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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Spielhagcn

heißt also Geschöpfe, in denen sich Gut und Böse seltsam mischt. Partei ergriffen
hat er niemals den Menschen, immer nur der Sache gegenüber. Und der Sache
gegenüber haben allergrößte Dichter zu allen Zeiten Farbe bekannt, von dem
aristokratischen Homer an bis zu den demokratischen Meistern der Literaturepoche,
in der Spielhagens wohlerworbener Ruhm begraben wurde -- begraben wurde,
ohne bisher seine Auferstehung zu feiern. Darüber können die Ehrungen, die
man dem Dichter am 24. Februar 1899 und 1909 zum siebzigsten und achtzigsten
Geburtstag und schließlich an seiner Bahre erwies, niemanden täuschen. Diese
Lobeshymnen klangen zu krampfhaft und manche auch zu mitleidig, und um die
wenigen Stunden des Rühmens lagerten sich zu viele Jahre des Schweigens, das
den einst so Gefeierten noch ganz anders bedrücken mußte als die lauten Angriffe,
denen er zum Opfer fiel.

Friedrich Spielhagen hat allzu spät Ruhe gefunden. Sein fast versunkenes
Werk, das nun in wenigen Strichen zusammenfassend dargestellt werden soll, wird
irgendwann einmal zu neuem Leben gelangen. Dessen darf man so sicher sein,
weil es zwei Seiten gibt, von denen die Auferweckung kommen kann: wenn die
Literarhistoriker nicht endlich das unvergänglich Dichterische unter der veraltenden
Hülle entdecken, so müssen die künftigen Geschichtsschreiber und Kulturhistoriker,
die die Stimmungen des deutschen Bürgertums in den vierziger bis siebziger
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts kennen lernen wollen, unbedingt zu Spiel¬
hagens Romanen greifen.

O Hektor, du mein Held, du kühne Lanze!
Du hoher Mann mit adlig stillem Mut!
Es sonnt Achill sich in des Ruhmes Glänze,
Und seine Sache scheint den Göttern gut, --
Ich Halt's mit dir! mit dir und allen Braven,
Die unterliegen in dem Kampf fürs Recht;
Mit euch, mein Herz, ihr armen Nömersklaven;
Ich bin, wie ihr, aus Spartakus' Geschlecht!

Diese Verse aus einer Jugendträumerei bezeichnen aufs deutlichste den frei¬
heitlichen Standpunkt, den Spielhagen in seinen großen zeitgeschichtlichen Romanen
einnahm. Daß er aber keine Schachfiguren zu tendenziösem Spiel schaffen mochte,
vielmehr eine große Hinneigung zu den komplizierten, widerspruchsvollen Charakteren
bewies, das kündigte schon der Titel seines ersten Romanes deutlich an: "Proble¬
matische Naturen". Und was der Dichter mit dieser Überschrift auf psychologischem
Gebiet verspricht, das hält er reichlich. Nicht nur in der Gestalt des Helden, des
genialen, aber unstät schwankenden, unausgefüllten, unausgeglichenen Oswald Stein,
der in der Liebe vergeblich Genüge sucht und, ohne den Halt der Treue von Bund
zu Bund schreitend, in zerrüttende Schuld gedrängt wird, die er dann, mehr
instinktiv als mit Überlegung handelnd, am 18. März 1848 auf den Berliner
Barrikaden mit seinem Blute führt. Auch Oswalds verbrecherisch leichtfertiger
Freund Timm, auch sein dem Wahnsinn verfallener Lehrer Berger, auch der
unbefriedigte Baron Oldenburg, dessen große Tatkraft in der dumpfen Zeit brach-
liegt, sind wahrhaft problematische Naturen. Einen politischen Roman kann man


Friedrich Spielhagcn

heißt also Geschöpfe, in denen sich Gut und Böse seltsam mischt. Partei ergriffen
hat er niemals den Menschen, immer nur der Sache gegenüber. Und der Sache
gegenüber haben allergrößte Dichter zu allen Zeiten Farbe bekannt, von dem
aristokratischen Homer an bis zu den demokratischen Meistern der Literaturepoche,
in der Spielhagens wohlerworbener Ruhm begraben wurde — begraben wurde,
ohne bisher seine Auferstehung zu feiern. Darüber können die Ehrungen, die
man dem Dichter am 24. Februar 1899 und 1909 zum siebzigsten und achtzigsten
Geburtstag und schließlich an seiner Bahre erwies, niemanden täuschen. Diese
Lobeshymnen klangen zu krampfhaft und manche auch zu mitleidig, und um die
wenigen Stunden des Rühmens lagerten sich zu viele Jahre des Schweigens, das
den einst so Gefeierten noch ganz anders bedrücken mußte als die lauten Angriffe,
denen er zum Opfer fiel.

Friedrich Spielhagen hat allzu spät Ruhe gefunden. Sein fast versunkenes
Werk, das nun in wenigen Strichen zusammenfassend dargestellt werden soll, wird
irgendwann einmal zu neuem Leben gelangen. Dessen darf man so sicher sein,
weil es zwei Seiten gibt, von denen die Auferweckung kommen kann: wenn die
Literarhistoriker nicht endlich das unvergänglich Dichterische unter der veraltenden
Hülle entdecken, so müssen die künftigen Geschichtsschreiber und Kulturhistoriker,
die die Stimmungen des deutschen Bürgertums in den vierziger bis siebziger
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts kennen lernen wollen, unbedingt zu Spiel¬
hagens Romanen greifen.

O Hektor, du mein Held, du kühne Lanze!
Du hoher Mann mit adlig stillem Mut!
Es sonnt Achill sich in des Ruhmes Glänze,
Und seine Sache scheint den Göttern gut, —
Ich Halt's mit dir! mit dir und allen Braven,
Die unterliegen in dem Kampf fürs Recht;
Mit euch, mein Herz, ihr armen Nömersklaven;
Ich bin, wie ihr, aus Spartakus' Geschlecht!

Diese Verse aus einer Jugendträumerei bezeichnen aufs deutlichste den frei¬
heitlichen Standpunkt, den Spielhagen in seinen großen zeitgeschichtlichen Romanen
einnahm. Daß er aber keine Schachfiguren zu tendenziösem Spiel schaffen mochte,
vielmehr eine große Hinneigung zu den komplizierten, widerspruchsvollen Charakteren
bewies, das kündigte schon der Titel seines ersten Romanes deutlich an: „Proble¬
matische Naturen". Und was der Dichter mit dieser Überschrift auf psychologischem
Gebiet verspricht, das hält er reichlich. Nicht nur in der Gestalt des Helden, des
genialen, aber unstät schwankenden, unausgefüllten, unausgeglichenen Oswald Stein,
der in der Liebe vergeblich Genüge sucht und, ohne den Halt der Treue von Bund
zu Bund schreitend, in zerrüttende Schuld gedrängt wird, die er dann, mehr
instinktiv als mit Überlegung handelnd, am 18. März 1848 auf den Berliner
Barrikaden mit seinem Blute führt. Auch Oswalds verbrecherisch leichtfertiger
Freund Timm, auch sein dem Wahnsinn verfallener Lehrer Berger, auch der
unbefriedigte Baron Oldenburg, dessen große Tatkraft in der dumpfen Zeit brach-
liegt, sind wahrhaft problematische Naturen. Einen politischen Roman kann man


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[0252] Friedrich Spielhagcn heißt also Geschöpfe, in denen sich Gut und Böse seltsam mischt. Partei ergriffen hat er niemals den Menschen, immer nur der Sache gegenüber. Und der Sache gegenüber haben allergrößte Dichter zu allen Zeiten Farbe bekannt, von dem aristokratischen Homer an bis zu den demokratischen Meistern der Literaturepoche, in der Spielhagens wohlerworbener Ruhm begraben wurde — begraben wurde, ohne bisher seine Auferstehung zu feiern. Darüber können die Ehrungen, die man dem Dichter am 24. Februar 1899 und 1909 zum siebzigsten und achtzigsten Geburtstag und schließlich an seiner Bahre erwies, niemanden täuschen. Diese Lobeshymnen klangen zu krampfhaft und manche auch zu mitleidig, und um die wenigen Stunden des Rühmens lagerten sich zu viele Jahre des Schweigens, das den einst so Gefeierten noch ganz anders bedrücken mußte als die lauten Angriffe, denen er zum Opfer fiel. Friedrich Spielhagen hat allzu spät Ruhe gefunden. Sein fast versunkenes Werk, das nun in wenigen Strichen zusammenfassend dargestellt werden soll, wird irgendwann einmal zu neuem Leben gelangen. Dessen darf man so sicher sein, weil es zwei Seiten gibt, von denen die Auferweckung kommen kann: wenn die Literarhistoriker nicht endlich das unvergänglich Dichterische unter der veraltenden Hülle entdecken, so müssen die künftigen Geschichtsschreiber und Kulturhistoriker, die die Stimmungen des deutschen Bürgertums in den vierziger bis siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts kennen lernen wollen, unbedingt zu Spiel¬ hagens Romanen greifen. O Hektor, du mein Held, du kühne Lanze! Du hoher Mann mit adlig stillem Mut! Es sonnt Achill sich in des Ruhmes Glänze, Und seine Sache scheint den Göttern gut, — Ich Halt's mit dir! mit dir und allen Braven, Die unterliegen in dem Kampf fürs Recht; Mit euch, mein Herz, ihr armen Nömersklaven; Ich bin, wie ihr, aus Spartakus' Geschlecht! Diese Verse aus einer Jugendträumerei bezeichnen aufs deutlichste den frei¬ heitlichen Standpunkt, den Spielhagen in seinen großen zeitgeschichtlichen Romanen einnahm. Daß er aber keine Schachfiguren zu tendenziösem Spiel schaffen mochte, vielmehr eine große Hinneigung zu den komplizierten, widerspruchsvollen Charakteren bewies, das kündigte schon der Titel seines ersten Romanes deutlich an: „Proble¬ matische Naturen". Und was der Dichter mit dieser Überschrift auf psychologischem Gebiet verspricht, das hält er reichlich. Nicht nur in der Gestalt des Helden, des genialen, aber unstät schwankenden, unausgefüllten, unausgeglichenen Oswald Stein, der in der Liebe vergeblich Genüge sucht und, ohne den Halt der Treue von Bund zu Bund schreitend, in zerrüttende Schuld gedrängt wird, die er dann, mehr instinktiv als mit Überlegung handelnd, am 18. März 1848 auf den Berliner Barrikaden mit seinem Blute führt. Auch Oswalds verbrecherisch leichtfertiger Freund Timm, auch sein dem Wahnsinn verfallener Lehrer Berger, auch der unbefriedigte Baron Oldenburg, dessen große Tatkraft in der dumpfen Zeit brach- liegt, sind wahrhaft problematische Naturen. Einen politischen Roman kann man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/252>, abgerufen am 27.09.2024.