
selbst mit zuzugreifen — trotz der barbarischen subtropischen Sonnenglut und
trotz der Schwielen, die den an Glacehandschuhe gewohnten Händen nicht
erspart blieben I

Aber trotz aller Schmierigkeiten, Mühen und Plagen entwickelten sich die
Kolonien auf das prächtigste, auch wenn sich die ursprünglichen Pläne der
Gründer, die höchstwahrscheinlich auf die Errichtung eines deutschen Pufferstaates
zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten abzielten, bald als unausführbar
erwiesen und in Vergessenheit gerieten.

Und auch noch, als sich der Adelsverein als solcher infolge des Scheiterns
jener Pläne aufgelöst hatte, hörte der Zuzug aus der deutschen Heimat nicht
auf. Viele tüchtige und arbeitslustige deutsche Bauern kamen nach, aber es
fehlte auch nicht an allerlei jungen Abenteurern, welche der Ruf der „lateinischen
Farmer" in Texas angelockt hatte.

Es mag gegen das Ende des Jahres 1848 gewesen sein, da langte eines
Tages in Neu-Braunfels ein herkulisch gebauter junger Mann von etwa vier¬
undzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren an, der sich kurzweg „Fischer" nannte.
Was er bisher gewesen war und was er getrieben hatte, oder woher er kam —
darüber sprach er nicht gern. Aber das sind Fragen, die gar manchem drüben
Neueinwandernden unbequem sind und die man daher auch zumeist wohlmeinend
unterläßt. Seinem Dialekte nach schien Fischers Wiege im Schwabenlande gestanden
zu haben. Später tauchte dann das Gerücht auf, er sei ein „natürlicher Sohn"
des Königs von Württemberg. Wie das Gerücht entstanden, läßt sich nicht ermitteln.
Vielleicht hatte er es selbst in Umlauf gesetzt, vielleicht auch nicht — jedenfalls
hielt er es auch nicht für nötig, es energisch in Abrede zu stellen.

Daß er ein Mann von akademischer Bildung war. merkte jeder der „Lateiner",
mit denen Fischer sich nur ein paar Minuten unterhielt, sofort. Aber er war
nicht nur ein klassisch gebildeter junger Mann, sondern er erwies sich auch, was
unter den dort obwaltenden Umständen weit wesentlicher und wichtiger war,
als außerordentlich vielseitiger, gewandter, anstelliger und anpassungsfähiger
Mensch von zäher Ausdauer und stark entwickeltem Selbstbewußtsein im Auf¬
treten — alles Eigenschaften, die in Amerika auch heute noch ungleich schwerer
in die Wagschale fallen, als alle mit Stempeln und Siegeln versehenen erst¬
klassiger Nachweise über akademische Bildung. Wieviel mehr noch damals an
der Jndianergrenze!

Es dauerte nicht lange, so wurde Fischer der allgemeine Liebling der Neu-
Braunfelser, besonders der jungen Leute, und da wieder speziell des — weib¬
lichen Teiles derselben.

Allgemeines Aufsehen erregte er durch sein Sprachtalent. Außer seiner
Muttersprache beherrschte er schon bei seiner Ankunft das Französische vollkommen.


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[0043] Der Beichtvater eines Kmserpaarcs Praxis erwies sich da gar manches anders, als es sich die jungen Brauseköpfe vorgestellt hatten. Besonders hart kam den meisten der an harte körperliche Arbeit durchaus nicht gewöhnten jungen Leute die bittere Notwendigkeit an, selbst mit zuzugreifen — trotz der barbarischen subtropischen Sonnenglut und trotz der Schwielen, die den an Glacehandschuhe gewohnten Händen nicht erspart blieben I Aber trotz aller Schmierigkeiten, Mühen und Plagen entwickelten sich die Kolonien auf das prächtigste, auch wenn sich die ursprünglichen Pläne der Gründer, die höchstwahrscheinlich auf die Errichtung eines deutschen Pufferstaates zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten abzielten, bald als unausführbar erwiesen und in Vergessenheit gerieten. Und auch noch, als sich der Adelsverein als solcher infolge des Scheiterns jener Pläne aufgelöst hatte, hörte der Zuzug aus der deutschen Heimat nicht auf. Viele tüchtige und arbeitslustige deutsche Bauern kamen nach, aber es fehlte auch nicht an allerlei jungen Abenteurern, welche der Ruf der „lateinischen Farmer" in Texas angelockt hatte. Es mag gegen das Ende des Jahres 1848 gewesen sein, da langte eines Tages in Neu-Braunfels ein herkulisch gebauter junger Mann von etwa vier¬ undzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren an, der sich kurzweg „Fischer" nannte. Was er bisher gewesen war und was er getrieben hatte, oder woher er kam — darüber sprach er nicht gern. Aber das sind Fragen, die gar manchem drüben Neueinwandernden unbequem sind und die man daher auch zumeist wohlmeinend unterläßt. Seinem Dialekte nach schien Fischers Wiege im Schwabenlande gestanden zu haben. Später tauchte dann das Gerücht auf, er sei ein „natürlicher Sohn" des Königs von Württemberg. Wie das Gerücht entstanden, läßt sich nicht ermitteln. Vielleicht hatte er es selbst in Umlauf gesetzt, vielleicht auch nicht — jedenfalls hielt er es auch nicht für nötig, es energisch in Abrede zu stellen. Daß er ein Mann von akademischer Bildung war. merkte jeder der „Lateiner", mit denen Fischer sich nur ein paar Minuten unterhielt, sofort. Aber er war nicht nur ein klassisch gebildeter junger Mann, sondern er erwies sich auch, was unter den dort obwaltenden Umständen weit wesentlicher und wichtiger war, als außerordentlich vielseitiger, gewandter, anstelliger und anpassungsfähiger Mensch von zäher Ausdauer und stark entwickeltem Selbstbewußtsein im Auf¬ treten — alles Eigenschaften, die in Amerika auch heute noch ungleich schwerer in die Wagschale fallen, als alle mit Stempeln und Siegeln versehenen erst¬ klassiger Nachweise über akademische Bildung. Wieviel mehr noch damals an der Jndianergrenze! Es dauerte nicht lange, so wurde Fischer der allgemeine Liebling der Neu- Braunfelser, besonders der jungen Leute, und da wieder speziell des — weib¬ lichen Teiles derselben. Allgemeines Aufsehen erregte er durch sein Sprachtalent. Außer seiner Muttersprache beherrschte er schon bei seiner Ankunft das Französische vollkommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/43>, abgerufen am 19.10.2024.