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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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lvie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

Ein Kasten Schachsteine liegt ausgestreut. "Komm, wir wollen es ein¬
packen!" -- "Ne, ich habe nicht damit gespielt." -- "Aber wir müssen doch
die Sünden der Mitmenschen wieder gut machen; ich helf dabeiI"

So lernt unsere Jugend mehr Christentum und sozialen Bürgersinn als
ans vielen Reden. Und in solcher Gemeinschaft erleben die Jungen die Freude
reiner Jugend. Durch solche reiche Jugendzeit wird die Stätte unseres Wohnens
uns erst zur Heimat. Und aus der Erinnerung daran wird im Jüngling die
Liebe zur Heimat geboren. Aus der Freude an Jugend und Heimat allein
kann die Vaterlandsliebe erwachsen.

Aus der Gemeinschaft der Jungen soll später eine kleinere Zahl der
Regsten und Tüchtigsten sich noch einmal zusammenschließen zu ernster geistiger
Beschäftigung. Vorträge zu hören und ernst zu besprechen wird nun die Auf¬
gabe. Das ist nur möglich, wo schon in mehrjährigem Zusammenleben eine
sittliche Gemeinschaft gegründet ist. Sonst drängt die Eitelkeit sich vor, und
die Phrase, der Todfeind des Nachdenkens, macht sich behaglich breit. Nein,
hier wird zugehört, nachgedacht. Und wer den Mund auftut, tut's meist erst,
nachdem er ein Halbjahr zugehört hat. Und was nun gesprochen, kommt aus
dem Herzen oder aus der Erfahrung - zwar nicht immer; aber dafür ist der
Freund der Jugend ja noch da, zu klären, zu berichtigen, -- mit jener Geduld,
welche feurige Jugend beanspruchen kann von uns. In solchem gemeinsamen
geistigen Leben wird diesen Jünglingen aufgehen die Herrlichkeit deutschen
Geisteslebens, der Reichtum unseres Volkes an Geist und Gemüt und Erkenntnis,
wunderbar vor allen Nationen. Erst daraus erwächst unserem neuen Geschlecht
der Stolz auf unser Volk, und daraus die Einsicht: Hier gilt es Herrliches
zu verteidigen. Dies zu schützen, stehen Kaiser und Reich da. Der alte Ruf
für König und Vaterland ist vergessen. Ein neuer erhält nun seinen großen
Inhalt: Für Kaiser und Reich I Endlich hebt sich aus dem Kreise der Jünglinge
wieder ein noch engerer Kreis heraus: die jungen Männer, die nach Mllitär-
und Wanderjahren sich wieder zusammenfinden, noch jung im Herzen und doch
merkwürdig ernst und mit Sorgen vertraut. Denn nirgendwo rächt sich Leicht¬
sinn so furchtbar hart wie im Großstadtleben. In diesem kleinen Kreis lebt
ein neugeborenes soziales Pflichtgefühl. Der Wert dienender Liebe ist ihnen
aufgegangen in einer zehnjährigen Gemeinschaft. Sie werden sich bewähren in
ihren neugegründeten Familien und je nach ihrer Kraft auch nach außen. Hier
ist das Salz des neuen gesunden Volkstums.----

Wie muß der Mann sein, der diese Arbeit leisten soll?

Er kann vielerlei gebrauchen. Viel Wissen, vielerlei Kunst, Turnen, Hand¬
werk, Gesang. Was er auch kann, er wird es gebrauchen können. Vor allem
aber muß er frisch sein und ein gesundes frohes Herz haben, und endlich, was
in Deutschland sehr selten ist: Blick für die Naturgeschichte des Volkes. Dann
wird er sehen, wie eine mächtig vorwärtsstrebende Kultur Raubbau treibt mit
der Volkskraft. Unsere Fabriken, Werften und Rhedereien tun völlig so. als


lvie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

Ein Kasten Schachsteine liegt ausgestreut. „Komm, wir wollen es ein¬
packen!" — „Ne, ich habe nicht damit gespielt." — „Aber wir müssen doch
die Sünden der Mitmenschen wieder gut machen; ich helf dabeiI"

So lernt unsere Jugend mehr Christentum und sozialen Bürgersinn als
ans vielen Reden. Und in solcher Gemeinschaft erleben die Jungen die Freude
reiner Jugend. Durch solche reiche Jugendzeit wird die Stätte unseres Wohnens
uns erst zur Heimat. Und aus der Erinnerung daran wird im Jüngling die
Liebe zur Heimat geboren. Aus der Freude an Jugend und Heimat allein
kann die Vaterlandsliebe erwachsen.

Aus der Gemeinschaft der Jungen soll später eine kleinere Zahl der
Regsten und Tüchtigsten sich noch einmal zusammenschließen zu ernster geistiger
Beschäftigung. Vorträge zu hören und ernst zu besprechen wird nun die Auf¬
gabe. Das ist nur möglich, wo schon in mehrjährigem Zusammenleben eine
sittliche Gemeinschaft gegründet ist. Sonst drängt die Eitelkeit sich vor, und
die Phrase, der Todfeind des Nachdenkens, macht sich behaglich breit. Nein,
hier wird zugehört, nachgedacht. Und wer den Mund auftut, tut's meist erst,
nachdem er ein Halbjahr zugehört hat. Und was nun gesprochen, kommt aus
dem Herzen oder aus der Erfahrung - zwar nicht immer; aber dafür ist der
Freund der Jugend ja noch da, zu klären, zu berichtigen, — mit jener Geduld,
welche feurige Jugend beanspruchen kann von uns. In solchem gemeinsamen
geistigen Leben wird diesen Jünglingen aufgehen die Herrlichkeit deutschen
Geisteslebens, der Reichtum unseres Volkes an Geist und Gemüt und Erkenntnis,
wunderbar vor allen Nationen. Erst daraus erwächst unserem neuen Geschlecht
der Stolz auf unser Volk, und daraus die Einsicht: Hier gilt es Herrliches
zu verteidigen. Dies zu schützen, stehen Kaiser und Reich da. Der alte Ruf
für König und Vaterland ist vergessen. Ein neuer erhält nun seinen großen
Inhalt: Für Kaiser und Reich I Endlich hebt sich aus dem Kreise der Jünglinge
wieder ein noch engerer Kreis heraus: die jungen Männer, die nach Mllitär-
und Wanderjahren sich wieder zusammenfinden, noch jung im Herzen und doch
merkwürdig ernst und mit Sorgen vertraut. Denn nirgendwo rächt sich Leicht¬
sinn so furchtbar hart wie im Großstadtleben. In diesem kleinen Kreis lebt
ein neugeborenes soziales Pflichtgefühl. Der Wert dienender Liebe ist ihnen
aufgegangen in einer zehnjährigen Gemeinschaft. Sie werden sich bewähren in
ihren neugegründeten Familien und je nach ihrer Kraft auch nach außen. Hier
ist das Salz des neuen gesunden Volkstums.----

Wie muß der Mann sein, der diese Arbeit leisten soll?

Er kann vielerlei gebrauchen. Viel Wissen, vielerlei Kunst, Turnen, Hand¬
werk, Gesang. Was er auch kann, er wird es gebrauchen können. Vor allem
aber muß er frisch sein und ein gesundes frohes Herz haben, und endlich, was
in Deutschland sehr selten ist: Blick für die Naturgeschichte des Volkes. Dann
wird er sehen, wie eine mächtig vorwärtsstrebende Kultur Raubbau treibt mit
der Volkskraft. Unsere Fabriken, Werften und Rhedereien tun völlig so. als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/36>, abgerufen am 19.10.2024.