Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel liberaler Richtung bei den letzten Wahlen die Sozialdemokmten direkt oder indirekt G. Li, Auswärtige Angelegenheiten Seit an dieser Stelle zum letzten Male über Dinge der auswärtigen Am weitesten vorgeschritten ist die Lage in China. Dort hat die Grenzboten I 1912 ^
Reichsspiegel liberaler Richtung bei den letzten Wahlen die Sozialdemokmten direkt oder indirekt G. Li, Auswärtige Angelegenheiten Seit an dieser Stelle zum letzten Male über Dinge der auswärtigen Am weitesten vorgeschritten ist die Lage in China. Dort hat die Grenzboten I 1912 ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320778"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1534" prev="#ID_1533"> liberaler Richtung bei den letzten Wahlen die Sozialdemokmten direkt oder indirekt<lb/> unterstützt hat, tat es sicher nicht aus Hinneigung zu den Grundsätzen dieser<lb/> Partei, sondern in dem Bewußtsein, dadurch der Nation und dem Lande zu<lb/> nutzen. Es gibt Gelegenheiten und Verhältnisse, in denen es für den Staats¬<lb/> bürger höhere Pflicht werden kann, gegen das Althergebrachte aufzutreten.<lb/> Als der General v. Aork entgegen allen Verträgen im Herbst des verhängnisreichen<lb/> Jahres 1812 bei Tauroggen in Littauer bei aller Ehrerbietung und Hingebung<lb/> für feinen König zu dessen offiziellen Feinden, zu den Russen überging, wagte er<lb/> für das Wohl des Vaterlandes das Leben. Ein Tauroggen der inneren Politik<lb/> mußte für viele gut monarchisch gesinnte Männer der letzte Wahlkampf werden,<lb/> im Hinblick auf das zweifellose Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der<lb/> Nation und den Bestimmungen des geltenden Wahlrechts. Wenn wir den<lb/> Wahlen etwas Gutes verdanken, so liegt das in der Klärung, die sie hier und<lb/> da über die wahre Stimmung im Lande brachten. Die aber wollen wir uns<lb/> doch nicht durch falsche Scham trüben lassen. Ein sichtbarer Erfolg dieser<lb/> Klärung ist die plötzlich erwachte Reformfreudigkeit der Freikonservativen.<lb/> Sache der Regierung wird es sein, die neue Situation klug und kräftig zu<lb/> nutzen, Sache der liberalen Parteien, den Erfolg nicht illusorisch zu machen.</p><lb/> <note type="byline"> G. Li,</note><lb/> </div> <div n="2"> <head> Auswärtige Angelegenheiten</head><lb/> <p xml:id="ID_1535"> Seit an dieser Stelle zum letzten Male über Dinge der auswärtigen<lb/> Politik gehandelt wurde, sind mancherlei Entwicklungen zu dem Stadium heran¬<lb/> gereift, in dem es notwendig ist, sich ihre Bedeutung für die allgemeine Welt¬<lb/> lage zu vergegenwärtigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1536"> Am weitesten vorgeschritten ist die Lage in China. Dort hat die<lb/> republikanische Idee einstweilen insofern gesiegt, als sie die bisherige staatliche<lb/> Ordnung zertrümmern konnte, freilich ohne einstweilen an ihre Stelle eine neue<lb/> zu setzen. Wie immer bei solchen politischen Auseinandersetzungen spielt das<lb/> Mißtrauen zwischen den Führern gewisser Ideen eine sehr viel größere Rolle,<lb/> als es im Interesse der weiteren Entwicklung liegt und hindert sie, die beab-<lb/> sichtigten Besserungen ins Leben einzuführen. Juanschikai. der in kluger und<lb/> tiefer Erkenntnis der Bedürfnisse Chinas eine konstitutionelle Monarchie mit par¬<lb/> lamentarischen Einrichtungen ins Leben rufen wollte, hat sich das Mißtrauen<lb/> sowohl der Dynastie wie der Republikaner zugezogen, und es hat allen Anschein,<lb/> als sollten seine Versuche endgültig scheitern. Juanschikai hatte sehr weise den<lb/> Republikanern in der Form nachgegeben, indem er auf Sunjatsens, des Führers<lb/> der Republikaner, praktische Vorschläge einging, aber er trug auch dein Bedürfnis<lb/> der großen ungebildeten Masse Rechnung und suchte dabei die Dynastie zu ver¬<lb/> söhnen, indem er eine Standeserhöhung des Kaisers von China, nämlich zum<lb/> Mikado, der im Hintergrund eine Art Kontrolle über die Regierung auszuüben<lb/> hätte, vorschlug.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1912 ^</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0361]
Reichsspiegel
liberaler Richtung bei den letzten Wahlen die Sozialdemokmten direkt oder indirekt
unterstützt hat, tat es sicher nicht aus Hinneigung zu den Grundsätzen dieser
Partei, sondern in dem Bewußtsein, dadurch der Nation und dem Lande zu
nutzen. Es gibt Gelegenheiten und Verhältnisse, in denen es für den Staats¬
bürger höhere Pflicht werden kann, gegen das Althergebrachte aufzutreten.
Als der General v. Aork entgegen allen Verträgen im Herbst des verhängnisreichen
Jahres 1812 bei Tauroggen in Littauer bei aller Ehrerbietung und Hingebung
für feinen König zu dessen offiziellen Feinden, zu den Russen überging, wagte er
für das Wohl des Vaterlandes das Leben. Ein Tauroggen der inneren Politik
mußte für viele gut monarchisch gesinnte Männer der letzte Wahlkampf werden,
im Hinblick auf das zweifellose Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der
Nation und den Bestimmungen des geltenden Wahlrechts. Wenn wir den
Wahlen etwas Gutes verdanken, so liegt das in der Klärung, die sie hier und
da über die wahre Stimmung im Lande brachten. Die aber wollen wir uns
doch nicht durch falsche Scham trüben lassen. Ein sichtbarer Erfolg dieser
Klärung ist die plötzlich erwachte Reformfreudigkeit der Freikonservativen.
Sache der Regierung wird es sein, die neue Situation klug und kräftig zu
nutzen, Sache der liberalen Parteien, den Erfolg nicht illusorisch zu machen.
G. Li,
Auswärtige Angelegenheiten
Seit an dieser Stelle zum letzten Male über Dinge der auswärtigen
Politik gehandelt wurde, sind mancherlei Entwicklungen zu dem Stadium heran¬
gereift, in dem es notwendig ist, sich ihre Bedeutung für die allgemeine Welt¬
lage zu vergegenwärtigen.
Am weitesten vorgeschritten ist die Lage in China. Dort hat die
republikanische Idee einstweilen insofern gesiegt, als sie die bisherige staatliche
Ordnung zertrümmern konnte, freilich ohne einstweilen an ihre Stelle eine neue
zu setzen. Wie immer bei solchen politischen Auseinandersetzungen spielt das
Mißtrauen zwischen den Führern gewisser Ideen eine sehr viel größere Rolle,
als es im Interesse der weiteren Entwicklung liegt und hindert sie, die beab-
sichtigten Besserungen ins Leben einzuführen. Juanschikai. der in kluger und
tiefer Erkenntnis der Bedürfnisse Chinas eine konstitutionelle Monarchie mit par¬
lamentarischen Einrichtungen ins Leben rufen wollte, hat sich das Mißtrauen
sowohl der Dynastie wie der Republikaner zugezogen, und es hat allen Anschein,
als sollten seine Versuche endgültig scheitern. Juanschikai hatte sehr weise den
Republikanern in der Form nachgegeben, indem er auf Sunjatsens, des Führers
der Republikaner, praktische Vorschläge einging, aber er trug auch dein Bedürfnis
der großen ungebildeten Masse Rechnung und suchte dabei die Dynastie zu ver¬
söhnen, indem er eine Standeserhöhung des Kaisers von China, nämlich zum
Mikado, der im Hintergrund eine Art Kontrolle über die Regierung auszuüben
hätte, vorschlug.
Grenzboten I 1912 ^
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