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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Juanschikai berücksichtigte bei seinem Vorgehen auch das augenblickliche
Bedürfnis des Landes, indem er durch die Verbindung des monarchischen und
republikanischen Ideals das Zutrauen des Auslandes zu gewinnen hoffte, was
seinen greifbaren Ausdruck in der Bewilligung einer größeren Anleihe gefunden
hätte. Gerade dies Streben zu naheliegenden praktischen Zielen hat aber das
Mißtrauen der Republikaner erregt. Sie meinen, ^Juanschikai verspräche nur
solange allerhand Reformen, bis die Regierungsgewalt wieder zu Geld gekommen
sei, um damit monarchisch eingeschworene Truppen aufzustellen und die Revolution
niederzuwerfen. Vielleicht haben Sunjatsen und seine Freunde recht. Immerhin
scheint es uns, als wenn der angebliche Plan Juanschikais eine recht glückliche
Lösung der Chinawirren nach sich ziehen würde. Juanschikai ist selbst viel zu
sehr überzeugt, von der Notwendigkeit der Reformen, als daß er geneigt sein
könnte, die alten Zustände wiederherzustellen. Daß er sich aber keinen Utopien
hingibt, das geht vor allen Dingen aus dem Festhalten an der !Drmastie hervor. Er
scheint doch einige Bedenken gegen die rein republikanische Regierungsform mit all
ihren Anhängseln von Parteiklüngel, Parlamentsmisere und korrupter Presse zu haben.

Je länger die Unruhen in China fortbestehen, um so größer ist die Gefahr,
daß die nächsten Nachbarn des Reiches der Mitte, der Verwirklichung
alter egoistischer Pläne und Wünsche näher treten. Das Vorgehen Rußlands
in Tibet und in der Mongolei, Japans unverhüllte Absichten auf einen Teil
der Mandschurei, die Unbotmäßigkeit einiger zentralasiatischer Fürsten nagen schon
recht bedenklich am morschen Bau des chinesischen Reiches. Das offizielle China
vermag sich im gegenwärtigen Stadium gegen diese Eingriffe der Fremden nicht
zu wehren und so war es ein Akt der Notwehr zum Schutze der eignen Interessen,
wenn Deutschland und die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich zusammen¬
schlossen, um einander die territoriale Unantastbarkeit Chinas zu garantieren.
Es ist natürlich schwer vorauszusagen, ob die Garantien, die die beiden Staaten
einander gaben, stark genug sind, um das beabsichtigte Ziel zu erreichen. Aber
die Einmütigkeit ist wenigstens geeignet den Eifer derer zu mäßigen, die da
glauben nun im Trüben fischen zu können.

Für die Entwicklung Chinas selbst in seiner späteren Zukunft, sagen
wir für eine Zeit, in der die heutige chinesische Jugend zu Männern herangewachsen
ist, bedeutet das Vorgehen Japans und Rußlands ein Moment, das vielleicht
geeignet ist, den innern Wiederaufbau des Staates zu beschleunigen. Ein kluger
Diktator, möge er nun Republikaner sein oder Monarchist, hat durch die Los¬
reißung chinesischen Gebietes ein Mittel in die Hand bekommen, die Chinesen
von Nord und Süd für eine Idee zu einen, ihnen eine gemeinsame Aufgabe
zu zeigen. Wir würden sie die nationale Idee nennen. Wie viel Jahre dazu
gehören mögen, um diese Entwicklung herbeizuführen, ist wohl schwer zu bestimmen.
Aber sie kann auch über Nacht kommen. Jedenfalls sollte der Befreiungskampf
Chinas als ein Moment für weitere Verschiebungen auf dem asiatischen Fest¬
lande im Auge behalten werden.


Reichsspiegel

Juanschikai berücksichtigte bei seinem Vorgehen auch das augenblickliche
Bedürfnis des Landes, indem er durch die Verbindung des monarchischen und
republikanischen Ideals das Zutrauen des Auslandes zu gewinnen hoffte, was
seinen greifbaren Ausdruck in der Bewilligung einer größeren Anleihe gefunden
hätte. Gerade dies Streben zu naheliegenden praktischen Zielen hat aber das
Mißtrauen der Republikaner erregt. Sie meinen, ^Juanschikai verspräche nur
solange allerhand Reformen, bis die Regierungsgewalt wieder zu Geld gekommen
sei, um damit monarchisch eingeschworene Truppen aufzustellen und die Revolution
niederzuwerfen. Vielleicht haben Sunjatsen und seine Freunde recht. Immerhin
scheint es uns, als wenn der angebliche Plan Juanschikais eine recht glückliche
Lösung der Chinawirren nach sich ziehen würde. Juanschikai ist selbst viel zu
sehr überzeugt, von der Notwendigkeit der Reformen, als daß er geneigt sein
könnte, die alten Zustände wiederherzustellen. Daß er sich aber keinen Utopien
hingibt, das geht vor allen Dingen aus dem Festhalten an der !Drmastie hervor. Er
scheint doch einige Bedenken gegen die rein republikanische Regierungsform mit all
ihren Anhängseln von Parteiklüngel, Parlamentsmisere und korrupter Presse zu haben.

Je länger die Unruhen in China fortbestehen, um so größer ist die Gefahr,
daß die nächsten Nachbarn des Reiches der Mitte, der Verwirklichung
alter egoistischer Pläne und Wünsche näher treten. Das Vorgehen Rußlands
in Tibet und in der Mongolei, Japans unverhüllte Absichten auf einen Teil
der Mandschurei, die Unbotmäßigkeit einiger zentralasiatischer Fürsten nagen schon
recht bedenklich am morschen Bau des chinesischen Reiches. Das offizielle China
vermag sich im gegenwärtigen Stadium gegen diese Eingriffe der Fremden nicht
zu wehren und so war es ein Akt der Notwehr zum Schutze der eignen Interessen,
wenn Deutschland und die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich zusammen¬
schlossen, um einander die territoriale Unantastbarkeit Chinas zu garantieren.
Es ist natürlich schwer vorauszusagen, ob die Garantien, die die beiden Staaten
einander gaben, stark genug sind, um das beabsichtigte Ziel zu erreichen. Aber
die Einmütigkeit ist wenigstens geeignet den Eifer derer zu mäßigen, die da
glauben nun im Trüben fischen zu können.

Für die Entwicklung Chinas selbst in seiner späteren Zukunft, sagen
wir für eine Zeit, in der die heutige chinesische Jugend zu Männern herangewachsen
ist, bedeutet das Vorgehen Japans und Rußlands ein Moment, das vielleicht
geeignet ist, den innern Wiederaufbau des Staates zu beschleunigen. Ein kluger
Diktator, möge er nun Republikaner sein oder Monarchist, hat durch die Los¬
reißung chinesischen Gebietes ein Mittel in die Hand bekommen, die Chinesen
von Nord und Süd für eine Idee zu einen, ihnen eine gemeinsame Aufgabe
zu zeigen. Wir würden sie die nationale Idee nennen. Wie viel Jahre dazu
gehören mögen, um diese Entwicklung herbeizuführen, ist wohl schwer zu bestimmen.
Aber sie kann auch über Nacht kommen. Jedenfalls sollte der Befreiungskampf
Chinas als ein Moment für weitere Verschiebungen auf dem asiatischen Fest¬
lande im Auge behalten werden.


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[0362] Reichsspiegel Juanschikai berücksichtigte bei seinem Vorgehen auch das augenblickliche Bedürfnis des Landes, indem er durch die Verbindung des monarchischen und republikanischen Ideals das Zutrauen des Auslandes zu gewinnen hoffte, was seinen greifbaren Ausdruck in der Bewilligung einer größeren Anleihe gefunden hätte. Gerade dies Streben zu naheliegenden praktischen Zielen hat aber das Mißtrauen der Republikaner erregt. Sie meinen, ^Juanschikai verspräche nur solange allerhand Reformen, bis die Regierungsgewalt wieder zu Geld gekommen sei, um damit monarchisch eingeschworene Truppen aufzustellen und die Revolution niederzuwerfen. Vielleicht haben Sunjatsen und seine Freunde recht. Immerhin scheint es uns, als wenn der angebliche Plan Juanschikais eine recht glückliche Lösung der Chinawirren nach sich ziehen würde. Juanschikai ist selbst viel zu sehr überzeugt, von der Notwendigkeit der Reformen, als daß er geneigt sein könnte, die alten Zustände wiederherzustellen. Daß er sich aber keinen Utopien hingibt, das geht vor allen Dingen aus dem Festhalten an der !Drmastie hervor. Er scheint doch einige Bedenken gegen die rein republikanische Regierungsform mit all ihren Anhängseln von Parteiklüngel, Parlamentsmisere und korrupter Presse zu haben. Je länger die Unruhen in China fortbestehen, um so größer ist die Gefahr, daß die nächsten Nachbarn des Reiches der Mitte, der Verwirklichung alter egoistischer Pläne und Wünsche näher treten. Das Vorgehen Rußlands in Tibet und in der Mongolei, Japans unverhüllte Absichten auf einen Teil der Mandschurei, die Unbotmäßigkeit einiger zentralasiatischer Fürsten nagen schon recht bedenklich am morschen Bau des chinesischen Reiches. Das offizielle China vermag sich im gegenwärtigen Stadium gegen diese Eingriffe der Fremden nicht zu wehren und so war es ein Akt der Notwehr zum Schutze der eignen Interessen, wenn Deutschland und die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich zusammen¬ schlossen, um einander die territoriale Unantastbarkeit Chinas zu garantieren. Es ist natürlich schwer vorauszusagen, ob die Garantien, die die beiden Staaten einander gaben, stark genug sind, um das beabsichtigte Ziel zu erreichen. Aber die Einmütigkeit ist wenigstens geeignet den Eifer derer zu mäßigen, die da glauben nun im Trüben fischen zu können. Für die Entwicklung Chinas selbst in seiner späteren Zukunft, sagen wir für eine Zeit, in der die heutige chinesische Jugend zu Männern herangewachsen ist, bedeutet das Vorgehen Japans und Rußlands ein Moment, das vielleicht geeignet ist, den innern Wiederaufbau des Staates zu beschleunigen. Ein kluger Diktator, möge er nun Republikaner sein oder Monarchist, hat durch die Los¬ reißung chinesischen Gebietes ein Mittel in die Hand bekommen, die Chinesen von Nord und Süd für eine Idee zu einen, ihnen eine gemeinsame Aufgabe zu zeigen. Wir würden sie die nationale Idee nennen. Wie viel Jahre dazu gehören mögen, um diese Entwicklung herbeizuführen, ist wohl schwer zu bestimmen. Aber sie kann auch über Nacht kommen. Jedenfalls sollte der Befreiungskampf Chinas als ein Moment für weitere Verschiebungen auf dem asiatischen Fest¬ lande im Auge behalten werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/362>, abgerufen am 19.10.2024.