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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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William James'und das deutsche Geistesleben

Chemie galten "Ritterart" und "Ahnungsvermögen", bevor sie im eigentlichen
Sinne Wissenschaft wurden; und die Geschichtswissenschaft war im Anfange
Dichtung. Aber heute sind sie alle aus den Kinderschuhen des Rittertums und
der Dichtung heraus. Außer der Philosophie steckte bis vor kurzem nur noch
die Psychologie in diesen Anfängen. Sie war höchst anziehend auf diese Weise,
ein glänzendes Kunstwerk, glänzender als in James eigener Darstellung. Aber
von der Kunst im Kunstwerke abgesehen, rein wissenschaftlich, stand sie, und
steht felbst bei James noch, auf schwachen Füßen. Der Stoff war unsicher,
war von der zufälligen Seelenlage des Psychologen abhängig, und also voll
von Fehlerquellen. Damit ist nun ein für allemal gebrochen. Wie Physik und
Chemie soll auch die Psychologie aus dem Stande der Kunst und Dichtung in
den Stand der Wissenschaft erhoben werden. Das bewirkt und gegenwärtig
auf allen Bahnen in allen Ländern siegreich durchgeführt zu haben, ist in erster
Linie das Verdienst deutscher Wissenschaft.

In der Beurteilung der deutschen Psychologie irrte sich James. Aber James
war nicht nur Psychologe. Er war auch Philosoph; und wie als Psychologe
so stellte er sich als Philosoph dem deutschen Wesen der Philosophie mehr tat¬
kräftig als liebenswürdig gegenüber.

Wenn William James für die englische Erfahrungs-Philosophie eintrat in
offenen! Gegensatz zur deutschen Weltanschauung, so hieß das nichts anderes,
als daß er eintrat für einen gewissen englischen Menschentypus in: offenen
Gegensatz zum deutschen Menschentypus.

In seiner unliebenswürdigen Vergleichung des deutschen und des englischen
Universitätslebens, hebt James hervor, daß es die Aufgabe der englischen
Erziehung sei: einen bestimmten Menschentypus herzustellen, "eine Summe",
wie er sich ausdrückt, "vorausbestimmter Reaktionen allen möglichen Lebenslagen
gegenüber, den gentleman." "Oxford macht es sich zur Aufgabe, einen eng¬
lischen gentleman zu lehren, wie sich ein englischer gentleman benimmt." William
James hat mit dieser Kennzeichnung in der Tat das unterscheidende Merkmal
der englischen Universität gegenüber der deutschen hervorgehoben. Die deutsche
Universität macht es sich nicht zur Aufgabe, einen deutschen Herrn zu lehren,
wie sich ein deutscher Herr zu benehmen hat. Nach unserem Herkommen ist das
ausschließlich Sache der Kinderstube. Dagegen macht es sich die deutsche Universität
in hervorragendem Maße zur Aufgabe, einen deutschen Studenten zur Persön¬
lichkeit zu erziehen -- eine Tatsache, die William James natürlich nicht berück¬
sichtigt, die aber nichts desto weniger wichtig und wahr ist. England ist das
Land der gentlemen; Deutschland ist das Land der Persönlichkeiten. Gentleman
und Persönlichkeit aber stehen sich im Grunde feindlich gegenüber. Nicht als
ob ein gentleman nicht auch etwas Persönliches an sich haben, und eine Per¬
sönlichkeit kein gentleman sein könne. Aber das Ideal des gentleman ist unver¬
träglich mit dem Ideal der Persönlichkeit und das Ideal der Persönlichkeit
unverträglich mit dem Ideal des gentleman.


William James'und das deutsche Geistesleben

Chemie galten „Ritterart" und „Ahnungsvermögen", bevor sie im eigentlichen
Sinne Wissenschaft wurden; und die Geschichtswissenschaft war im Anfange
Dichtung. Aber heute sind sie alle aus den Kinderschuhen des Rittertums und
der Dichtung heraus. Außer der Philosophie steckte bis vor kurzem nur noch
die Psychologie in diesen Anfängen. Sie war höchst anziehend auf diese Weise,
ein glänzendes Kunstwerk, glänzender als in James eigener Darstellung. Aber
von der Kunst im Kunstwerke abgesehen, rein wissenschaftlich, stand sie, und
steht felbst bei James noch, auf schwachen Füßen. Der Stoff war unsicher,
war von der zufälligen Seelenlage des Psychologen abhängig, und also voll
von Fehlerquellen. Damit ist nun ein für allemal gebrochen. Wie Physik und
Chemie soll auch die Psychologie aus dem Stande der Kunst und Dichtung in
den Stand der Wissenschaft erhoben werden. Das bewirkt und gegenwärtig
auf allen Bahnen in allen Ländern siegreich durchgeführt zu haben, ist in erster
Linie das Verdienst deutscher Wissenschaft.

In der Beurteilung der deutschen Psychologie irrte sich James. Aber James
war nicht nur Psychologe. Er war auch Philosoph; und wie als Psychologe
so stellte er sich als Philosoph dem deutschen Wesen der Philosophie mehr tat¬
kräftig als liebenswürdig gegenüber.

Wenn William James für die englische Erfahrungs-Philosophie eintrat in
offenen! Gegensatz zur deutschen Weltanschauung, so hieß das nichts anderes,
als daß er eintrat für einen gewissen englischen Menschentypus in: offenen
Gegensatz zum deutschen Menschentypus.

In seiner unliebenswürdigen Vergleichung des deutschen und des englischen
Universitätslebens, hebt James hervor, daß es die Aufgabe der englischen
Erziehung sei: einen bestimmten Menschentypus herzustellen, „eine Summe",
wie er sich ausdrückt, „vorausbestimmter Reaktionen allen möglichen Lebenslagen
gegenüber, den gentleman." „Oxford macht es sich zur Aufgabe, einen eng¬
lischen gentleman zu lehren, wie sich ein englischer gentleman benimmt." William
James hat mit dieser Kennzeichnung in der Tat das unterscheidende Merkmal
der englischen Universität gegenüber der deutschen hervorgehoben. Die deutsche
Universität macht es sich nicht zur Aufgabe, einen deutschen Herrn zu lehren,
wie sich ein deutscher Herr zu benehmen hat. Nach unserem Herkommen ist das
ausschließlich Sache der Kinderstube. Dagegen macht es sich die deutsche Universität
in hervorragendem Maße zur Aufgabe, einen deutschen Studenten zur Persön¬
lichkeit zu erziehen — eine Tatsache, die William James natürlich nicht berück¬
sichtigt, die aber nichts desto weniger wichtig und wahr ist. England ist das
Land der gentlemen; Deutschland ist das Land der Persönlichkeiten. Gentleman
und Persönlichkeit aber stehen sich im Grunde feindlich gegenüber. Nicht als
ob ein gentleman nicht auch etwas Persönliches an sich haben, und eine Per¬
sönlichkeit kein gentleman sein könne. Aber das Ideal des gentleman ist unver¬
träglich mit dem Ideal der Persönlichkeit und das Ideal der Persönlichkeit
unverträglich mit dem Ideal des gentleman.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/229>, abgerufen am 27.09.2024.