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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Landmauern des alten Aonstantinopcl

Großen die Notwendigkeit ihrer Erweiterung fühlbar geworden war. Zudem
brauchte man Befestigungen, die bessere Gewähr für Leben und Sicherheit eines
friedlichen Bürgertums bieten konnten als die Mauern Konstantins. In Verhältnis-
mätzig kurzer Zeit wurde daS neue Bollwerk aufgeführt, das die Stadtgrenzen
um das Doppelte erweiterte. Und als 447 ein Erdbeben den stolzen Bau in
Trümmer legte, ging man sofort daran, ihn noch stärker und gewaltiger wieder
herzurichten.

An der Küste des Marmarameeres, unweit der Stelle, wo die Eisenbahn
heute in die Stadt eintritt, erhebt sich, von den Fluten der See bespült, ein
Marmorturm, Mermerkule genannt, bei dem die Mauern ihren Anfangspunkt
haben. In unmittelbarer Nähe desselben hat Theodosius sich ein besonderes
Denkmal geschaffen, das goldene Tor, dessen Ruinen noch heute dem Besucher
auffallen. Es war herrlich geschmückt und von zwei breiten Marmortürmen
flankiert. Die porta aures, hat viele byzantinische Kaiser bei ihrer Krönung in
die Stadt einziehen sehen. Hier wurden auch ganz besonders hohe Gäste empfangen,
wenn sie Byzanz besuchten, vor allem aber hat das Tor als porta triumpnaliL
von Konstantinopel gedient. Wie oft mögen hier unglückliche Gefangene gesenkten
Hauptes ihren Fahnen, Waffen und Schätzen, die man ihnen abgenommen hatte,
vorangeschritten sein, gefolgt vom siegreichen Kaiser, auf einem weißen Roß sitzend,
angetan mit dem golddurchwirkten Mantel, die Krone auf dem Haupt, das Zepter
in der Rechten, von seinem Volk umjubelt.

Nach der Einnahme Konstantinopels hat Muhammed das goldene Tor befestigt,
indem er eine Burg in Form eines Fünfecks daranbauen ließ, das Schloß der
sieben Türme. Nur die hohen Mauern dieses Riesenbaues und vier der Türme
stehen noch, malerisch von dunklem Grün umsponnen. Auf dem düsteren mit
Steintrümmern bedeckten Hof blühen purporrote Anemonen. Der Hüter dieser
großen Einsamkeit, ein alter weißbärtiger Türke, zeigt den links vom Eingang
gelegenen Eckturm, dessen enge dunkle Zellen als türkisches Staatsgefängnis dienten.
Geheimnisvolle Morde an hohen Beamten haben sich in diesen Gewölben abgespielt!
entthronte Sultane sahen hier ihrem letzten Stündlein entgegen, und wenn die
Türkei gerade einen Krieg gegen eine fremde Macht führte, mußten die Diplomaten
des betreffenden Staates in diese Kerker wandern. Unten am Turm sind noch
Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache eingehauen zu sehen, die auf
solche Willkürlichkeiten Bezug nehmen. Der letzte unfreiwillige Gast dieser Mauern
ist der französische Geschäftsträger Russin gewesen.

Dem Gefängnisturin gegenüber, schon an die alte Stadtmauer angebaut,
liegt ein anderer, in dessen fensterlosen labyrintischen Gängen man ohne die Hilfe
seines Führers einfach verloren wäre. Dieser zeigt im Erdgeschoß den "Blut-
brunnen", in den die Köpfe der unter türkischer Tyrannei Hingeschlachteten geworfen
wurden. Ein tiefes finsteres Loch, dessen Wände unheimlich aufglühen, wird
sichtbar, wenn ein Stück brennenden Papiers lautlos hinuntersinkt. Der geheimnis-
volle Brunnen hatte einen Abflußkanal nach dem Meer.

Erleichtert atmet man auf, wenn nach all dem Schauerlichen in der Tiefe
der Aufgang im Turm erstiegen ist und der Blick von den Zinnen desselben
ungehindert nach allen Richtungen schweifen kann. Zur Rechten dehnt sich das
Meer in zarter Bläue, dahinter am Horizont leuchten die weißen Firnen des


Grenzboten I 1912 ^
Die Landmauern des alten Aonstantinopcl

Großen die Notwendigkeit ihrer Erweiterung fühlbar geworden war. Zudem
brauchte man Befestigungen, die bessere Gewähr für Leben und Sicherheit eines
friedlichen Bürgertums bieten konnten als die Mauern Konstantins. In Verhältnis-
mätzig kurzer Zeit wurde daS neue Bollwerk aufgeführt, das die Stadtgrenzen
um das Doppelte erweiterte. Und als 447 ein Erdbeben den stolzen Bau in
Trümmer legte, ging man sofort daran, ihn noch stärker und gewaltiger wieder
herzurichten.

An der Küste des Marmarameeres, unweit der Stelle, wo die Eisenbahn
heute in die Stadt eintritt, erhebt sich, von den Fluten der See bespült, ein
Marmorturm, Mermerkule genannt, bei dem die Mauern ihren Anfangspunkt
haben. In unmittelbarer Nähe desselben hat Theodosius sich ein besonderes
Denkmal geschaffen, das goldene Tor, dessen Ruinen noch heute dem Besucher
auffallen. Es war herrlich geschmückt und von zwei breiten Marmortürmen
flankiert. Die porta aures, hat viele byzantinische Kaiser bei ihrer Krönung in
die Stadt einziehen sehen. Hier wurden auch ganz besonders hohe Gäste empfangen,
wenn sie Byzanz besuchten, vor allem aber hat das Tor als porta triumpnaliL
von Konstantinopel gedient. Wie oft mögen hier unglückliche Gefangene gesenkten
Hauptes ihren Fahnen, Waffen und Schätzen, die man ihnen abgenommen hatte,
vorangeschritten sein, gefolgt vom siegreichen Kaiser, auf einem weißen Roß sitzend,
angetan mit dem golddurchwirkten Mantel, die Krone auf dem Haupt, das Zepter
in der Rechten, von seinem Volk umjubelt.

Nach der Einnahme Konstantinopels hat Muhammed das goldene Tor befestigt,
indem er eine Burg in Form eines Fünfecks daranbauen ließ, das Schloß der
sieben Türme. Nur die hohen Mauern dieses Riesenbaues und vier der Türme
stehen noch, malerisch von dunklem Grün umsponnen. Auf dem düsteren mit
Steintrümmern bedeckten Hof blühen purporrote Anemonen. Der Hüter dieser
großen Einsamkeit, ein alter weißbärtiger Türke, zeigt den links vom Eingang
gelegenen Eckturm, dessen enge dunkle Zellen als türkisches Staatsgefängnis dienten.
Geheimnisvolle Morde an hohen Beamten haben sich in diesen Gewölben abgespielt!
entthronte Sultane sahen hier ihrem letzten Stündlein entgegen, und wenn die
Türkei gerade einen Krieg gegen eine fremde Macht führte, mußten die Diplomaten
des betreffenden Staates in diese Kerker wandern. Unten am Turm sind noch
Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache eingehauen zu sehen, die auf
solche Willkürlichkeiten Bezug nehmen. Der letzte unfreiwillige Gast dieser Mauern
ist der französische Geschäftsträger Russin gewesen.

Dem Gefängnisturin gegenüber, schon an die alte Stadtmauer angebaut,
liegt ein anderer, in dessen fensterlosen labyrintischen Gängen man ohne die Hilfe
seines Führers einfach verloren wäre. Dieser zeigt im Erdgeschoß den „Blut-
brunnen", in den die Köpfe der unter türkischer Tyrannei Hingeschlachteten geworfen
wurden. Ein tiefes finsteres Loch, dessen Wände unheimlich aufglühen, wird
sichtbar, wenn ein Stück brennenden Papiers lautlos hinuntersinkt. Der geheimnis-
volle Brunnen hatte einen Abflußkanal nach dem Meer.

Erleichtert atmet man auf, wenn nach all dem Schauerlichen in der Tiefe
der Aufgang im Turm erstiegen ist und der Blick von den Zinnen desselben
ungehindert nach allen Richtungen schweifen kann. Zur Rechten dehnt sich das
Meer in zarter Bläue, dahinter am Horizont leuchten die weißen Firnen des


Grenzboten I 1912 ^
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[0389] Die Landmauern des alten Aonstantinopcl Großen die Notwendigkeit ihrer Erweiterung fühlbar geworden war. Zudem brauchte man Befestigungen, die bessere Gewähr für Leben und Sicherheit eines friedlichen Bürgertums bieten konnten als die Mauern Konstantins. In Verhältnis- mätzig kurzer Zeit wurde daS neue Bollwerk aufgeführt, das die Stadtgrenzen um das Doppelte erweiterte. Und als 447 ein Erdbeben den stolzen Bau in Trümmer legte, ging man sofort daran, ihn noch stärker und gewaltiger wieder herzurichten. An der Küste des Marmarameeres, unweit der Stelle, wo die Eisenbahn heute in die Stadt eintritt, erhebt sich, von den Fluten der See bespült, ein Marmorturm, Mermerkule genannt, bei dem die Mauern ihren Anfangspunkt haben. In unmittelbarer Nähe desselben hat Theodosius sich ein besonderes Denkmal geschaffen, das goldene Tor, dessen Ruinen noch heute dem Besucher auffallen. Es war herrlich geschmückt und von zwei breiten Marmortürmen flankiert. Die porta aures, hat viele byzantinische Kaiser bei ihrer Krönung in die Stadt einziehen sehen. Hier wurden auch ganz besonders hohe Gäste empfangen, wenn sie Byzanz besuchten, vor allem aber hat das Tor als porta triumpnaliL von Konstantinopel gedient. Wie oft mögen hier unglückliche Gefangene gesenkten Hauptes ihren Fahnen, Waffen und Schätzen, die man ihnen abgenommen hatte, vorangeschritten sein, gefolgt vom siegreichen Kaiser, auf einem weißen Roß sitzend, angetan mit dem golddurchwirkten Mantel, die Krone auf dem Haupt, das Zepter in der Rechten, von seinem Volk umjubelt. Nach der Einnahme Konstantinopels hat Muhammed das goldene Tor befestigt, indem er eine Burg in Form eines Fünfecks daranbauen ließ, das Schloß der sieben Türme. Nur die hohen Mauern dieses Riesenbaues und vier der Türme stehen noch, malerisch von dunklem Grün umsponnen. Auf dem düsteren mit Steintrümmern bedeckten Hof blühen purporrote Anemonen. Der Hüter dieser großen Einsamkeit, ein alter weißbärtiger Türke, zeigt den links vom Eingang gelegenen Eckturm, dessen enge dunkle Zellen als türkisches Staatsgefängnis dienten. Geheimnisvolle Morde an hohen Beamten haben sich in diesen Gewölben abgespielt! entthronte Sultane sahen hier ihrem letzten Stündlein entgegen, und wenn die Türkei gerade einen Krieg gegen eine fremde Macht führte, mußten die Diplomaten des betreffenden Staates in diese Kerker wandern. Unten am Turm sind noch Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache eingehauen zu sehen, die auf solche Willkürlichkeiten Bezug nehmen. Der letzte unfreiwillige Gast dieser Mauern ist der französische Geschäftsträger Russin gewesen. Dem Gefängnisturin gegenüber, schon an die alte Stadtmauer angebaut, liegt ein anderer, in dessen fensterlosen labyrintischen Gängen man ohne die Hilfe seines Führers einfach verloren wäre. Dieser zeigt im Erdgeschoß den „Blut- brunnen", in den die Köpfe der unter türkischer Tyrannei Hingeschlachteten geworfen wurden. Ein tiefes finsteres Loch, dessen Wände unheimlich aufglühen, wird sichtbar, wenn ein Stück brennenden Papiers lautlos hinuntersinkt. Der geheimnis- volle Brunnen hatte einen Abflußkanal nach dem Meer. Erleichtert atmet man auf, wenn nach all dem Schauerlichen in der Tiefe der Aufgang im Turm erstiegen ist und der Blick von den Zinnen desselben ungehindert nach allen Richtungen schweifen kann. Zur Rechten dehnt sich das Meer in zarter Bläue, dahinter am Horizont leuchten die weißen Firnen des Grenzboten I 1912 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/389>, abgerufen am 29.12.2024.