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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer van Doorn

Aber wie er aus seiner lüsternen Vertiefung erwachte, war er scheu und
wie ertappt sofort von den Juwelen hinausgetreten.

Und doch kam er auf einem anderen Wege bald dahin zurück.

Seine Augen begannen in lässiger Gaukelei neu an der Berlocke herum¬
zusehen und herumzudüfteln.

Es war eine feine Glasglocke über das Juwel gestülpt.

Auch an der Glasglocke versuchten sich seine Augen eine Weile zu schaffen
zu machen, sie in Gedanken einen ganz unsichtbaren Spalt einmal emporzuheben.

So hatte der junge Priester mehrere Minuten sinnlos vertieft davor¬
gestanden.

Aber als ihm die Verkäuferin andere Kleinodien sehr verbindlich zur Ansicht
hinhielt, hatte Hieronymus seinen bohrenden Blick auch auf die Spangen und
Agraffen geheftet und sie und die Verkäuferin belächelt.

Und doch konnten sich seine inneren Blicke, auch wie er jetzt unter den Möbeln
stand, von der blinkenden Berlocke heimlich nicht mehr lösen. Sie versuchten
die Berlocke richtig aus dem Glasgefängnis herauszueskamotieren.

Hieronymus sagte das Wort "Glasgefängnis" pfiffig vor sich hin, so daß
in seinem beschäftigten Gesicht von dem Augenblicke an der sinnlos befriedigte
Ausdruck nicht mehr zu verschwinden schien.

Nun war Hieronymus schon zum dritten Male zu den Goldschmiedestücken
zurückgekehrt.

Jetzt kam der Augenblick, der seine Pulse jach antrieb.

Seine Hände Kämpften sich. Seine Blicke wurden wie Stein.

Und weil keine Verkäuferin mehr das huderte Auge auf den jungen
bleichen, zernagten Mann im Priesterrock geheftet hielt, weil gerade ein
Kreis vornehmer Herren und Damen die Verkäuferin umringte, trug der Priester
den köstlichen Raub, den seine Augen sich in ihrer tiefen Lüsternheit ausgesonnen,
längst mit weihevollen, heiligen Gange die Treppen des Kaufhauses nieder.

Jetzt stand er schon vor dem Wirt seines Hotels.

Er hatte eine ganz freudige Miene. Er sah sehr stolz aus.

Er zögerte eine Weile, und sagte dann mit priesterlicher Herablassung, daß
er sich nicht genug mit Gelde versehen. Dann sah er das kostbare Kleinod
an, das er in einem leeren Hausflur eilig an seiner Uhr befestigt hatte und
bot es zum Pfande.

Der Wirt war sehr gefällig und half seinem priesterlichen Gaste mit reich¬
lichem Gelde aus der Verlegenheit.

So hatte Hieronymus van Doorn bald den Priesterrock in einen vor¬
nehmen Herrenrock verwandelt. Am Nachmittag saß er unter den Gästen des
Cass Jmperiale auf der Straße zum Opernhaus.

Er sah aus wie ein Edelmann.

Den Abend hatte er zuerst im Opernhause ein großes Ballett angesehen.

Nun irrte er durch finstere Straßen, scheu wie ein vornehmer Schatten.


Lin Später Derer van Doorn

Aber wie er aus seiner lüsternen Vertiefung erwachte, war er scheu und
wie ertappt sofort von den Juwelen hinausgetreten.

Und doch kam er auf einem anderen Wege bald dahin zurück.

Seine Augen begannen in lässiger Gaukelei neu an der Berlocke herum¬
zusehen und herumzudüfteln.

Es war eine feine Glasglocke über das Juwel gestülpt.

Auch an der Glasglocke versuchten sich seine Augen eine Weile zu schaffen
zu machen, sie in Gedanken einen ganz unsichtbaren Spalt einmal emporzuheben.

So hatte der junge Priester mehrere Minuten sinnlos vertieft davor¬
gestanden.

Aber als ihm die Verkäuferin andere Kleinodien sehr verbindlich zur Ansicht
hinhielt, hatte Hieronymus seinen bohrenden Blick auch auf die Spangen und
Agraffen geheftet und sie und die Verkäuferin belächelt.

Und doch konnten sich seine inneren Blicke, auch wie er jetzt unter den Möbeln
stand, von der blinkenden Berlocke heimlich nicht mehr lösen. Sie versuchten
die Berlocke richtig aus dem Glasgefängnis herauszueskamotieren.

Hieronymus sagte das Wort „Glasgefängnis" pfiffig vor sich hin, so daß
in seinem beschäftigten Gesicht von dem Augenblicke an der sinnlos befriedigte
Ausdruck nicht mehr zu verschwinden schien.

Nun war Hieronymus schon zum dritten Male zu den Goldschmiedestücken
zurückgekehrt.

Jetzt kam der Augenblick, der seine Pulse jach antrieb.

Seine Hände Kämpften sich. Seine Blicke wurden wie Stein.

Und weil keine Verkäuferin mehr das huderte Auge auf den jungen
bleichen, zernagten Mann im Priesterrock geheftet hielt, weil gerade ein
Kreis vornehmer Herren und Damen die Verkäuferin umringte, trug der Priester
den köstlichen Raub, den seine Augen sich in ihrer tiefen Lüsternheit ausgesonnen,
längst mit weihevollen, heiligen Gange die Treppen des Kaufhauses nieder.

Jetzt stand er schon vor dem Wirt seines Hotels.

Er hatte eine ganz freudige Miene. Er sah sehr stolz aus.

Er zögerte eine Weile, und sagte dann mit priesterlicher Herablassung, daß
er sich nicht genug mit Gelde versehen. Dann sah er das kostbare Kleinod
an, das er in einem leeren Hausflur eilig an seiner Uhr befestigt hatte und
bot es zum Pfande.

Der Wirt war sehr gefällig und half seinem priesterlichen Gaste mit reich¬
lichem Gelde aus der Verlegenheit.

So hatte Hieronymus van Doorn bald den Priesterrock in einen vor¬
nehmen Herrenrock verwandelt. Am Nachmittag saß er unter den Gästen des
Cass Jmperiale auf der Straße zum Opernhaus.

Er sah aus wie ein Edelmann.

Den Abend hatte er zuerst im Opernhause ein großes Ballett angesehen.

Nun irrte er durch finstere Straßen, scheu wie ein vornehmer Schatten.


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[0342] Lin Später Derer van Doorn Aber wie er aus seiner lüsternen Vertiefung erwachte, war er scheu und wie ertappt sofort von den Juwelen hinausgetreten. Und doch kam er auf einem anderen Wege bald dahin zurück. Seine Augen begannen in lässiger Gaukelei neu an der Berlocke herum¬ zusehen und herumzudüfteln. Es war eine feine Glasglocke über das Juwel gestülpt. Auch an der Glasglocke versuchten sich seine Augen eine Weile zu schaffen zu machen, sie in Gedanken einen ganz unsichtbaren Spalt einmal emporzuheben. So hatte der junge Priester mehrere Minuten sinnlos vertieft davor¬ gestanden. Aber als ihm die Verkäuferin andere Kleinodien sehr verbindlich zur Ansicht hinhielt, hatte Hieronymus seinen bohrenden Blick auch auf die Spangen und Agraffen geheftet und sie und die Verkäuferin belächelt. Und doch konnten sich seine inneren Blicke, auch wie er jetzt unter den Möbeln stand, von der blinkenden Berlocke heimlich nicht mehr lösen. Sie versuchten die Berlocke richtig aus dem Glasgefängnis herauszueskamotieren. Hieronymus sagte das Wort „Glasgefängnis" pfiffig vor sich hin, so daß in seinem beschäftigten Gesicht von dem Augenblicke an der sinnlos befriedigte Ausdruck nicht mehr zu verschwinden schien. Nun war Hieronymus schon zum dritten Male zu den Goldschmiedestücken zurückgekehrt. Jetzt kam der Augenblick, der seine Pulse jach antrieb. Seine Hände Kämpften sich. Seine Blicke wurden wie Stein. Und weil keine Verkäuferin mehr das huderte Auge auf den jungen bleichen, zernagten Mann im Priesterrock geheftet hielt, weil gerade ein Kreis vornehmer Herren und Damen die Verkäuferin umringte, trug der Priester den köstlichen Raub, den seine Augen sich in ihrer tiefen Lüsternheit ausgesonnen, längst mit weihevollen, heiligen Gange die Treppen des Kaufhauses nieder. Jetzt stand er schon vor dem Wirt seines Hotels. Er hatte eine ganz freudige Miene. Er sah sehr stolz aus. Er zögerte eine Weile, und sagte dann mit priesterlicher Herablassung, daß er sich nicht genug mit Gelde versehen. Dann sah er das kostbare Kleinod an, das er in einem leeren Hausflur eilig an seiner Uhr befestigt hatte und bot es zum Pfande. Der Wirt war sehr gefällig und half seinem priesterlichen Gaste mit reich¬ lichem Gelde aus der Verlegenheit. So hatte Hieronymus van Doorn bald den Priesterrock in einen vor¬ nehmen Herrenrock verwandelt. Am Nachmittag saß er unter den Gästen des Cass Jmperiale auf der Straße zum Opernhaus. Er sah aus wie ein Edelmann. Den Abend hatte er zuerst im Opernhause ein großes Ballett angesehen. Nun irrte er durch finstere Straßen, scheu wie ein vornehmer Schatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/342>, abgerufen am 27.09.2024.