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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der ZZeichtvater eines Kaiserpaares

durch eine Persönlichkeit bestärkt wurde, die gerade in der entscheidenden Zeit
einen wahrhaft dämonischen Einfluß auf ihn und seine Gemahlin ausgeübt
hatte -- durch seinen Beichtvater.

Sofort nach jener kritischen Zeit war der richtige Zeitpunkt verpaßt;
der Rückzug war abgeschnitten, und nach allem, was geschehen war, konnten
auch die stegreichen mexikanischen Liberalen nicht anders handeln, als sie es
taten, wenn sie nicht knieschwach erscheinen wollten.

Man kann jetzt um so ruhiger und objektiver über die Kaisertragödie in
Mexiko verhandeln, als ja der Friede zwischen den beiden Parteien längst
abgeschlossen und auch -- wiewohl erst recht spät -- äußerlich formell besiegelt
ist. Es geschah das durch die Wiederherstellung der mehr als drei Jahrzehnte
lang unterbrochen gewesenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik
Mexiko und dem Heimatlande des Habsburgischen Erzherzogs. Eine kleine, aber
rührend treue und begeisterte Gemeinde in der Hauptstadt Mexiko pflegt noch
immer das Gedächtnis an das Opfer der Ränke des dritten Napoleons, an
deren Spitze der greise Apothekenbesitzer Kafka steht -- oder vielmehr Herr
v. Kafka, wie er sich seit der Verleihung des Ordens der Eisernen Krone nennt,
der ihm in Anerkennung seiner Verdienste bei der Vermittlung zur Wieder-
anknüpfung der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern
erteilt wurde.

Unvergeßlich wird mir stets die andachtsvolle Weihe bleiben, mit der mir
dieser würdige alte Herr, welcher der Besitzer eines kleinen, aber hochinteressanter
Museums von "Kaiser Max-Reliquien" ist, seine Schätze zeigte, an die er seine
Erinnerungen an die Zeit knüpfte, aus der sie stammen. Manches erfuhr ich
dabei über jene mysteriöse Persönlichkeit, die eine so verhängnisvoll große Rolle
im Leben des Kaisers Max und der Kaiserin Charlotte gespielt hat, manches,
was mich dann bewog, den Spuren jenes Mannes weiter nachzuforschen,
besonders als ich gewahr wurde, daß sie sich nach Südwest-Texas, wo ich jahr¬
zehntelang meinen Wohnsitz hatte, zurückverfolgen ließen.




In der Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der
"Mainzer Adels-Verein" im südwestlichen Texas -- da, wo sich der in kräftigem
Strom kristallklar aus dem weißen Kalkfelsen hervorsprudelnde Comalbach mit
der Guadeluve vereinigt -- die nach dem Gründer jenes Vereins, dem Prinzen
von Solms-Braunfels, benannte Kolonie Neu-Brcmnfels gegründet. Die Söhne
und Enkel jener Grafen und Herren sitzen dort noch heute und erfreuen sich
behaglichen Wohlstandes, wenn sie sich auch nicht mehr Graf Hoya, Graf
Coreth oder Baron v. Meusebach usw. nennen, sondern schlechtweg Mr. Hoya,
Mr. Coreth oder Mr. Meusebach.

Im ersten Jahrzehnt nach der Gründung dieser Adelskolonie ging's dort
freilich noch nicht so ruhig und geregelt her wie jetzt. Denn in der rauhen


Der ZZeichtvater eines Kaiserpaares

durch eine Persönlichkeit bestärkt wurde, die gerade in der entscheidenden Zeit
einen wahrhaft dämonischen Einfluß auf ihn und seine Gemahlin ausgeübt
hatte — durch seinen Beichtvater.

Sofort nach jener kritischen Zeit war der richtige Zeitpunkt verpaßt;
der Rückzug war abgeschnitten, und nach allem, was geschehen war, konnten
auch die stegreichen mexikanischen Liberalen nicht anders handeln, als sie es
taten, wenn sie nicht knieschwach erscheinen wollten.

Man kann jetzt um so ruhiger und objektiver über die Kaisertragödie in
Mexiko verhandeln, als ja der Friede zwischen den beiden Parteien längst
abgeschlossen und auch — wiewohl erst recht spät — äußerlich formell besiegelt
ist. Es geschah das durch die Wiederherstellung der mehr als drei Jahrzehnte
lang unterbrochen gewesenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik
Mexiko und dem Heimatlande des Habsburgischen Erzherzogs. Eine kleine, aber
rührend treue und begeisterte Gemeinde in der Hauptstadt Mexiko pflegt noch
immer das Gedächtnis an das Opfer der Ränke des dritten Napoleons, an
deren Spitze der greise Apothekenbesitzer Kafka steht — oder vielmehr Herr
v. Kafka, wie er sich seit der Verleihung des Ordens der Eisernen Krone nennt,
der ihm in Anerkennung seiner Verdienste bei der Vermittlung zur Wieder-
anknüpfung der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern
erteilt wurde.

Unvergeßlich wird mir stets die andachtsvolle Weihe bleiben, mit der mir
dieser würdige alte Herr, welcher der Besitzer eines kleinen, aber hochinteressanter
Museums von „Kaiser Max-Reliquien" ist, seine Schätze zeigte, an die er seine
Erinnerungen an die Zeit knüpfte, aus der sie stammen. Manches erfuhr ich
dabei über jene mysteriöse Persönlichkeit, die eine so verhängnisvoll große Rolle
im Leben des Kaisers Max und der Kaiserin Charlotte gespielt hat, manches,
was mich dann bewog, den Spuren jenes Mannes weiter nachzuforschen,
besonders als ich gewahr wurde, daß sie sich nach Südwest-Texas, wo ich jahr¬
zehntelang meinen Wohnsitz hatte, zurückverfolgen ließen.




In der Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der
„Mainzer Adels-Verein" im südwestlichen Texas — da, wo sich der in kräftigem
Strom kristallklar aus dem weißen Kalkfelsen hervorsprudelnde Comalbach mit
der Guadeluve vereinigt — die nach dem Gründer jenes Vereins, dem Prinzen
von Solms-Braunfels, benannte Kolonie Neu-Brcmnfels gegründet. Die Söhne
und Enkel jener Grafen und Herren sitzen dort noch heute und erfreuen sich
behaglichen Wohlstandes, wenn sie sich auch nicht mehr Graf Hoya, Graf
Coreth oder Baron v. Meusebach usw. nennen, sondern schlechtweg Mr. Hoya,
Mr. Coreth oder Mr. Meusebach.

Im ersten Jahrzehnt nach der Gründung dieser Adelskolonie ging's dort
freilich noch nicht so ruhig und geregelt her wie jetzt. Denn in der rauhen


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[0042] Der ZZeichtvater eines Kaiserpaares durch eine Persönlichkeit bestärkt wurde, die gerade in der entscheidenden Zeit einen wahrhaft dämonischen Einfluß auf ihn und seine Gemahlin ausgeübt hatte — durch seinen Beichtvater. Sofort nach jener kritischen Zeit war der richtige Zeitpunkt verpaßt; der Rückzug war abgeschnitten, und nach allem, was geschehen war, konnten auch die stegreichen mexikanischen Liberalen nicht anders handeln, als sie es taten, wenn sie nicht knieschwach erscheinen wollten. Man kann jetzt um so ruhiger und objektiver über die Kaisertragödie in Mexiko verhandeln, als ja der Friede zwischen den beiden Parteien längst abgeschlossen und auch — wiewohl erst recht spät — äußerlich formell besiegelt ist. Es geschah das durch die Wiederherstellung der mehr als drei Jahrzehnte lang unterbrochen gewesenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Mexiko und dem Heimatlande des Habsburgischen Erzherzogs. Eine kleine, aber rührend treue und begeisterte Gemeinde in der Hauptstadt Mexiko pflegt noch immer das Gedächtnis an das Opfer der Ränke des dritten Napoleons, an deren Spitze der greise Apothekenbesitzer Kafka steht — oder vielmehr Herr v. Kafka, wie er sich seit der Verleihung des Ordens der Eisernen Krone nennt, der ihm in Anerkennung seiner Verdienste bei der Vermittlung zur Wieder- anknüpfung der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern erteilt wurde. Unvergeßlich wird mir stets die andachtsvolle Weihe bleiben, mit der mir dieser würdige alte Herr, welcher der Besitzer eines kleinen, aber hochinteressanter Museums von „Kaiser Max-Reliquien" ist, seine Schätze zeigte, an die er seine Erinnerungen an die Zeit knüpfte, aus der sie stammen. Manches erfuhr ich dabei über jene mysteriöse Persönlichkeit, die eine so verhängnisvoll große Rolle im Leben des Kaisers Max und der Kaiserin Charlotte gespielt hat, manches, was mich dann bewog, den Spuren jenes Mannes weiter nachzuforschen, besonders als ich gewahr wurde, daß sie sich nach Südwest-Texas, wo ich jahr¬ zehntelang meinen Wohnsitz hatte, zurückverfolgen ließen. In der Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der „Mainzer Adels-Verein" im südwestlichen Texas — da, wo sich der in kräftigem Strom kristallklar aus dem weißen Kalkfelsen hervorsprudelnde Comalbach mit der Guadeluve vereinigt — die nach dem Gründer jenes Vereins, dem Prinzen von Solms-Braunfels, benannte Kolonie Neu-Brcmnfels gegründet. Die Söhne und Enkel jener Grafen und Herren sitzen dort noch heute und erfreuen sich behaglichen Wohlstandes, wenn sie sich auch nicht mehr Graf Hoya, Graf Coreth oder Baron v. Meusebach usw. nennen, sondern schlechtweg Mr. Hoya, Mr. Coreth oder Mr. Meusebach. Im ersten Jahrzehnt nach der Gründung dieser Adelskolonie ging's dort freilich noch nicht so ruhig und geregelt her wie jetzt. Denn in der rauhen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/42>, abgerufen am 19.10.2024.