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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Äriefe aus Persien

Mit den Finanzen seid es ähnlich trostlos aus. Denn auch hier hatte man
die alte bewährte Methode fallen lassen, ohne eine neue an ihre Stelle zu setzen.
Die alte Methode bestand darin, daß der Schah es ruhig mit ansah, wie seine
in die Provinzen entsandten Gouverneure sich an den Hilfsquellen des Landes
vollsogen. Sobald dieser Prozeß so weit gediehen war, daß eine kleine
Schröpfkur lohnend erschien, wurde der betreffende Gouverneur nach Teheran zitiert
und dort vor die Wahl gestellt, eine bestimmte Summe, etwa 75 Prozent seines
Profits, herauszugeben oder eine gerichtliche Untersuchung über sich ergehen zu
lassen. Daß der Gouverneur stets das erstere wählte, bedarf wohl kaum der
Erwähnung. Nach Einführung der Verfassung blieben zwar die Provinz¬
gouverneure bei ihrer Methode, aber der Negierung fehlte die Macht, den zweiten
Teil des Programms, den Schröpfprozeß, zu einem gedeihlichen Ende zu bringen,
oder wenn schon einmal geschröpft wurde, so floß der Erlös sicher nicht in eine
öffentliche Kasse. Der im Jahre 1910 gewählte Regent Nasr-el-Mull, ein in
England erzogener hochgebildeter Mann, dazu ein kluger Kopf und ein wohl¬
meinender Charakter, dem es nur an der nötigen Portion Strenge und Rück¬
sichtslosigkeit fehlt, ohne die nun einmal in Persien nicht regiert werden kann,
hat vergebens versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Seine im Par¬
lament gehaltene Antrittsrede, in der er Minister und Abgeordnete nachdrücklich
auf ihre Pflichten hinwies und zur Bildung einer festen und stetigen Regierungs¬
mehrheit aufforderte, war ein Muster von Klarheit und Sachlichkeit. Sie wurde
seinerzeit auch in europäischen Zeitungen abgedruckt. Aber auch ihm gelang
nicht die Bildung eines einheitlichen Ministeriums und eines arbeitsfähigen
Parlaments. Man steckte rettungslos in einem Lirculug vitios>.i8: weil keine
Ruhe im Lande herrschte, kam kein Geld ein, und weil kein Geld da war,
konnte man keine Expeditionen ausrüsten, um die Ruhe herzustellen. Mitten
in diese hoffnungslos zerfahrene Situation traf wie ein Donnerschlag die Nach¬
richt von der Landung des Ex-Schäds in Gümüschtepe (Sommer 1911.) Mit den
dort in der Steppe hausenden Turkmenen hatte der Ex-Schah stets gute Be¬
ziehungen unterhalten, ihnen so manche kleine Räuberei gnädig nachgesehen,
ja sie sogar hier und da zu Plünderungszügen ermutigt, wenn ein kleiner
Aderlaß seiner getreuen Untertanen ihm in seine Politik paßte. Gleichzeitig
ging der "Schuluk" (Unruhen) bei den Schachzewennen im Nordwesten und den
Kaschghais im Südwesten los, während von Westen der jüngste Bruder des
Ex-Schah, Salar-e-Dankes, mit einer aus Kurden und Luren zusammengesetzten
Streitmacht gegen Teheran heranzog. Einen günstigeren Zeitpunkt sür seinen
Handstreich hätte Mehemed Ali kaum also finden können. Die geld-, mut- und
hilflose Regierung hatte wieder einmal so gründlich abgewirtschaftet, daß man
sich fast allgemein von jedem Systemwechsel, ganz gleich welchem, eine Besserung
der Lage versprach. Es kam also nur darauf an, die vier verschiedenen Kolonnen
möglichst schnell und einheitlich auf Teheran zu dirigieren. Dann wäre wahr¬
scheinlich die Stadt und damit der Thron Persiens fast ohne Schwertstreich an


Äriefe aus Persien

Mit den Finanzen seid es ähnlich trostlos aus. Denn auch hier hatte man
die alte bewährte Methode fallen lassen, ohne eine neue an ihre Stelle zu setzen.
Die alte Methode bestand darin, daß der Schah es ruhig mit ansah, wie seine
in die Provinzen entsandten Gouverneure sich an den Hilfsquellen des Landes
vollsogen. Sobald dieser Prozeß so weit gediehen war, daß eine kleine
Schröpfkur lohnend erschien, wurde der betreffende Gouverneur nach Teheran zitiert
und dort vor die Wahl gestellt, eine bestimmte Summe, etwa 75 Prozent seines
Profits, herauszugeben oder eine gerichtliche Untersuchung über sich ergehen zu
lassen. Daß der Gouverneur stets das erstere wählte, bedarf wohl kaum der
Erwähnung. Nach Einführung der Verfassung blieben zwar die Provinz¬
gouverneure bei ihrer Methode, aber der Negierung fehlte die Macht, den zweiten
Teil des Programms, den Schröpfprozeß, zu einem gedeihlichen Ende zu bringen,
oder wenn schon einmal geschröpft wurde, so floß der Erlös sicher nicht in eine
öffentliche Kasse. Der im Jahre 1910 gewählte Regent Nasr-el-Mull, ein in
England erzogener hochgebildeter Mann, dazu ein kluger Kopf und ein wohl¬
meinender Charakter, dem es nur an der nötigen Portion Strenge und Rück¬
sichtslosigkeit fehlt, ohne die nun einmal in Persien nicht regiert werden kann,
hat vergebens versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Seine im Par¬
lament gehaltene Antrittsrede, in der er Minister und Abgeordnete nachdrücklich
auf ihre Pflichten hinwies und zur Bildung einer festen und stetigen Regierungs¬
mehrheit aufforderte, war ein Muster von Klarheit und Sachlichkeit. Sie wurde
seinerzeit auch in europäischen Zeitungen abgedruckt. Aber auch ihm gelang
nicht die Bildung eines einheitlichen Ministeriums und eines arbeitsfähigen
Parlaments. Man steckte rettungslos in einem Lirculug vitios>.i8: weil keine
Ruhe im Lande herrschte, kam kein Geld ein, und weil kein Geld da war,
konnte man keine Expeditionen ausrüsten, um die Ruhe herzustellen. Mitten
in diese hoffnungslos zerfahrene Situation traf wie ein Donnerschlag die Nach¬
richt von der Landung des Ex-Schäds in Gümüschtepe (Sommer 1911.) Mit den
dort in der Steppe hausenden Turkmenen hatte der Ex-Schah stets gute Be¬
ziehungen unterhalten, ihnen so manche kleine Räuberei gnädig nachgesehen,
ja sie sogar hier und da zu Plünderungszügen ermutigt, wenn ein kleiner
Aderlaß seiner getreuen Untertanen ihm in seine Politik paßte. Gleichzeitig
ging der „Schuluk" (Unruhen) bei den Schachzewennen im Nordwesten und den
Kaschghais im Südwesten los, während von Westen der jüngste Bruder des
Ex-Schah, Salar-e-Dankes, mit einer aus Kurden und Luren zusammengesetzten
Streitmacht gegen Teheran heranzog. Einen günstigeren Zeitpunkt sür seinen
Handstreich hätte Mehemed Ali kaum also finden können. Die geld-, mut- und
hilflose Regierung hatte wieder einmal so gründlich abgewirtschaftet, daß man
sich fast allgemein von jedem Systemwechsel, ganz gleich welchem, eine Besserung
der Lage versprach. Es kam also nur darauf an, die vier verschiedenen Kolonnen
möglichst schnell und einheitlich auf Teheran zu dirigieren. Dann wäre wahr¬
scheinlich die Stadt und damit der Thron Persiens fast ohne Schwertstreich an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/186>, abgerufen am 27.09.2024.