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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Persien

Mehemed Ali zurückgefallen. Um seine Scharen mit dem nötigen Drang nach
vorwärts zu erfüllen, dazu gab es ja ein scheinbar unfehlbares Mittel: die
Aussicht auf Plünderung der Hauptstadt. Denn für jeden Nomaden des
buntscheckigen persischen Völkergemisches ist das Wort Plünderung die Zauber¬
formel, die ihn in flammende Begeisterung versetzt und selbst den feigsten unter
ihnen zu ungeahnten Heldentaten befähigt. Aber gerade diese Passion sollte
den Mannen des Schah zum Verhängnis werden. Die Turkmenen, die ohne
Widerstand zu finden, die schwierigen Pässe des Elburs überwunden hatten,
versäumten sich bei der reichen Beute von Schahrud und Damghcm, die Schach-
zewennen und Kaschghais kamen aus demselben gewichtigen Grunde nicht über
Ardebil resp. Schiras heraus, während Salar-e-Dankes scheinbar durch zarte
Bande am eiligen Vorrücken gehindert wurde. In seiner Begleitung reiste
nämlich eine Pariserin, die geschiedene Frau des Inhabers einer bekannten
Sektfirma, geb. Gräfin X., nach dem "Gotha" fünfundfünfzig Jahre alt. Salar-e-
Danleh ist erst dreißig Jahre alt. Wahrscheinlich hinderte ihn die Rücksicht auf
die Schouungsbedürstigkeit der alten Dame an allzu schnellem Reisen. Viel
Zeit ging auch dadurch verloren, daß Salar-e-Dankes als kluger Realpolitiker
die Töchter aller angesehenen Häuptlinge des von ihm durchzogenen Gebietes
heiratete. (Wogegen Frau X. hoffentlich nichts einzuwenden hatte.) Am jämmer¬
lichsten aber benahm sich die Hauptperson, der der ganze Lärm galt, der Ex¬
Schah selbst. Anstatt an der Spitze der Turkmenen aus Teheran zu marschieren
und selbst den Kampf für seinen Thron zu wagen, faß er zitternd auf einem
Felsenschloß in der Nähe des Kaspischen Meeres und behielt die drei Maschinen¬
gewehre, die er -- als Selterswasser deklariert --- durch Rußland geschmuggelt
hatte und die seinen Turkmenen unbedingt zum Siege verholfen hätten, bei sich
zurück. So war es möglich, daß die Regierung Muße hatte, sich vom ersten
Schrecken zu erholen und den tüchtigen Jeffrem und mit ihm den deutschen
Oberst Haase (ehemaliger deutscher Gefreiter im ostasiatischen Expeditionskorps,
seit acht Jahren persischer Oberst und Kommandeur der Maschinengewehre)
gegen den zunächst gefährlichsten Feind, die Turkmenen unter Arschad-e-Dankes,
zu schicken, die sich schon bis auf 30 Kilometer Teheran genähert hatten. Mit
dem einen Maschinengewehr, daß nach den Revolutionswirren noch übrig geblieben
war, brachte Oberst Haase dnrch sein energisches Vorgehen die Entscheidung.
Jeffrem erfocht einen vollständigen Sieg und nahm den feindlichen Führer
Arschad-e-Dankes gefangen, der sofort am nächsten Tage in Teheran erschossen
wurde. Jeffrem aber benutzte geschickt den Schrecken, den sein glänzender
Erfolg beim Gegner verbreitet hatte, forcierte die Püffe zum Mazcmoercm,
vertrieb den Ex-Schah aus seinem Felsenneste und zwang ihn, sich zu
Schiff über das Kaspische Meer nach feinem alten Landungspunkt Gümüschtepe
zu flüchten. Dann wandte er sich umgehend gegen den zweiten Feind
Salar°e-Dankes, schlug dessen vierzehntausend Mann zählende Streitmacht
ebenfalls entscheidend bei Kaswin und verfolgte ihn bis über Hamadan


Briefe aus Persien

Mehemed Ali zurückgefallen. Um seine Scharen mit dem nötigen Drang nach
vorwärts zu erfüllen, dazu gab es ja ein scheinbar unfehlbares Mittel: die
Aussicht auf Plünderung der Hauptstadt. Denn für jeden Nomaden des
buntscheckigen persischen Völkergemisches ist das Wort Plünderung die Zauber¬
formel, die ihn in flammende Begeisterung versetzt und selbst den feigsten unter
ihnen zu ungeahnten Heldentaten befähigt. Aber gerade diese Passion sollte
den Mannen des Schah zum Verhängnis werden. Die Turkmenen, die ohne
Widerstand zu finden, die schwierigen Pässe des Elburs überwunden hatten,
versäumten sich bei der reichen Beute von Schahrud und Damghcm, die Schach-
zewennen und Kaschghais kamen aus demselben gewichtigen Grunde nicht über
Ardebil resp. Schiras heraus, während Salar-e-Dankes scheinbar durch zarte
Bande am eiligen Vorrücken gehindert wurde. In seiner Begleitung reiste
nämlich eine Pariserin, die geschiedene Frau des Inhabers einer bekannten
Sektfirma, geb. Gräfin X., nach dem „Gotha" fünfundfünfzig Jahre alt. Salar-e-
Danleh ist erst dreißig Jahre alt. Wahrscheinlich hinderte ihn die Rücksicht auf
die Schouungsbedürstigkeit der alten Dame an allzu schnellem Reisen. Viel
Zeit ging auch dadurch verloren, daß Salar-e-Dankes als kluger Realpolitiker
die Töchter aller angesehenen Häuptlinge des von ihm durchzogenen Gebietes
heiratete. (Wogegen Frau X. hoffentlich nichts einzuwenden hatte.) Am jämmer¬
lichsten aber benahm sich die Hauptperson, der der ganze Lärm galt, der Ex¬
Schah selbst. Anstatt an der Spitze der Turkmenen aus Teheran zu marschieren
und selbst den Kampf für seinen Thron zu wagen, faß er zitternd auf einem
Felsenschloß in der Nähe des Kaspischen Meeres und behielt die drei Maschinen¬
gewehre, die er — als Selterswasser deklariert -— durch Rußland geschmuggelt
hatte und die seinen Turkmenen unbedingt zum Siege verholfen hätten, bei sich
zurück. So war es möglich, daß die Regierung Muße hatte, sich vom ersten
Schrecken zu erholen und den tüchtigen Jeffrem und mit ihm den deutschen
Oberst Haase (ehemaliger deutscher Gefreiter im ostasiatischen Expeditionskorps,
seit acht Jahren persischer Oberst und Kommandeur der Maschinengewehre)
gegen den zunächst gefährlichsten Feind, die Turkmenen unter Arschad-e-Dankes,
zu schicken, die sich schon bis auf 30 Kilometer Teheran genähert hatten. Mit
dem einen Maschinengewehr, daß nach den Revolutionswirren noch übrig geblieben
war, brachte Oberst Haase dnrch sein energisches Vorgehen die Entscheidung.
Jeffrem erfocht einen vollständigen Sieg und nahm den feindlichen Führer
Arschad-e-Dankes gefangen, der sofort am nächsten Tage in Teheran erschossen
wurde. Jeffrem aber benutzte geschickt den Schrecken, den sein glänzender
Erfolg beim Gegner verbreitet hatte, forcierte die Püffe zum Mazcmoercm,
vertrieb den Ex-Schah aus seinem Felsenneste und zwang ihn, sich zu
Schiff über das Kaspische Meer nach feinem alten Landungspunkt Gümüschtepe
zu flüchten. Dann wandte er sich umgehend gegen den zweiten Feind
Salar°e-Dankes, schlug dessen vierzehntausend Mann zählende Streitmacht
ebenfalls entscheidend bei Kaswin und verfolgte ihn bis über Hamadan


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/187>, abgerufen am 27.09.2024.