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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer van Doorn

Das Sternenlicht fiel spitz in die Häuserschlünde hinab.

An einem alten, finsteren Hause, das ihm der Portier genau bezeichnet,
hatte er ein bronzenes Furienhaupt, darum als Ring eine Bronzeschlange lag,
lange angestaunt.

Dann hörte man in der Finsternis der Gasse mehrere dumpfe Schläge.

Wie sich das schwere Tor lautlos im tiefen Dunkel auftat, fiel ein kleiner
Lichtschein heraus, der Hieronymus' Schatten an die kahle, fensterlose Mauer
von gegenüber warf.

Der Blick eines kalten Frauenauges verständigte ihn ohne Worte, so daß
er sogleich durch den langen Gang vorwärtsging, der unheimlich und gewölbt schien.

Hieronymus' Herz schlug so hart gegen seine Brust, daß er eine Weile
wähnte, es wäre ein fernes Hämmern.

Dann trat er in spiegelnde, erleuchtete Räume ein. schimmernde Frauen
in selbigem Glänze lachten ihm allenthalben entgegen. Die meisten schienen
hell und blond wie Hartje. Eine war von zitronengelber Hautfarbe, hatte
dunkles Haar und war wie eine Katze schlank und geschmeidig in ihren
Bewegungen. Sie tanzte im Kreise, indem sie dazu das Tamburin schlug.
Die anderen Frauen saßen in Seiden und Spitzen um die Tanzende, schlugen
in die Hände und sangen dazu die Endzeile. Der elegante Herr Hieronymus
van Doorn trat lachend in den Kreis, den Seidenzylinder in den Nacken
geschoben, schlug auch in die Hände und begleitete bald den Tumult wie die
anderen vornehmen Lebemänner, die herumstanden.

Scham war nicht im Raume. Man konnte sich hier dreist in die Augen
sehen und an jedes Leibe prüfend herabblicken.

Eine junge, anmutige Dirne mit blauen Augen, die zwei dicke, gelbe Zöpfe
um ihren Kopf geschlungen trug, hatte Hieronymus einen Schlag auf den
Rücken gegeben, ihn lustig um sich selber gedreht und hatte ihn dann in ihre
fleischigen Arme aufgehoben und in feierlich drolligen Gange auf das Sofa
getragen.

Man trank. Man kreischte Lieder zum Weine.

Auch Hieronymus schrie.

Weil Hieronymus mit Geld prahlte und nicht zurückhielt, hatten sich auch
andere Dirnen an seinen Tisch hinzugefunden. Hieronymus und Hartje, denn
so hieß zufällig die blonde Person, die ihn aufs Sofa getragen, hockten in¬
einander gewunden. Eine der Damen tanzte unterdessen auf dem Tische über
Gläser und Flaschen hinweg. Allen erschien Hieronymus wie ein besonders
vornehmer Herr, der das Tollsein verstünde.

Aus den Weingeistern stieg das Wirrsal, daß man sich jetzt neu umeinander
schwang. Und daß der junge Priester in verzehrter Sucht vollends Hartje
umfaßt und sie jäh und ungebärdig in ihre Kammer gerissen hatte.




Lin Später Derer van Doorn

Das Sternenlicht fiel spitz in die Häuserschlünde hinab.

An einem alten, finsteren Hause, das ihm der Portier genau bezeichnet,
hatte er ein bronzenes Furienhaupt, darum als Ring eine Bronzeschlange lag,
lange angestaunt.

Dann hörte man in der Finsternis der Gasse mehrere dumpfe Schläge.

Wie sich das schwere Tor lautlos im tiefen Dunkel auftat, fiel ein kleiner
Lichtschein heraus, der Hieronymus' Schatten an die kahle, fensterlose Mauer
von gegenüber warf.

Der Blick eines kalten Frauenauges verständigte ihn ohne Worte, so daß
er sogleich durch den langen Gang vorwärtsging, der unheimlich und gewölbt schien.

Hieronymus' Herz schlug so hart gegen seine Brust, daß er eine Weile
wähnte, es wäre ein fernes Hämmern.

Dann trat er in spiegelnde, erleuchtete Räume ein. schimmernde Frauen
in selbigem Glänze lachten ihm allenthalben entgegen. Die meisten schienen
hell und blond wie Hartje. Eine war von zitronengelber Hautfarbe, hatte
dunkles Haar und war wie eine Katze schlank und geschmeidig in ihren
Bewegungen. Sie tanzte im Kreise, indem sie dazu das Tamburin schlug.
Die anderen Frauen saßen in Seiden und Spitzen um die Tanzende, schlugen
in die Hände und sangen dazu die Endzeile. Der elegante Herr Hieronymus
van Doorn trat lachend in den Kreis, den Seidenzylinder in den Nacken
geschoben, schlug auch in die Hände und begleitete bald den Tumult wie die
anderen vornehmen Lebemänner, die herumstanden.

Scham war nicht im Raume. Man konnte sich hier dreist in die Augen
sehen und an jedes Leibe prüfend herabblicken.

Eine junge, anmutige Dirne mit blauen Augen, die zwei dicke, gelbe Zöpfe
um ihren Kopf geschlungen trug, hatte Hieronymus einen Schlag auf den
Rücken gegeben, ihn lustig um sich selber gedreht und hatte ihn dann in ihre
fleischigen Arme aufgehoben und in feierlich drolligen Gange auf das Sofa
getragen.

Man trank. Man kreischte Lieder zum Weine.

Auch Hieronymus schrie.

Weil Hieronymus mit Geld prahlte und nicht zurückhielt, hatten sich auch
andere Dirnen an seinen Tisch hinzugefunden. Hieronymus und Hartje, denn
so hieß zufällig die blonde Person, die ihn aufs Sofa getragen, hockten in¬
einander gewunden. Eine der Damen tanzte unterdessen auf dem Tische über
Gläser und Flaschen hinweg. Allen erschien Hieronymus wie ein besonders
vornehmer Herr, der das Tollsein verstünde.

Aus den Weingeistern stieg das Wirrsal, daß man sich jetzt neu umeinander
schwang. Und daß der junge Priester in verzehrter Sucht vollends Hartje
umfaßt und sie jäh und ungebärdig in ihre Kammer gerissen hatte.




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[0343] Lin Später Derer van Doorn Das Sternenlicht fiel spitz in die Häuserschlünde hinab. An einem alten, finsteren Hause, das ihm der Portier genau bezeichnet, hatte er ein bronzenes Furienhaupt, darum als Ring eine Bronzeschlange lag, lange angestaunt. Dann hörte man in der Finsternis der Gasse mehrere dumpfe Schläge. Wie sich das schwere Tor lautlos im tiefen Dunkel auftat, fiel ein kleiner Lichtschein heraus, der Hieronymus' Schatten an die kahle, fensterlose Mauer von gegenüber warf. Der Blick eines kalten Frauenauges verständigte ihn ohne Worte, so daß er sogleich durch den langen Gang vorwärtsging, der unheimlich und gewölbt schien. Hieronymus' Herz schlug so hart gegen seine Brust, daß er eine Weile wähnte, es wäre ein fernes Hämmern. Dann trat er in spiegelnde, erleuchtete Räume ein. schimmernde Frauen in selbigem Glänze lachten ihm allenthalben entgegen. Die meisten schienen hell und blond wie Hartje. Eine war von zitronengelber Hautfarbe, hatte dunkles Haar und war wie eine Katze schlank und geschmeidig in ihren Bewegungen. Sie tanzte im Kreise, indem sie dazu das Tamburin schlug. Die anderen Frauen saßen in Seiden und Spitzen um die Tanzende, schlugen in die Hände und sangen dazu die Endzeile. Der elegante Herr Hieronymus van Doorn trat lachend in den Kreis, den Seidenzylinder in den Nacken geschoben, schlug auch in die Hände und begleitete bald den Tumult wie die anderen vornehmen Lebemänner, die herumstanden. Scham war nicht im Raume. Man konnte sich hier dreist in die Augen sehen und an jedes Leibe prüfend herabblicken. Eine junge, anmutige Dirne mit blauen Augen, die zwei dicke, gelbe Zöpfe um ihren Kopf geschlungen trug, hatte Hieronymus einen Schlag auf den Rücken gegeben, ihn lustig um sich selber gedreht und hatte ihn dann in ihre fleischigen Arme aufgehoben und in feierlich drolligen Gange auf das Sofa getragen. Man trank. Man kreischte Lieder zum Weine. Auch Hieronymus schrie. Weil Hieronymus mit Geld prahlte und nicht zurückhielt, hatten sich auch andere Dirnen an seinen Tisch hinzugefunden. Hieronymus und Hartje, denn so hieß zufällig die blonde Person, die ihn aufs Sofa getragen, hockten in¬ einander gewunden. Eine der Damen tanzte unterdessen auf dem Tische über Gläser und Flaschen hinweg. Allen erschien Hieronymus wie ein besonders vornehmer Herr, der das Tollsein verstünde. Aus den Weingeistern stieg das Wirrsal, daß man sich jetzt neu umeinander schwang. Und daß der junge Priester in verzehrter Sucht vollends Hartje umfaßt und sie jäh und ungebärdig in ihre Kammer gerissen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/343>, abgerufen am 27.09.2024.